Die Herausforderungen des Alltags meistert Miriam Ludewig mithilfe eines Notizbuches, dem Handy und der Unterstützung der Menschen in ihrer Umgebung. Mit ihrer Mentorin Anna Ikramova hat sie Mittel und Wege gefunden, ihre Auftritte als Sängerin zu proben und vorzubereiten.
Alles sofort aufschreiben
Miriam Ludewigs Erinnerungsverlust liegt an der Schnittstelle zwischen Langzeit- und Kurzzeitgedächtnis. Sie hat keine Amnesie, sondern eine extreme Form von Vergesslichkeit: "Was ich nicht aufschreibe, ist sofort weg. Mein Handy ist mein Gedächtnisersatz." Mit dieser Beeinträchtigung war an eine klassische Berufsausbildung oder ein Studium nicht zu denken. Stattdessen landete Miriam Ludewig nach der Schule in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Sie war unglücklich, fühlte sich fehl am Platz. Nur in der Musik fand sie Trost.
Schon als Kind sang sie im Kirchenchor, mit 16 nahm sie Gesangsunterricht, trat gelegentlich als Sopranistin auf. Sie kann keine Noten lesen. Neue Stücke studiert sie über Mitschnitte von Konzerten, das Hören von Schallplatten oder Musikclips ein. Melodien, Rhythmen, auch die Texte vergisst sie nie. "Musik", sagt Miriam Ludewig, "bedeutet mir alles. Sie ist das, woraus ich meine Energie ziehe. Sie erfüllt mein Leben."
Menschen für klassische Musik begeistern
Die Begegnung mit Anna Ikramova brachte die entscheidende Wende in Miriam Ludewigs Leben. Die Kantorin der Stiftung Eben-Ezer in Lemgo erkannte das musikalische Ausnahmetalent und setzte sich dafür ein, dass Miriam Ludewig 2019 von der Werkstatt zu einem ausgelagerten Arbeitsplatz als kirchenmusikalische Assistentin wechseln konnte. Gemeinsam bereiten die beiden nun die musikalische Untermalung der Gottesdienste in der Stiftungskirche vor und proben regelmäßig mit dem Kirchenchor.
Auch ihre Auftritte als Sopranistin in Kirchen und auf Konzertveranstaltungen studiert Miriam Ludewig gemeinsam mit Anna Ikramova ein. "Anna und ich sind ein tolles Team", schwärmt sie. "Ich wollte immer schon Menschen mit und ohne Behinderung für klassische Musik begeistern. Nun ist dieser Traum in Erfüllung gegangen."
- "einfach Mensch" berichtet in Folge 1 von "Das Leben ohne Erinnerung" über den an Multipler Sklerose erkrankten Martin Spangenberg.