Wo kann der Weg in eine nachhaltigere und sozialere Wirtschaft beginnen? In Banken? An der Börse? Vielleicht. Unsere Recherchen dazu führten uns an andere Orte: In Gemeindezentren und auf Fußballplätze, auf Äcker, in Fabriken, Rathäuser und Universitäten. Denn überall dort trafen wir Menschen, die sich für eine andere Art des Wohlstands einsetzen.
Wie in Linwood, einem Vorort von Glasgow, den wir für die Dreharbeiten an einem grauen und regnerischen Herbsttag besuchen. Ein bisschen passt das Wetter zur Stimmung, die lange in Linwood herrschte. Hier hatten nach dem Niedergang der ehemals florierenden Automobilindustrie immer mehr Betriebe geschlossen. Menschen verloren ihre Jobs - und damit oft das Vertrauen in die Wirtschaft: In die Industriekonzerne, die den Ort verlassen hatten, in die Einzelhandelsketten, die Filialen in Linwood aufgegeben hatten. 2011 wurde Linwood sogar zur "trostlosesten Stadt Schottlands" gewählt.
"Wir wollten nicht mehr hinnehmen, wie die Gemeinde damals war" erzählt uns Kirsty Flannigan. Kirsty ist Mitte 40, tatkräftig und voller Energie. "Wir sind eine Gruppe von einfachen, berufstätigen Müttern und wir wollten hier ein besseres Leben, für uns und unsere Kinder." Deshalb gründeten sie eine gemeinnützige Initiative, den "Linwood Community Trust".
Heute betreibt die Initiative unter anderem einen Obst- und Gemüsehandel. Auf Kirstys Kundenliste stehen viele Adressen in den Wohnvierteln, in denen es keine Läden mehr gibt und die sie mit gesundem Essen beliefern. Alle Gewinne, die die Initiative erwirtschaftet, fließen wieder zurück in ihre Projekte. Gerade konnten sie auch ein neues Gemeindezentrum mit Theatersaal, Restaurant und Fußballplätzen eröffnen.
Dass sich das Leben in Linwood so wieder verbessert, ist dem Engagement der Frauen zu verdanken, aber auch über 1,5 Millionen Pfund staatlicher Förderung, die in ihre Projekte geflossen sind. Die schottische Regierung will die lokale Wirtschaft und das Leben in den Gemeinden stärken – und das ist nur ein Teil einer großen wirtschaftlichen Veränderung.
Eine "Wellbeing Economy" soll entstehen: Eine Wirtschaft, die nicht finanziellen Gewinn, sondern das Wohlbefinden der Menschen in den Mittelpunkt stellt. Dazu will die Regierung auch verändern, wie Wohlstand gemessen wird. Neben dem Bruttosozialprodukt werden jetzt andere Indikatoren erhoben: zum Beispiel zu Bildung, dem Wohlbefinden von Kindern, zu Gesundheit und zum Zugang der Menschen zu Grünflächen oder kulturellen Aktivitäten. So soll ein besseres Bild entstehen, wie es den Menschen in Schottland wirklich geht.
Die Politikwissenschaftlerin Katherine Trebeck aus Glasgow ist vom Konzept der "Wellbeing Economys" überzeugt: "Wir brauchen eine Wirtschaft, die nicht allein auf finanziellen Gewinn setzt, sondern den Menschen wirklich nützt". Die junge Wissenschaftlerin arbeitet für die Organisation "Wellbeing Economy Alliance".
Wir treffen sie bei unseren Dreharbeiten in Linwood. Katherine Trebeck kennt die Initiative der Frauen dort seit langem und umarmt Kirsty Flannigan herzlich, als die ihr stolz das neue Gemeindezentrum zeigt. Für Katherine Trebeck sind die Frauen aus Linwood ein gutes Beispiel, wie Menschen durch eigenes Engagement die Wirtschaft im Kleinen verändern können.
Neben Schottland gehen Neuseeland, Wales, Island und Finnland wirtschaftlich diesen neuen Weg und die Regierungen haben sich zur Gruppe der "Wellbeing Economy Governments" zusammengeschlossen. Deutschland ist nicht dabei. Aber auch hier setzen sich viele Menschen für eine Wirtschaftsweise ein, in der das Wohl von Menschen und Umwelt das wichtigste Ziel ist.
Unsere Recherche in Deutschland führt uns nicht nur ins Wirtschaftszentrum Frankfurt, sondern auch aufs Land: In den Kreis Höxter in Westfalen, weit entfernt von den Ballungszentren. Hier liegt ein Zentrum der deutschen Gemeinwohlbewegung. In den letzten Jahren haben zahlreiche Unternehmen neben der Finanzbilanz eine so genannte "Gemeinwohlbilanz" erstellt. Die gibt zum Beispiel an, wie gerecht es in einem Unternehmen zugeht, wie stark Mitarbeiter mitentscheiden dürfen oder wie umweltfreundlich ein Betrieb arbeitet.
"So bekommen Unternehmer neue Ideen, was sie verbessern können" erklärt uns Christian Einsiedel von der Stiftung Gemeinwohl-Ökonomie NRW. Als wir ihn im Kreis Höxter besuchen, herrscht um sein Büro herum eine große Baustelle. Die Stiftung ist dabei, eine alte Möbelfabrik zu einem Startup Center für Gemeinwohl-Betriebe umzubauen. Gerade startet eine Fabrik für vegane Fleischalternativen den Betrieb und überall stehen große Kisten mit Maschinenteilen, ein Elektriker verlegt neue Leitungen.
Christian Einsiedels Job ist es, Unternehmer bei der Gemeinwohl-Bilanz zu beraten, zum Beispiel den Obst- und Gemüsehändler Klaus Engemann. Der sieht viele Vorteile für seinen Betrieb, wenn er sich an den Prinzipien der Gemeinwohlökonomie ausrichtet: "Wenn die Mitarbeiter zufrieden sind, bleiben sie auch im Betrieb, das ist wichtig für uns", sagt er. Durch die Gemeinwohlbilanz könne er seinen Kunden außerdem zeigen, wie der Betrieb arbeitet.
Bisher machen nur besonders engagierte Unternehmer diese Bilanz. Aber hinter dem Konzept steckt eine größere Idee, von der Christian Einsiedel gerne erzählt: "Wenn so was ähnliches wie die Gemeinwohlbilanz genauso verpflichtend wäre wie die Finanzbilanz, dann könnte man den Firmen finanzielle Vorteile verschaffen, die das sehr gut machen". Wer eine gute Gemeinwohlbilanz hat, könnte zum Beispiel weniger Steuern zahlen. Doch diese Vorstellung gefällt nicht jedem. Kritiker befürchten ein Übermaß an Bürokratie. Aber Einsiedel ist überzeugt von dem Konzept: "Das ist alles noch Vision, vielleicht ein bisschen Utopie, aber wenn wir nicht träumen, dann kommen wir nie dahin".
Vom Privatinvestor über Betriebe und Kommunen, bis hin zu ganzen Staaten: In unseren Recherchen haben wir viele Ideen gefunden, wie die Wirtschaft sich verändern kann. Die Hoffnung dahinter: So soll ein Wohlstand entstehen, in dem nicht Geld die Hauptrolle spielt, sondern bei dem Werte wie eine lebendige Gemeinschaft, Mitbestimmung, Gerechtigkeit und eine intakte Umwelt ebenso wichtig sind.
von Alexandra Hostert