Ukrainekrieg, Klimakrise und steigende Preise für Gas und Öl machen deutlich: Deutschland muss so schnell wie möglich raus aus der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen. Wie kann das funktionieren?
Prof. Quaschning ist deutscher Ingenieurwissenschaftler und Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Berlin und vertritt die Auffassung, dass die Energieversorgung für eine Begrenzung der globalen Erwärmung schnellstmöglich vollständig durch erneuerbare Energien gedeckt werden muss. In seinem neusten Buch kommt er zu dem Ergebnis, dass dies in Deutschland bereits bis 2035 erreichbar wäre. In der Kernenergie und der CO2-Abscheidung und -Speicherung sieht er keine ernst zu nehmenden Alternativen. Für einen derartigen Umbau der Energiewirtschaft ist nach Quaschning ein breiter Mix aus verschiedenen erneuerbaren Energien nötig. Speziell in der Solarenergie und Windkraft sieht er dabei große Potenziale.
Wie kann Deutschland unabhängig von Öl und Gas aus Russland werden?
"Sehr kurzfristig nur, indem wir möglichst viel Öl und Gas sparen und das restliche Öl und Gas aus anderen Ländern importieren. Dann verschieben wir aber nur unsere Abhängigkeit zu anderen Lieferländern. Darum müssen wir möglichst schnell die fossilen Energieträger durch erneuerbare Energien – möglichst aus Deutschland – ersetzen."
Wie können wir langfristig aus der Abhängigkeit von Importen fossiler Brennstoffe herauskommen? Welche konkreten Technologien und Maßnahmen brauchen wir?
"Wir müssen möglichst schnell das Ausbautempo bei den erneuerbaren Energien erheblich steigern. Das mit Abstand größte Potenzial haben in Deutschland die Windkraft und die Photovoltaik. Gemeinsam mit neuen Speichern und intelligenten Netzen können erneuerbare Energien unseren gesamten Energiebedarf für Strom, Wärme, den Verkehr und die Industrie klimaneutral sicherstellen."
Welchen Preis müssen wir dafür zahlen?
"Neue Solar- und Windenergie sind heute schon die billigsten Arten der Stromerzeugung in Deutschland. Wir müssen allerdings bereit sein, Windräder oder Solaranlagen im Landschaftsbild zu akzeptieren. Eine Energiewende, die man nirgendwo sieht, gibt es nicht. Natürlich müssen wir für einen schnellen Umbau auch erst einmal kräftig investieren. Über 20 oder 30 Jahre gerechnet sparen wir durch die vermiedenen Umwelt- und Klimaschäden am Ende aber viel Geld. Derzeit stammen allerdings fast alle Solarmodule aus Asien. Damit mögliche Lieferausfälle nicht unsere Energiewende gefährden, sollten wir einen Teil dieser Produktion unbedingt zurück nach Deutschland holen."
Wie sieht ihre Vision für eine unabhängige Energieversorgung beim Wohnen aus? Was sind Stellschrauben, die wir betätigen müssen?
"Die Politik muss dafür sorgen, dass nicht mehr die falschen Heizungssysteme eingebaut werden, die Öl oder Gas verbrennen. Gebäude zu dämmen ist immer gut. Das, was wir da in den nächsten 10 bis 15 Jahren einsparen können, ist aber sehr begrenzt. Darum sollten möglichst ab sofort nur noch klimaneutrale Heizungen eingebaut werden. Heizungen auf Basis der Tiefengeothermie, der Biomasse oder der Solarthermie sind gut. Bei diesen Technologien ist aber das Potenzial begrenzt oder sie sind vergleichsweise teuer. Darum wird die Wärmepumpe das Arbeitstier der Wärmeversorgung werden. Sie wandelt heimischen Strom aus Solar- und Windkraftanlagen besonders effizient in Wärme um und spart dadurch im Vergleich zur Gasheizung auch noch 70 bis 80 Prozent an Energie ein."
Welche Rolle könnte Wasserstoff für unsere Energieversorgung spielen?
"Es gibt Anwendungen, die ohne Wasserstoff nicht klimaneutral werden können. Für die Herstellung von Wasserstoff brauchen wir enorme Mengen an Energie und Wasser. Setzen wir zu stark auf Wasserstoff, explodiert der Bedarf an Solar- und Windstrom und die Kosten für die Energiewende nehmen sehr stark zu. Darum sollten wir Wasserstoff nur dort einsetzen, wo es keine bessere Alternative gibt, wie beispielsweise bei der Stahlproduktion, der chemischen Industrie, dem Flug- und Schiffsverkehr und der Langzeitspeicherung. Für das Verbrennen von Wasserstoff in Gasheizungen oder Autos ist er aber viel zu wertvoll und viel zu teuer."
Welche Rolle spielt die Mobilität beim Thema Energie? Sind E-Autos wirklich "die Alternative" zum Verbrenner?
"Wir haben in Deutschland viel zu viele Autos, die Sprit schlucken, die Städte verstopfen und schon bei der Produktion Unmengen an Ressourcen verschlingen. Das Elektroauto ist immer nur das kleinere Übel. Wir müssen die Alternativen zum Auto wie öffentlichen Personenverkehr, die Fahrradinfrastruktur oder Carsharing im Expresstempo ausbauen. Die Autos, die dann noch gebraucht werden, müssen natürlich alle elektrisch sein. Darum sollten wir dringend auch über ein Ende der Neuzulassungen von Benzin- und Dieselautos nachdenken. Wir dürfen außerdem den Flugverkehr nicht aus den Augen verlieren, der derzeit enorme Klimaschäden verursacht. Der Dieselmotor muss auch beim Güterverkehr verbannt werden."
Was sind die Stellschrauben der Politik, an denen sofort gedreht werden muss?
"Erst einmal dürfen wir nicht ständig den Bedarf an Erdöl oder Erdgas erhöhen, indem immer neue Benzin- und Dieselautos zugelassen und neue Öl- und Gasheizungen eingebaut werden. Hier sollte sich Deutschland ein Beispiel an Dänemark nehmen, wo seit 2013 keine neuen Öl- und Gasheizungen mehr eingebaut werden dürfen. Und dann müssen wir den Ausbau der Photovoltaik, der Windkraft und neuer Speicher erheblich steigern. "
Wie lange wird der "Umbau" aus der Abhängigkeit von fossiler Energie Ihrer Meinung nach dauern?
"In den letzten 10 Jahren hat die Politik bei der Energiewende mit beiden Füßen auf der Bremse gestanden und viele falsche energie- und verkehrspolitische Entscheidungen getroffen. Darum haben wir derzeit erst 20 Prozent erneuerbare Energien am Gesamtenergieaufkommen und deshalb ist unsere Abhängigkeit von Öl- und Gas aus Russland so groß. Wenn jetzt alle in Deutschland an einem Strang ziehen und nicht Bundesländer wie Bayern oder Sachsen weiter bei der Energiewende bremsen, könnten wir durchaus 2035 völlig unabhängig von fossilen Energieimporten sein und damit auch unsere Klimaschutzziele erreichen."
Was kann jeder Einzelne jetzt schon tun?
"Erst einmal keine Fehler machen, die später nur schwer und teuer zu korrigieren sind: Also keine neuen Benzin- und Dieselautos kaufen und dann möglichst keine neue Öl- und Gasheizung mehr einbauen. Jede längere Flugreise ruiniert die persönliche Klimabilanz. Wenn möglich, sollte man darauf verzichten. Auch unser hoher Fleischkonsum ist für unsere Klimabilanz tödlich und ist auch für unsere Gesundheit nicht gut. Hier gilt: Weniger ist mehr. Ansonsten ist jede Form des Energiesparens und jeder Beitrag zum Ausbau erneuerbarer Energien hilfreich, sei es auf dem eigenen Dach oder durch eine Beteiligung, zum Beispiel an einer Energiegenossenschaft. Am wichtigsten ist aber die breite Bereitschaft, endlich die nötigen Maßnahmen flächendeckend zu unterstützen und umzusetzen. Dann können wir uns in Deutschland mit unserer Energieversorgung schon sehr bald von anderen Ländern unabhängig machen, die Erderhitzung stoppen und so die Lebensgrundlagen unserer Kinder beschützen."
von Nanje Teuscher