Ich muss gestehen, dass ich schon seit einiger Zeit weiß, dass Kaffee in Bezug auf die Umwelt und auf die Menschen, die ihn produzieren, ein problematisches Lebensmittel ist.
Trotzdem schiebe ich dieses Wissen seit Jahren in meine mentale "Tja, da kann man wohl nichts machen"-Schublade. Allein die Vorstellung, auf meine morgendliche Tasse Kaffee verzichten zu müssen, verursacht bei mir Herzklopfen, das nicht nur auf Koffein zurückzuführen ist.
Als ich erfuhr, dass Kaffeeanbau einer der Hauptgründe für die Abholzung von Regenwäldern ist, ging es nicht mehr so leicht, diese Schublade zuzuschieben. Mir wurde klar: Ich möchte herausfinden, ob Kaffeeanbau auch umweltschonend und sozial gerecht gelingen kann. Doch bei der Recherche stieß ich zunächst auf weitere Probleme: Studien von der Universität Zürich und der Universität Chicago belegen weitverbreitete Kinderarbeit und Zwangsarbeit im Kaffeeanbau.
Untersuchungen von Danwatch und Finnwatch zeigen, dass auch Kaffee, der Bio- und Fair Trade-zertifiziert ist, nicht unbedingt eine Garantie für ein Produkt ohne Kinderarbeit, ohne Abholzung, ohne Abfallprodukte und ohne die Verschwendung unfassbarer Mengen Wasser ist. Auch die etwas höheren Abnahmepreise bei Fair Trade sind zu niedrig, um Kaffeebauern ein existenzsicherndes Einkommen zu garantieren. Die Mehrheit der Kaffeefarmer weltweit befinden sich trotz harter Arbeit in Armut oder sogar extremer Armut.
Generell verdienen die Farmer einen miserabel kleinen Anteil von der Tasse Kaffee, für die ich im Café oft über 3 Euro bezahle: laut Heifer International, teils weniger als 1 Cent. Der Rest geht an die Mittelsmänner, große Kaffeehändler und Röstereien. Während viele Kaffeebauern weniger als 2 US-Dollar am Tag verdienen, nimmt der Geschäftsführer von Starbucks jedes Jahr über 20 Millionen Dollar für sich in Anspruch. Das alles verleiht Kaffee einen bitteren Nachgeschmack und ließ mich mit einer wichtigen Frage für mein morgendliches Lieblingsgetränk zurück: Was kann man als Konsument*in dagegen machen?
Bei der Recherche bin ich auf einen Artikel über einen jungen Kaffeebauern gestoßen, der später der Hauptprotagonist des Films wurde. David Benitez gehört dem indigenen Volk der Lenka an und lebt mit seiner Familie in einem einfachen Lehmhaus in den Bergen von Honduras. Auf seiner Plantage beweist er, dass Kaffeeanbau für Mensch und Umwelt positiv sein kann. Mit seinen Methoden will er den Kaffeeanbau in seinem Land revolutionieren. Denn um ihn herum verlassen Tausende ihre Plantagen und wandern aus. In Mittelamerika ist das Phänomen inzwischen so weit verbreitet, dass Kaffeeorganisationen wie PROMECAFE besorgt sind, ob noch genug Kaffee angebaut werden kann.
Einer der Hauptgründe für den Exodus ist die Ausbreitung von Sonnenanbau-Monokulturen. Kaffeebauern holzen immer mehr Regenwälder ab: laut der unabhängigen dänischen Statistiken-Webseite TheWorldCounts schon 11 Millionen Hektar allein dieses Jahr. Der Grund: sie möchten neue hybride sonnenresistente Sorten anbauen. Diese wurden in den 1970er Jahren entwickelt und erzielen höhere Erträge als die traditionellen Sorten, die naturgemäß im Schatten wachsen.
Doch der kurzfristig schnelle Erfolg hat langfristig einen hohen Preis. Die Erzeuger müssen viel Geld für Düngemittel, Insektizide und Pestizide ausgeben, manchmal mehr als sie verdienen. Die Produkte verseuchen Gewässer und Böden. Die Böden sind nach 8 bis 15 Jahren so nährstoffarm, dass vielen Bauern nichts übrigbleibt, als ihre Plantagen zu verlassen und neue Wälder abzuholzen oder ganz aufzugeben.
Auf der Fahrt zum Dreh in Honduras waren die Spuren dieser Praxis in manchen Regionen nicht zu übersehen: Kahlgeschorene Berge soweit das Auge reicht. Viele Wälder wurden erst vor Kurzem abgeholzt, die gefällten Bäume lagen noch kreuz und quer auf den nackten Hängen, bereit für die Sonnenanbau-Monokulturen. Umso beeindruckender war es, auf David Benitez’ Wald-Biofarm anzukommen. Der studierte Agrarökologe verbindet modernes Wissen mit den traditionellen Anbaupraktiken seiner Vorfahren.
In seiner Plantage wachsen über und zwischen den Kaffeebäumen dutzende Arten von Schattenbäumen, Obstbäumen, Mais, Bohnen und Gemüse. Genug, um die Großfamilie komplett mit Lebensmitteln zu versorgen und den Rest auf dem Markt zu verkaufen. Nebenbei produziert er einen biologischen Spitzenkaffee, für den er durch die kleine lokale Kaffeeinitiative "Catracha Coffee" das Doppelte der Fair Trade Preise verdient und zudem an den Gewinnen beteiligt wird. Er verschwendet in Anbau und Verarbeitung keinen Tropfen Wasser und keinen Teil der Pflanze.
Der Farmer der nächsten Generation hat es geschafft, sich von den Schwankungen des Markts, von den internationalen Kaffeehändlern, den industriellen Verarbeitungsanlagen und den Chemiekonzernen unabhängig zu machen und mit seinem Kaffee die Natur zu beschützen. Seine Mission ist es nun, anderen Kaffeefarmer*innen und Konsument*innen zu zeigen, dass Kaffee auch ohne Elend und Umweltzerstörung geht.
Bei den Recherchen war mir aufgefallen: Eigentlich verwenden wir nur einen Bruchteil der Kaffeeernte. Die Kaffeekirsche, das Furchtfleisch, wird in der Regel weggeworfen. Ich suchte nach neuen Lösungsansätzen und fand das US- Startup Coffee Cherry Co. Es hat eine "win-win-win" Lösung für die Abfallberge entwickelt, die bei der Kaffeeverarbeitung anfallen. Die riesigen Abfallhaufen geben Methangas frei und verseuchen Gewässer.
Das Start-Up hingegen sieht in dem vermeintlichen Müll ein wahres "Superfood". Reich an Antioxidantien, Ballaststoffen und Nährstoffen, kann die Kirsche getrocknet und zu Mehl gemahlen in eine gesunde Zutat für Brote, Kuchen, Tortillas verwandelt werden. Hier habe ich mich gerne als Probekosterin zur Verfügung gestellt. Der Selbsttest war spannend – mir schmeckte der fruchtige Tee-ähnliche Geschmack der Kaffeekirsche ganz besonders gut im Schokokuchen, in Gnocchi und in Brot. Außerdem ist mir aufgefallen, wie viel schneller ich von den Tortillas mit Kaffeekirschenflocken satt wurde als von denen ohne. Das liegt an dem hohen Ballaststoff- und Nährstoffgehalt.
Für den Film war es mir wichtig, alle Bereiche der Nachhaltigkeit abzudecken. Dazu zählt natürlich nicht nur die Produktion, sondern auch der Transport. Aber Kaffee aus Deutschland, kann es das geben? Ich stellte fest, dass es tatsächlich eine regionale Alternative zu Kaffee gibt, die immer beliebter wird: Lupinenkaffee. Der enthält zwar kein Koffein, aber gerade abends kann er den herkömmlichen Kaffee gut ersetzen. Für mich schmeckt Lupinenkaffee kaffee-ähnlicher und geschmeidiger als die meisten bekannteren Getreidekaffees. Der Anbau der robusten Hülsenfrucht ist zudem gut für die Böden, da die Lupine Nährstoffe in die Erde zurückführt.
Seit ich diesen Film gedreht habe, achte ich darauf, Kaffee aus Schattenanbau von transparenten kleinen Kaffeefirmen zu beziehen, die ihre Gewinne mit den Kaffeebauern teilen. Seitdem kann ich meinen Morgenkaffee wieder in vollen Zügen genießen. – Kaffee geht eben auch ganz anders.
von Sarah Mabrouk