Künstliche Intelligenz als Lösungsansatz. - Wie jetzt? Ist das ernst gemeint?
Der Begriff "Künstliche Intelligenz" war mir bis zu diesem Zeitpunkt nur während der Beschäftigung mit autonomen Waffensystemen begegnet. Als ich dann von diesem Auftrag hörte, war Skepsis das vorherrschende Gefühl. Zugegeben: Skepsis gegenüber einer Technologie, mit der ich mich im Zusammenhang mit der Medizin so gut wie gar nicht auseinandergesetzt hatte.
Also machte ich mich an die Arbeit.
Mentale Unterstützung in meinen Vorbehalten gegenüber Künstlicher Intelligenz erhoffte ich mir bei Richard David Prechts "Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens". Ich kaufte mir sein Essay als Hörbuch. Es sollte mich während der gesamten Produktionsphase auf langen Bahn– und Autofahrten begleiten. Zunächst wurde mit jedem Kilometer, den ich im Zug oder auf der Autobahn hinter mich brachte, meine Skepsis gegen den Einsatz von Künstlicher Intelligenz weiter genährt. Und die Frageliste an meine Gesprächspartner wurde länger und länger.
Die Befürchtung, dass der Einsatz von Künstlicher Intelligenz dazu dienen könnte, nicht nur die menschliche Arbeitskraft, sondern noch dazu das menschliche Gehirn zu ersetzen, nährte meine diffusen Zweifel. Precht schreibt dazu:
So betrachtet wäre das Thema "Künstliche Intelligenz in der Medizin" auf dem Sendeplatz plan B ein echter Fehlgriff. Hatte Precht womöglich Recht?
Wird die KI zukünftig den Arzt ersetzen?
Zumindest diese Sorge ließ sich schnell zerstreuen. Der dystopische Gedanke, Maschinen könnten Kranke therapieren, liegt bei genauer Betrachtung mindestens noch in sehr weiter Ferne.
Stattdessen konnte ich beobachten, dass die enormen Rechenleistungen der Künstlichen Intelligenz die Fähigkeiten des Arztes erweiterten. Ein in Sekundenschnelle präzise ausgewerteter CT-Scan einer Leber - wie z.B. im Fall des Universitätsklinikum Essen - macht die Transplantation für Spender und Empfänger sicherer. Dass diese Rechenleistung jedoch den Arzt und seine menschliche und emotionale Kompetenz ersetzen würde, steht nicht zu befürchten. Stattdessen begegneten mir vor allem Ärzte, die dankbar waren, dass sie mit Hilfe der KI besser, schneller, sicherer und zum Teil auch kostengünstiger Diagnosen stellen konnten.
Nach zahlreichen Telefonaten und der Lektüre verschiedener Studien habe ich die positiven Anwendungen der KI in der Medizin für den Film so zusammengefasst:
Überall dort, wo in CT-Scans, MRT-Bildern oder anderen Quellen Muster ausgewertet werden müssen, kann die KI die Fähigkeiten des Arztes ergänzen und seine Diagnose verbessern. Neben der hohen Präzision liefert die KI die Ergebnisse außerdem in einem Tempo, das für den Menschen unerreichbar ist. Das spart Zeit und häufig auch Kosten. Beides kann dem Patienten bzw. dem Beitragszahler zugutekommen. Somit war ich mir an dieser Stelle der Auseinandersetzung sicher, dass ich KI in der Medizin mit gutem Gewissen als Lösungsoption vertreten konnte.
Woher kommt der Begriff "Künstliche Intelligenz"?
Und dennoch schien es mir sinnvoll, für mein eigenes Verständnis tiefer in die Technologie der KI einzusteigen und abstrakte Begriffe wie "Algorithmus" und "Machine Learning" wenigstens oberflächlich mit Leben zu füllen.
Denn im Laufe der vielen Gespräche wuchs die Erkenntnis, dass der Begriff "Künstliche Intelligenz" ein sprachliches Konstrukt ist, das wahrscheinlich wenig hilfreich ist, weil es falsche Assoziationen weckt. In meiner eigenen Vorstellung jedenfalls war lange die Vorstellung von selbständig und autonom agierende Maschinen allgegenwärtig.
"Intelligenz" jedenfalls ließe sich als die Fähigkeit beschreiben, einmal gelerntes Wissen auf eine unbekannte neue Situation anzuwenden und eine gute bzw. richtige Entscheidung zu treffen. Das ist sicher nur eine von vielen möglichen Beschreibungen von intelligentem menschlichem Verhalten. Aber egal welche Definition von Intelligenz man nimmt: die Rechenvorgänge der Computer werden damit – Stand heute – nicht intelligenter.
Stattdessen trainiert der Mensch den Computer meist über Algorithmen und mit Hilfe vieler Daten auf ein Verhalten in einem konkreten Anwendungsgebiet. In schwierigen Entscheidungssituationen aber braucht der Computer das Feedback des Menschen, der offene Fragen löst bzw. den Prozess überwacht und in kritischen Momenten Entscheidungen trifft.
Die Geschichte der KI
In dem für uns relevanten Umfang wurde Künstliche Intelligenz 1956 ein erstes Mal beschrieben. Damals definierten die Konferenzteilnehmer am Dartmouth College in Hanover, New Hampshire (USA) die Vorstellung, dass Denken auch ausserhalb des menschlichen Gehirns stattfinden kann: Künstliche Intelligenz.
1997 erfolgte bei der Entwicklung der KI ein erster Meilenstein, als der Computer „Deep Blue“ den Schachweltmeister Kasparov in einem legendären Match besiegte.
Die Fachwelt jubelte und war sich sicher, den Durchbruch zu einem im menschlichen Sinne intelligenten Computer erreicht zu haben. In der Folge blieb der Durchbruch jedoch aus und stattdessen manifestierte sich mehr und mehr die Erkenntnis, dass es allein Rechenleistung, und die Verarbeitung großer Datenmengen in einem enorm hohen Tempo war, die zu den scheinbar intelligenten Ergebnissen führte. Auch wenn sich in den folgenden Jahren und Jahrzehnten die Rechenleistungen und der Umfang der Datenverarbeitung weiterentwickelt hat: Im Großen und Ganzen ist das bis heute so geblieben (Kritiker oder Skeptiker mögen hier vielleicht ein "noch" hinzufügen).
KI und die Profitgier
Ich war auf dem Weg zur Berliner Charité als ich Precht zuhörte, wie er die Sorge äußert, der wesentliche Grund für den Einsatz Künstlicher Intelligenz bestünde darin, Gewinne zu erzielen.
Ist es wirklich so leicht und so eindeutig? An der Berliner Charité besetzt Prof. Soekadar den Lehrstuhl für Translation und Neurotechnologie. Sein Anliegen ist es, technologische Fortschritte so in den Alltag von Patienten zu implementieren, dass sie deren Lebensqualität verbessern.
Begleitet von ethischen Diskussionen und der Arbeit eines Ethik-Beirates wird die Technik zur Hoffnung für Patienten, die bisher kaum oder keine Hoffnung auf Heilung haben.
In diesem Bereich der Medizin gilt eine klare Grenze: Technik hilft, verloren gegangene Fähigkeiten zu ersetzen. Ethisch nicht vertretbar ist hingegen der Einsatz der Technik, um die menschlichen Fähigkeiten pauschal zu erweitern. Letzteres wäre die zu kommerziellen Zwecken eingesetzte KI. Dieser Bereich war nie Thema des Films und war auch für die befragten Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen eine nicht zu akzeptable rote Linie.
Stattdessen fördern und fordern die Mediziner:innen zeitgleich zur Weiterentwicklung der KI auch den Gesetzgeber. So hat die EU-Kommission im vergangenen Jahr den weltweit ersten Vorschlag vorgelegt, wie ein Rechtsrahmen für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz aussehen kann. Das Ziel: "Europa soll das globale Zentrum für vertrauenswürdige künstliche Intelligenz werden." Im Rahmen der EU-Richtlinie soll die Verwendung von KI in Europa geregelt werden. Im Kern geht es darum, den Einsatz von KI-basierten Systemen in bestimmten Bereichen zu verbieten, um Gefahren durch die Technologie einzudämmen. Die geplante Verordnung soll deshalb immer dann regelnd eingreifen, wenn die Sicherheit und die Grundrechte der EU-Bürger auf dem Spiel stehen.
Dieser weltweit einmalige Vorschlag betritt rechtlich unsicheres Terrain und wird erst in den weiteren Diskussionen zwischen Kommission, Rat und Parlament seine Belastbarkeit noch unter Beweis stellen müssen. Dennoch hat der Vorstoß Relevanz. Nur viel Zeit darf sich die Politik in Brüssel für die dringend notwendige Diskussion nicht lassen. Denn die Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz schreiten rasant voran und der Gesetzestext muss auch die Software mitberücksichtigen, die es heute noch gar nicht gibt.
Am Ende der Recherche für diesen Film bin ich auch am Ende des Essays von Precht angelangt und kann dem zustimmen, was ich dort über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz lese:
Am Ende eine Erkenntnis
Nach vielen Gesprächen, Lektüre und zahlreichen berührenden Begegnungen mit Ärzten und Patienten und Patientinnen komme ich zu dem Fazit, dass wir statt diffuser Ängste eine fundierte Auseinandersetzung mit den Chancen und Risiken der KI brauchen, damit wir weiter von ihren Möglichkeiten profitieren können, während wir die Gefahren minimieren. Um unsere Zukunft zu gestalten, werden wir uns weder ausschließlich von Lebensmitteln aus der Permakultur ernähren können, noch können wir die fehlerhafte menschliche Natur hinter uns lassen, wenn wir unsere Gehirne durch Algorithmen optimieren.
Und ich persönlich komme am Ende der inhaltlichen Auseinandersetzung zu dem Schluss, dass ich es mit gutem Gewissen vertreten kann, KI in der Medizin als Lösungsvorschlag zu kommunizieren.
von Tatjana Mischke