Der Anruf kam auf einem Bahnhof in der norddeutschen Provinz. Ob ich nicht Lust hätte, einen Film zum Thema „Bezahlbarer Wohnraum“ zu machen, fragte mich der Produzent. Der Haken: gedreht werden müsste schon übermorgen in Heidelberg. Da werden die Holzfertigbauteile für das Studentenwohnheim auf der Baustelle montiert.
Die Hauptgeschichte stand also schon, als ich in das Projekt einstieg. Unser ZDF-Redakteur Sebastian Nuß hatte das Projekt der Baugruppe Collegium Academicum in Heidelberg schon lange vorher verfolgt. Jetzt war die Geschichte drehreif und alles musste schnell gehen. Verschieben geht nicht!
Eine Erfahrung, die mich auch auf den anderen Baustellen begleitete. Die typischen Journalistenfragen, nämlich, was passiert wann auf der Baustelle, liefen oft ins Leere. Verzögerungen sind an der Tagesordnung. Das kannte ich von meiner eigenen Baustelle zu Hause. Seit etwa einem Jahr saniere ich schon mein Elternhaus aus den 70er Jahren. Etwas Grundwissen am Bau ist also da. Trotzdem schüttele ich noch immer oft den Kopf, wenn die Rechnungen ins Haus flattern. Dabei bin ich wahrscheinlich eine der Privilegierten, die ein Einfamilienhaus auf dem Land besitzen. „Bezahlbarer Wohnraum“ was heißt das also? Für wen bezahlbar? Und wie macht man das?
In der Redaktion überlegten wir, wo das Problem ist: was macht Bauen eigentlich teuer? Vor allem Spekulation mit Baugrund und der Dschungel an Bauvorschriften kristallisierten sich als Preistreiber heraus. Wir suchten also Beispiele, die dafür eine Lösung hatten. So stieß unser Redaktions-Mitarbeiter Johannes auf die Baseler Bodenpolitik. In Volksentscheiden drängten die Bürger den Kanton Basel-Stadt dazu, seinen Grund und Boden nicht mehr zu verkaufen, sondern dazuzukaufen und so das Land der Spekulation zu entziehen. Hauptakteur der Baseler Szene ist Ivo Balmer vom „Mietshäusersyndikat“, das gerade den Bau des Genossenschaftshauses „Abakus“ unterstütz. Die Bewohner stehen kurz vor dem Einzug. Wunderbar reportagig zu begleiten, fanden wir. Darüber können wir das Besondere der Baseler Bodenpolitik gut veranschaulichen.
Bei dem zweiten Preistreiber, Bauvorschriften, gestaltete sich die Recherche etwas schwieriger. Wir wussten zwar, dass die Vorschriften in den Niederlanden vor etwa zehn Jahren entschlackt wurden, und man damit dort günstiger bauen kann. Trotzdem konnten wir erst mal nur Beispiel finden, bei denen die Wohnungen eher schickes Eigentum und nicht wirklich „bezahlbar“ waren. Wir suchten also nach „geförderten“ Wohnungsbauprojekten. Johannes klopfte jedes Beispiel mit Experten ab, inwiefern die Baukosten in den Niederlanden wirklich günstiger sind als in Deutschland. Schließlich landeten wir beim deutsch-niederländischen Architekturbüro „De Zwarte Hond“, die in Groningen auf einem ehemaligen Arbeiterquartier „geförderte“ Wohnungen bauen. „Sozialwohnungen“, erklärte mir der Architekt, sei nicht mehr politisch korrekt. Sie wollen ja gerade Bewohner aus allen sozialen Schichten, also eine Durchmischung des Viertels. Und: die Architekten wollen möglichst einfach bauen, um Kosten zu sparen. Also keine Keller und Tiefgaragen, Laubengänge ersetzen Treppenhäuser und in den Wohnungen viel Sichtbeton. In Holland herrscht also eine andere Wohnkultur, von der wir uns vielleicht eine Scheibe abschneiden können.
Nun hatten wir drei gute Geschichten, suchten aber noch eine weitere, vielleicht etwas „exotischeres“. Von einem Haus aus dem 3D-Drucker hatte unser Redaktionsleiter gehört. Das wurde im April in Amerika gebaut. Ein Dreh kam aber wegen der Reisekosten und –beschränkungen nicht in Frage. In Bayern sollte ein weiteres folgen – allerdings erst Ende August. Zu spät für unseren Sendetermin.
Spannend fand ich, dass mit dem Corona-Homeoffice viele Büros leer standen und wohl auch in Zukunft leer stehen werden. Für mich lag es auf der Hand: warum darin nicht bezahlbaren Wohnraum in großem Stil schaffen? Also Umnutzung. Aber die Statistiken zeigten, dass das noch kaum praktiziert wird und es sich nur in manchen Großstädten wie z. B. London oder Paris, die sehr viel Leerstand und extreme Preise haben, lohnen würde. Also keine Lösung für alle – oder zumindest für viele, wie wir sie gerne in unserem Format vorstellen.
Schließlich zog ich sozusagen meinen Joker, und fragte meinen Bruder, selbst Architekt und Stadtplaner, ob er noch spannende Projekte zu „bezahlbarem Wohnraum“ kenne. Das ist nicht nur ein Phänomen in Städten, erklärte er mir, sondern auch auf dem Land ist bezahlbarer Wohnraum knapp. Das hätte auch etwas mit dem Donut-Effekt zu tun, also, dass Dörfer und Kleinstädte innen ausbluten und sich außen Neubaugebiete immer weiter in die Landschaft fressen. Einen Neubau können sich heutzutage aber viele gar nicht mehr leisten. Auch ein Wahlkampfthema, spätestens seit Anton Hofreiter ein Verbot von Einfamilienhäusern forderte. Doch wenn ich aus meinem Fenster schaue, blicke ich auf ein ebensolches Neubaugebiet. Das ist die Lebensrealität vieler Menschen auf dem Land, die bei diesem Thema nicht zu kurz kommen durfte, fand ich.
Letztendlich brachte mich mein Bruder mit dem Soziologen Klaus Zeitler in Kontakt, der mir den entscheidenden Tipp gab: Waldsassen. Die Kleinstadt in der Oberpfalz direkt an der tschechischen Grenze kannte ich nur vom Hörensagen. Sie soll sehr vorbildlich mit ihren Flächen umgehen und systematisch Wohnraum schaffen. Also rief ich den dortigen Bürgermeister, Bernd Sommer, an, um mich zu vergewissern. Sein Credo ist: „Wenn wir keinen bezahlbaren Wohnraum auf dem Land schaffen, drängen noch mehr Menschen in die Städte und verschärfen das Problem dort. Also müssen die Kommunen ran.“ Sein Pioniergeist überzeugte schließlich mich und die Redaktion. Am Ende dieser monatelangen Recherche war für mich klar: der Kampf um bezahlbaren Wohnraum betrifft uns fast alle. In der Stadt und auch auf dem Land müssen wir zusammenrücken, mehr teilen und manchmal vielleicht auch unsere Wohnkultur überdenken.