Die letzten 2 Jahre habe ich die Sommerferien mit meiner Familie nicht am Strand in Frankreich oder Italien verbracht, sondern nur 2,5 Stunden Fahrtzeit von meiner Berliner Wohnung entfernt in einem Zirkuswagen am See. Schuld war natürlich die Corona-Pandemie. Doch seither hat sich bei mir ein Gefühl eingestellt, das das Leben auf dem Land mir einen guten Ausgleich gibt, die Ruhe, die Natur, alles ist übersichtlicher und stressfreier. Das hat mich dazu veranlasst mehr Zeit auf dem Land zu verbringen - Homeoffice im Zirkuswagen ist jedenfalls prickelnder als in der City – und so konnte ich raus aus der Sommertouristenrolle selber das Landleben testen.
So wie ausgewählte Kreative, die im Rahmen des „Summer of Pioneers“ 6 Monate lang aufs Land ziehen können. Das Projekt ermöglicht ihnen Probewohnen für wenig Geld, und stellt einen digitalen Arbeitsplatz zur Verfügung. Im Gegenzug erhoffen sich die ländlichen Orte frische Impulse von den Digitalarbeiter, Lösungen gegen Abwanderung und Leerstand. Die vier Orte Wittenberg, Altena, Tengen und Homberg haben dieses Experiment schon hinter sich. Und es soll weiter gehen. Für den Film durften wir Anna Groos und Tobias Reitz mit ihren 2 Kindern von Darmstadt nach Homberg begleiten.
Arvieu liegt in Frankreich, im Nirgendwo. 800 Dörfler, in den letzten Jahren sind 55 Familien hinzugezogen. Es gibt eine Schule, eine kommunale Tankstelle, Restaurants und Läden. Die nächste Stadt ist über 30 Kilometer entfernt. Das kleine gallische Dorf hat die neuen Möglichkeiten durch schnelles Internet bereits vor Jahren erprobt. Vincent Benoit hat mit Freunden hier bereits vor 20 Jahren eine genossenschaftliche Digitalagentur gegründet und damit den Ort des ehemaligen Klosters zum pulsierenden Ortskern entwickelt. „Durch die gute Internetanbindung konnte ich mir meinen Lebensmittelpunkt selbst aussuchen. Und das ist schon genial. Ich lebe hier meinen Kindheitstraum. Ich hatte Lust ein kleines Silicon Valley zu erschaffen, einen Ort, der sowohl landwirtschaftlich als auch digital geprägt ist,“ sagt der studierte Informatiker Vincent Benoit. Heute inspiriert der prämierte Ort regelmäßig Besucher.
Doch tatsächlich hat die Pandemie vielen Städtern den letzten Ansporn gegeben, endlich den Absprung zu schaffen, um den Traum vom Land in die Tat umzusetzen. So ging es auch den beiden Filmemachern Chloé Belloc und Fernando Collin-Roque. Sie hatten durch die Lockdown um so mehr das Verlangen sich zu erden. Und so haben sie ihre Pariser Stadtwohnung gegen ein altes Steinhaus in den Cevennen eingetauscht. Neben ihren Dokumentarfilmen wollen sie nun auch Pilze züchten. Mit ihrer Idee haben sie sogar den Wirtschaftsförderpreis von Alès, der Hauptstadt der Cevennen, gewonnen.
Es ist überall spürbar, das Landleben gewinnt durch flexibles Arbeiten, Homeoffice und gutes Internet wieder an Attraktivität. Doch gerade an den Orten, die offen und konstruktiv mit dem Wandel umgehen, fangen die neuen Ideen an zu fruchten.
von Frédérique Veith