Der Großteil der Erwachsenen kennt Rückenschmerzen: Auch ich habe immer wieder damit zu kämpfen. Ich würde sogar sagen, mein Rücken ist meine körperliche Schwachstelle. Meine frühste Erinnerung ist aus der Grundschule, als ich mir beim Haare kämmen schmerzhaft einen Nerv einklemme.
Eine spätere, noch sehr präsente Erinnerung, als mich nach sehr stressigen Arbeitswochen ein stechender Schmerz im unteren Rücken pünktlich zu Weihnachten in die Knie zwingt. Heute weiß ich: Dagegen wirken keine Schmerzmittel, denn Stress kann Rückenschmerzen verursachen. Es steht fest, dass mich das Thema „Rücken“ begleitet, mir immer wieder Rätsel aufgibt. Und als sich die Möglichkeit bot, über dieses Thema einen Film zu machen, habe ich sofort zugesagt.
Seit Ausbruch der Pandemie arbeiten 45 Prozent aller Beschäftigten zuhause. 36 Prozent der Heimarbeiter*innen klagen über Verspannungen, Rücken- und Kopfschmerzen. Immer mehr Krankschreibungen werden deswegen ausgestellt. Schuld daran ist häufig der improvisierte Arbeitsplatz daheim. Auch ich habe am Anfang auf einem einfachen Küchenstuhl gesessen, den Blick stets nach unten auf den Laptop gerichtet. Während des Tages wechselte ich unter Schmerzen auf die Couch, im Sitzen, teilweise im Liegen habe ich weitergetippt. Ich musste etwas ändern, mir einen geeigneten Stuhl zulegen. Letztendlich entscheide ich mich für ein klassisches, „in der Szene“ bekanntes Modell, das in sämtliche Richtungen erhöht, geneigt und verstellt werden kann.
Auch wenn ich nicht geahnt habe, dass man für einen Stuhl so viel Geld ausgeben kann, habe ich die Investition bis heute nicht bereut. Klar: nicht jede*r kann oder will so eine Investition tätigen – doch auch Alltagsgegenstände und kleine Anschaffungen bewirken schon viel. Das wird klar, als wir die Ergonomieberaterin Susanne Weber bei ihrer Arbeit begleiten. Ich lerne viel über Fehler, die alleine beim Sitzen gemacht werden können. Einer ihrer wichtigsten Ratschläge ist: Beide Füße sollten gleichmäßig den Boden berühren, ist der Stuhl nicht höhenverstellbar helfen Schuhen. Kissen können den Rücken stützen und den Sitz aufrichten. Außerdem sollte laut Expertin alle 90 Minuten die Haltung gewechselt werden, mal im Gehen telefonieren oder um den Block gehen. Und bloß nicht vor dem Computer auch noch essen! Generell ist bekannt, dass Bewegung gegen Rückenschmerzen hilft oder ihnen vorbeugen kann.
Unsere Protagonistin Stefanie Scheibe hat die richtige Art von Bewegung aus dem Dauerschmerz und ihrer Verzweiflung befreit. 2018 bekommt sie die Diagnose: Bandscheibenvorfall. Von einer Operation rät der Arzt ab, die Stelle sei zu gefährlich. Und so wird Stefanie zu der Freundin, „die immer steht“, weil sie nicht mehr lange sitzen kann. Sie ist auf die Hilfe ihres Mannes angewiesen, wenn sie Einkäufe in die Wohnung tragen will. Was ist das für ein Leben, mit 33 Jahren? Stefanie tingelt von Arzt zu Arzt, versucht jede konservative Behandlungsmethode, doch nichts hilft. Sie gilt als „austherapiert“. Mit Hilfe des sogenannten Muskellängentrainings, bei dem der Muskel in volle Länge gebracht und dort aktiv belastet wird, schöpft sie neue Hoffnung, denn ihre Schmerzen schwinden.
Ich führe Gespräche mit Sportwissenschaftlern, die bestätigen: Ein Muskel muss kräftig und lang sein. Auch ein trainierter Bodybuilder mit kräftiger Muskulatur kann unter Rückenschmerzen leiden. Denn ist die Muskulatur verkürzt, führt das früher oder später zu Schmerzen. Stefanie trainiert nun bis zu vier Mal die Woche an den speziellen Geräten. Kein Vergnügen, doch sie kann wieder leben und ihren Alltag bestreiten – und das ist die Hauptsache. Wenn es um Rückenschmerzen geht, so muss man sich auch dem Thema Operation stellen. Die Begegnung mit Wirbelsäulenchirurgin Cordula Netzer vom Universitätsspital Basel war eine der wichtigsten, auch wenn ich zunächst skeptisch war: In Deutschland steigt die Zahl der Rücken-OPs zwischen 2007 und 2019 um mehr als 76 Prozent. Dabei sind laut einer Langzeitstudie 90 Prozent der OPs medizinisch unnötig. Und doch begleiten wir eine Chirurgin, eine Frau, die mit Operationen ihr Geld verdient – welche Botschaft sendet das?
Aber natürlich ist nicht alles schwarz und weiß, denn im Falle von Peter Erny, bei dem zwei instabile Lendenwirbel auf den Nerv zum Bein drücken, war die Operation nach vielen erfolglosen Versuchen, mit Physiotherapien, diszipliniertem Training und Schmerzmitteln beschwerdefrei zu werden, die letzte Hoffnung. Und so fixiert Cordula Netzer die instabilen Lendenwirbel und ersetzt die abgenutzte Bandscheibe durch ein Hightech-Implantat. Dass wir dabei als Kamerateam dabei sein konnten, ist eine einmalige Erfahrung: Es wird gebohrt, gehämmert und geschraubt, es ist blutig, brachial, aber auch präzise und unglaublich filigran. Ein kräftezehrendes Handwerk auf der einen und eine wahnsinnig beeindruckende Feinarbeit auf der anderen Seite. Ich bin beeindruckt von den Möglichkeiten der Medizin und von Chirurgin Cordula Netzer, die mit Empathie, Weitsicht und – obwohl es aufgrund ihres Berufs paradox erscheint – durch ihre Zurückhaltung in Sachen Operationen allen Vorurteilen widerspricht.
Die Erinnerungen, Erfahrungen und Eindrücke dieses Films haben mein Bewusstsein und mein Verhalten nachhaltig geändert. Ich will sie nicht verblassen lassen, muss mich selbst immer wieder aufraffen. Und so rolle ich mal morgens, mal abends, mal mehr und mal weniger konsequent meine Matte aus und mache Übungen, die meiner Wirbelsäule und meinem Körper gut tun. Stehe zum Telefonieren auf, atme tief durch und strecke mich, richte mein Becken auf, wenn ich mich gedankenversunken gekrümmt vor dem Laptop wiederfinde. Mein Rücken soll nicht meine Schwachstelle sein und sie definitiv nicht bleiben, mein Rücken ist ein andauerndes Projekt ohne Deadline. Denn auch wenn gerade nichts zwickt, so ist die wichtigste Lehre aus diesem Projekt doch: Der Rücken braucht Aufmerksamkeit – und nicht erst, wenn er schmerzt.