Häufig war in den letzten zwei Jahren die erste Nachricht des Tages, wie viele Menschen in Folge einer Corona-Infektion ihr Leben verloren haben. Der Tod ist allgegenwärtiger denn je, und trotzdem verdrängen wir ihn aus dem Leben. Rituale erscheinen starr und veraltet. Und obwohl wir in unserer kommunikationsfreudigen Generation sämtliche Tabus brechen, hält sich das Tabu rund um die Themen Trauer, Tod und Abschied hartnäckig.
Bei unseren Recherchen machten wir uns auf die Suche nach Menschen, die sich für eine andere, eine neue Trauerkultur einsetzten. Wenn man denn überhaupt von einer Trauerkultur in Deutschland sprechen kann, so kommen zunächst schwarze Kleidung, Blumenkränze, Eichensärge in den Sinn. Für viele Menschen ist dies genau der richtige Weg, Abschied zu nehmen, ihre Trauer zu verarbeiten. Für manch einen jedoch sind diese Rituale überholt. Gibt es neue Ideen für den letzte Abschied und andere Wege für die Trauer? Die Idee für den Film war geboren.
Wir wollten auf verschiedene Aspekte der Trauerarbeit eingehen, beginnend bei der Beisetzung. Wenn ein Mensch stirbt, ist nach einer ärztlichen Feststellung des Todes für Hinterbliebene ein Bestattungsunternehmen erster Ansprechpartner. Meist folgt eine Bestattung nach dem Schema F. Eine klare Struktur in Hinblick auf Abläufe und die Gestaltung einer Beisetzung, die von einer/m erfahrenen Bestatter*in vorgegeben wird, kann vielen Trauernden helfen. Viele Menschen empfinden die vermeintlich unumgängliche Konfiguration eines Sarges und die damit verbundenen Preise als eine beklemmende Notwendigkeit, nicht jedoch tröstend.
Dabei gibt es auch Alternativen. Immer mehr sogenannte alternative Bestatter*innen wollen den letzten Weg individuell gestatten, dabei auch bewusst Tabus brechen. Im Zuge einiger Vorgespräche mit verschiedenen alternativen Bestattungsinstituten, die sich vor allem in den Großstädten finden, lernte ich, dass eine Beisetzung nicht dem Schema F folgen muss und das selbst hierzulande sehr viel mehr erlaubt ist, als man annehmen würde. Zugehörige können sich sehr viel aktiver einbringen in den Prozess, auch über die Auswahl eines Sarges hinaus.
Die Wahl für diesen Film fiel auf das Bestattungsunternehmen Fährhaus und die beiden Bestatterinnen Sahra Ratgeber und Birgit Scheffler in Berlin Kreuzberg. Nach persönlichen Vorgesprächen vor Ort wurde klar, dass sie die Branche wirklich verändern wollen. Sie gestalten jeden Abschied persönlich und mit Ruhe. Dabei geht es ihnen vor allem darum, dass Menschen ihren eigenen Weg bei der Beisetzung finden und sich ihren Abschied nicht diktieren lassen. Dabei fiel auch auf, dass die Bestatterinnen ihre Preise komplett transparent auf ihrer Website offenlegen. Ein Sarg aus regionalem Kiefernholz ist im Preis für die Beisetzung inbegriffen. Aber schon bei den ersten Gesprächen wurde schnell klar, dass die beiden alles andere als Sargverkäuferinnen sind.
Die Bestatterinnen haben eine Ausbildung zur Sterbebegleiterin absolviert und scheuen den Tod nicht. So nehmen sie Hinterbliebenen die Berührungsängste und rücken auch alte Rituale wieder in den Vordergrund. Sie ermutigen Angehörige, beim Waschen und Ankleiden der Verstorbenen dabei zu sein. Sie binden sie aktiv in die Gestaltung einer Beisetzung ein und ermöglichen auch unkonventionelle Rituale: Mit einem Schnaps an der Grabstelle auf die Verstorbenen anzustoßen, den Sarg mit Fingerfarbe oder anderweitig zu verzieren. All diese Bausteine helfen, den Tod zu begreifen und legen den Grundstein für die Trauerarbeit, davon sind sie überzeugt.
Jeder Mensch trauert anders. Das war auch eine zentrale Herausforderung bei der Recherche. Während manche sich lieber in ihrer Trauer zurückziehen, hilft es anderen, sich zu öffnen und einen Raum zu finden, wo es keine Tabus gibt und sämtliche Emotionen erlaubt sind. Der Film bietet keine universellen Lösungen für jeden Menschen. Eine nicht repräsentative Umfrage unter Freund*innen und Bekannten zeigte jedoch, dass viele Menschen sich allein und verloren fühlen in ihrer Trauer. Eine repräsentative Studie unter 18-30-Jährigen belegte diesen Eindruck. Die Mehrheit war der Auffassung, es würde zu wenig über Tod und Trauer gesprochen.
So gibt es immer mehr Trauerbegleiterinnen, die sich hauptberuflich und auf verschiedenstem Wege dem Verlust widmen. Eine von ihnen ist Anemone Zeim. An ihrem Namen und ihrem bunten Laden in Hamburg kommt man nicht vorbei, wenn man zum Thema Trauerarbeit recherchiert. Die diplomierte Grafikdesignerin hat eine tabufreie Zone für die Trauer geschaffen. Stets ist sie mit ihren Klient*innen auf der Suche nach kreativen Ausdrucksformen für ein häufig diffuses Gefühl. Sie hilft Menschen, ihre Gefühle zu verstehen und vor allem Erinnerungen an geliebte Menschen zu bewahren. Sie ermutigt ihre Klient*innen, sich mit der Trauer zu befassen, statt diese zu verdrängen. Auch aus eigener Erfahrung weiß Anemone Zeim, wie wichtig das ist.
Wir begleiten die Trauerexpertin in unserem Film vor allem auch deshalb, weil sie sich für eine neue Trauerkultur einsetzt und das Thema gesamtgesellschaftlich angeht. Aus Überzeugung, dass Trauer auch politisch und nicht nur privat ist, berät und coacht sie auch Unternehmen und bildet zu Trauerbegleiter*innen aus. Gerade am Arbeitsplatz herrscht häufig Ratlosigkeit im Kollegium, was den Umgang mit Trauernden im Unternehmen betrifft. Anemone Zeim hilft Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine bessere Kommunikation mit trauernden Kolleg*innen zu finden.
Es war uns auch ein Anliegen, eine noch größere Ebene für das Thema zu finden. Auf der Suche nach einem Land oder einer Stadt, die Trauerarbeit auch auf der institutionellen Ebene fördert, die Forschung zum Thema vorantreibt und eine niedrigschwellige Beratung für Trauernde anbietet, stießen wir auf das European Bereavement Network - einem Zusammenschluss verschiedener Organisationen und Vereine, die sich auf Trauer spezialisieren und auf europäischer Ebene vernetzen und austauschen.
Eine unter ihnen ist das Nationale Sorgcenter aus Dänemark. Die gemeinnützige Organisation ist eine professionalisierte Anlaufstelle für Menschen in Trauer und bietet gleich verschiedene Lösungen – von einer Trauerhotline, bei der sich Hinterbliebene mit Ehrenamtlichen über ihre Trauererfahrungen austauschen können, hin zu einer spezialisierten Gruppentherapie für trauernde Jugendliche. Der Gründer des Zentrums, Psychotherapeut Preben Engelbrekt, setzt sich auch bei politischen Entscheidungsträger*innen dafür ein, ein umfassendes, kostenloses Angebot für Menschen in Trauer anzubieten.
Die Recherchen und Dreharbeiten zu diesem Film waren eindrucksvoll und augenöffnend. Mehr als bei anderen Projekten, danke ich hier insbesondere allen Beteiligten für ihr Vertrauen. Ich hoffe, dass ihre Offenheit beispielhaft sein kann für andere Menschen, die einen geliebten Menschen verloren haben und hier und da Gespräche anstößt, die zumindest im Kleinen zu einem neuen, furchtloseren Umgang mit der Trauer führen.
von Stella Könemann