Es war die Geschichte von Ojok Okello, die uns begeisterte und den Anstoß für unsere Recherche gab - diese Story vom ehemaligen Flüchtlingskind aus Uganda, das nach 35 Jahren mit einem Studium in ländlicher Entwicklung in der Tasche in seinen Heimatort zurückkehrt, und da die ganze Dorfgemeinschaft mitreißt, einen eigenständigen Weg aus der Armut zu finden.
Zusammen bestimmten sie zuallererst, was zu einer Verbesserung ihrer Situation beitragen könnte, dann machten sie sich gemeinschaftlich an die Umsetzung. Eine kooperative Bank entstand, eine medizinische Versorgungsstation und ein Dorfladen. Mit Hilfe eines Zuschusses konnte das Dorf sogar seine Idee realisieren, aus den Früchten der heimischer Butterbäume eine eigene Produktion für Shea Butter aufzubauen. Eine klassische Self-Empowerment-Geschichte, getragen vom Enthusiasmus aller Beteiligten.
Warum aber funktioniert hier, was in vielen Projekten langfristig fehlschlägt? Die Frage ließ uns nicht mehr los. Und je mehr wir recherchierten, desto häufiger fanden wir Beispiele von mutigen Menschen mit Erfindungsreichtum in armen Ländern auf der einen und gescheiterte Entwicklungsprojekte auf der anderen Seite. Wir fragten uns: Was läuft falsch in der Entwicklungshilfe? Je tiefer wir eintauchten, desto klarer wurde uns, dass von staatlichen Budgethilfen allzu oft vor allem korrupte Eliten gefördert werden statt die Bevölkerung. Wir fanden jede Menge gute Ansätze, die aber leider ohne nachhaltige Wirkung bleiben. Hilfsorganisationen, die Eigeninteressen vertreten. Von außen übergestülpte Lösungen, die an den lokalen Bedürfnissen vorbeigehen.
Aber wir fanden auch jede Menge Menschen, die sich mit einem neuen Spirit und frischen Ideen an die so genannte Entwicklungszusammenarbeit machen. Sie suchen Lösungen, die vor Ort entstehen und Leute, die diese umsetzen wollen, weil sie den Drang zur Veränderung in sich tragen. Diese gezielt zu stärken – durch Investitionen in ihre Ideen und Unternehmungen – ist der Ansatz einer neuen Generation von Akteur*innen.
Über Umwege stießen wir auf Tibor Sprick und Christoph Dillenburger. Die beiden jungen Saarbrücker sind die Gründer des Blue Future Project und verkörpern genau diesen frischen Geist ebenbürtiger Kooperation. Die beiden haben im Saarland eine Mineralwassermarke aufgezogen, um die Gewinne in Afrika zu investieren – in Geschäftsideen, die dort dazu beitragen, die Bevölkerung mit sauberem Wasser zu versorgen.
Inzwischen arbeiten sie mit Askwar Hilonga in Tansania zusammen. Der Chemieingenieur hat einen einfachen Wasserfilter erfunden, der ohne Strom und chemische Zusätze auskommt und sich so selbst in entlegensten Gebieten des Landes ganz ohne Infrastruktur betreiben lässt. Gemeinsam mit Hilonga baut das Blue Future Project ein Franchise-Netz von Wasserkiosken auf, in denen Frauen und Männer das Wasser reinigen, um es zu erschwinglichen Preisen zu verkaufen. Jeder Kiosk trägt nicht nur dazu bei, Krankheiten zu verhindern, die durch schmutziges Wasser entstehen können, sondern auch Existenzen aufzubauen und Arbeitsplätze zu schaffen. Es sind meist Frauen, die die Kioske betreiben und sich und ihre Kinder nun versorgen können.
Entgegen dem weitverbreiteten Klischee vom hilflosen Kontinent gibt es im globalen Süden jede Menge Knowhow und Menschen mit unternehmerischen Geist, doch allzu oft fehlt es an den politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, oder schlichter gesagt: am Geld.
Die klassische Entwicklungszusammenarbeit hat hier bislang wenig erreicht. Und in den Augen von Investoren bringen kleinere Geschäftsideen meist zu wenig Profit. So exisitiert eine riesige Investitionslücke für Gründungswillige in Afrika. Kleine- und mittelständische Betriebe können sich nicht entwickeln und wachsen. Für dieses Problem öffnete uns Till Wahnbaeck die Augen.
Der Hamburger war lange Jahre Manager in der freien Wirtschaft und dann Vorstand der Welthungerhilfe. Weil er mit keiner seiner Tätigkeiten erreichen konnte, was ihm vorschwebte, gründete er Impacc. Die Social Business NGO verbindet sozusagen das beste aus beiden Welten. Impacc verwendet Spenden, um langfristig in kleine, nachhaltige Unternehmen zu investieren, die „geduldiges Geld“ brauchen. Wie solche Partnerschaften funktionieren, konnten wir in Nairobi erleben. Hier hat die junge Materialwissenschaftlerin Nzambi Matee ihre Firma Gjenge Makers aufgebaut, die aus Plastikmüll und Sand Bausteine herstellt. Impacc unterstützt die Gründerin mit Geld und strategischer Beratung. In zehn Jahren – so das Konzept von Wahnbaecks NGO, wird Impacc sich zurückziehen und das investierte Geld wiederbekommen, um es in neue Projekte zu stecken. Ohne Zins und Profit, versteht sich.
Neue Entwicklungsideen mit Start-up-Methoden
Auch große Player setzen mehr und mehr auf die Förderung lokaler Ideen. So hat sich das World Food Programme Arbeitsmethoden aus der Start-up-Szene abgeguckt und seinen eigenen Inkubator aufgebaut, den „Innovation Accelerator“. In der Münchner Zentrale landen Konzepte aus der ganzen Welt und werden in Ausscheidungsrunden und Bootcamps auf Herz und Nieren geprüft, bis sich die besten in einem halbjährigen Sprintprogramm beweisen müssen. Nur wenn der Prototyp besteht, geht er in den Roll-out, das heißt, es gibt auch mittelfristig Geld für die Umsetzung der Idee.
Spannend daran fanden wir nicht nur die Tatsache, dass neue Ideen auf diesem Weg schnell ausprobiert werden können, sondern auch, dass lokales Wissen essentieller Teil des Ideengenerators ist. Viele Einfälle und ihre Entwickler*innen kommen aus den betroffenen Regionen selbst - und denken lokale Materialien und Möglichkeiten schon mit. Dass wenige Mittel ausreichen können, in wasserarmen Gegenden Gemüse zu züchten, konnten wir dann bei der Umsetzung des H2Grow-Projektes in Sambia dokumentieren. Mithilfe von Hydroponik – dem Anbau von Pflanzen in nährstoffreichem Wasser, statt in Erde - können Menschen sich selbst mit Gemüse versorgen und Überschüsse auf dem Markt verkaufen. Die Idee brachte ursprünglich ein algerischer Agraringenieur ins Bootcamp mit, heute wird sie in vielen Ländern der Welt erfolgreich umgesetzt.
von Johannes Buck und Detlev Konnerth