Vorurteile - jeder von uns hat welche, positive und negative, gegenüber allem, was uns fremd ist. Sie helfen uns, die Welt schnell zu kategorisieren, indem man „in Schubladen denkt“.
Das ist entscheidend für unser tägliches Überleben. Etwa ist man international fest der Überzeugung, dass Deutsche besonders pünktlich sind, eine Zuschreibung, die uns wahrscheinlich eher nützt als schadet. Bei Menschen mit Behinderung geht man dagegen automatisch davon aus, dass sie hilfsbedürftig sind, eine Zuschreibung, die nicht zutreffen muss und vielen grundlos Türen verschließt.
Negative Vorurteile führen oft zu Ausgrenzung, Hass und Gewalt. Die Leidtragenden sind meist Menschen, die von der Mehrheitsgesellschaft als nicht “normal” empfunden werden, weil sie einen anderen Glauben, eine andere Körperform oder sexuelle Orientierung haben oder Wurzeln in anderen Kulturen als der Betrachter.
Wir beginnen unsere Recherche mit der Suche nach Ländern, die diverse kulturelle Hintergründe in der Gesellschaft nicht als Problemquelle, sondern als Chance sehen. Kanada etwa rühmt sich, weltweit die meisten Geflüchteten dauerhaft aufzunehmen. Das Land verfolgt eine integrierende Einwanderungspolitik. Wer kommt, soll bleiben. Hier werden Zuwanderer als Bereicherung angesehen statt als Belastung.
Eine Auszeichnung der Zeitschrift Canadian Immigrant ehrt zum Beispiel medienwirksam jedes Jahr 25 Top-Einwanderer, die sich besonders für Integration und die kanadische Gesellschaft einsetzen. Einer von ihnen ist Tareq Hadhad. Er floh mit seiner Familie vor dem Bürgerkrieg in Syrien. Drei Jahre verbrachte die Familie verzweifelt in einem Flüchtlingslager im Libanon. Sie stellten Aufnahmeanträge an über 15 Länder, nur Kanada wollte sie haben. Mit Hilfe der Einheimischen konnten die Hadhads in ihrer neuen Heimat, der kanadischen Kleinstadt Antigonish, eine Schokoladenfabrik gründen. Sie nannten ihre Marke: ”Peace by Chocolate”. Schoko-Stück für Schoko-Stück Vorbehalte gegen Geflüchtete abbauen und so gesellschaftlichen Frieden stärken – das ist ihre Mission. Dafür bekommen sie sogar Anerkennung durch den kanadischen Premierminister Justin Trudeau.
Auch der öffentlich-rechtliche Sender CBC tut viel, um Diversität zu einer selbstverständlich gelebten gesellschaftlichen Realität zu machen. Verantwortlich dafür: Gleichstellungsbeauftragter Nick Davis. Seine Ziele: ein Programm schaffen, das alle Menschen in Kanada adäquat repräsentiert. Ein Pilotprojekt wertet dafür Daten von Sendungen aus. Es geht um Fragen wie: Werden Schwarze nur zu Themen befragt, die Schwarze betreffen? Warum spricht man mit Menschen mit Behinderungen kaum über die Wahlen oder Aktienkurse, sondern meist über ein Leben mit Behinderungen? Und wie kann man das ändern?
Wir erfahren in Kanada, wie wichtig Sichtbarkeit für eine multikulturelle Gesellschaft ist, Sichtbarkeit für alle, nicht nur die Mehrheitsgesellschaft. Sowohl die Politik als auch die Medien setzen sich in Kanada dafür ein, dass die “anderen” nicht am Rande der Gesellschaft, sondern mittendrin leben und so zu “wir” werden.
Jeder zehnte Mensch aus der LGBTQ-Community in Deutschland gibt an, Hass und Hetze erlebt zu haben. Wir stoßen bei unserer Recherche auf das Projekt: ”Olivia macht Schule”, initiiert von der bekannten Hamburger Dragqueen Olivia Jones. Ihre Mitarbeiterin Veuve Noire fährt in Schulen und klärt junge Menschen auf, denn das Ziel ist nicht nur, Vorurteile zu bekämpfen, sondern gar nicht erst entstehen zu lassen. Wir lernen eine Frau kennen, die als Teenager gemobbt, geschlagen und sogar mit dem Tod bedroht wurde, weil sie ist, wer sie ist: ”ein homosexueller Mann im Körper einer heterosexuellen Frau“.
Fast-Fashion-Marken bieten hauptsächlich Kleidung für Menschen mit Standardmaßen an. Für Rollstuhlnutzer etwa sind sie kaum geeignet. Ihnen bleibt meist Kleidung im REHA-Stil, ein Look, der ihre Behinderung in den Vordergrund rückt, anstatt ihre Persönlichkeit und ihre Fähigkeiten. Die verfügbare Kleidung bestätigt so gängige gesellschaftliche Vorurteile, etwa dass körperliche Einschränkungen automatisch Hilflosigkeit und begrenzte Möglichkeiten bedeuten. Die österreichische Unternehmerin Josefine Thom entwirft Mode ohne Barrieren, die funktional und stylisch sein soll. Sie lädt uns ein, ein Fotoshooting für ihre neue Kollektion zu filmen. Alle Models sind auch potenzielle Träger, so wie Baldrich Mouanda. Er sitzt seit einem schweren Unfall im Rollstuhl und sagt uns: ”Es gibt mehr Modeauswahl für Haustiere als für mich.” Auch Menschen mit Behinderungen wollen gut aussehen, cool und kompetent und die Chancen nutzen, die sich dadurch in der Gesellschaft auftun.
Die Dreharbeiten zu diesem Film haben uns in all ihrer Vielfalt gezeigt: Alle Menschen haben eins gemeinsam: jeder ist anders. Und das macht uns alle gleich.
von Joanna Michna