Island kann manchmal wie ein fremder Planet erscheinen, so bizarr sind seine Landschaften: riesige Gletscher, schäumende Geysire, brodelnde Vulkane, staubtrockene Geröllwüsten und atemberaubende Wasserfälle. Die Insel im Nordatlantik ist ein launenhafter Hexenkessel, sie wird immer wieder von Vulkanausbrüchen heimgesucht. Erst jüngst öffnete der Bardarbunga seinen Höllenschlund – und erinnerte daran, dass Island vor rund 20 Millionen Jahren aus dem Feuer der Erde entstand.
Heiß und unberechenbar, so zeigt sich Island immer wieder. Die Ursache für die häufigen Vulkanausbrüche liegt tief im Untergrund: Unter der gesamten Insel brodelt eine gewaltige Ansammlung von Magma, ein sogenannter Plume. Dieser Plume schmilzt die Erdkruste, die sich über ihm befindet, wie ein Bunsenbrenner auf. Das geschmolzene Gestein sucht sich einen Weg nach oben, es sammelt sich in Magmaherden.
Gletscher und Vulkane – ein explosiver Mix
Ist die Verbindung dieser Magmaherde zum tiefer liegenden Plume unterbrochen, kann kein weiteres Magma nachfließen, und die Wände erkalten. Genau dies ist der Fall bei zahlreichen erloschenen Vulkanen im Westen der Insel, wie dem seit 4000 Jahren inaktiven Thrihnukagigur, in dessen Schlot man – wie Dirk Steffens – sogar hinunterfahren kann. Höchst aktiv dagegen sind alle Vulkane im Osten, wie der Bardarbunga, der seit Ende August 2014 unaufhörlich Lava und Schwefeldioxid ausspeit. Was ihn besonders bedrohlich macht, ist seine Lage: Der Bardarbunga ist kein einzelner Vulkan, sondern gehört zu einem 150 bis 200 Kilometer weit reichenden System. Sein Zentrum liegt verborgen unter Europas größtem Gletscher, dem Vatnajökull. Käme es dort zu einem Ausbruch, würde das im Gletschereis gebundene Wasser explosionsartig verdampfen. Gefährliche Gletscherläufe wären die Folge, und gewaltige Eruptionen würden Asche hoch in die Atmosphäre katapultieren.
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Ein geologischer Zufall ist für den ausgeprägten Vulkanismus im Osten Islands verantwortlich: Eine Spreizungszone, der Mittelatlantische Rücken, durchzieht auf rund 20.000 Kilometer Länge den Meeresboden des Atlantiks. In dieser Zone driften die amerikanische und die eurasische Kontinentalplatte auseinander – durchschnittlich um etwa zwei Zentimeter pro Jahr. Da die Erdplatten aufgrund der tektonischen Kräfte wandern, kam der Plume vor rund 20 Millionen Jahren direkt unter dieser Spreizungszone zu liegen. An der besonders dünnen Stelle kann bis heute unaufhörlich Magma an die Oberfläche gelangen. Der Plume sorgt für stetigen Nachschub aus dem Untergrund. Island ist also erst durch das Zusammenwirken zweier geologischer Kräfte, des Plumes und des Mittelatlantischen Rückens, zu einem derartigen Pulverfass geworden.
Verbündete im rauen Land
Seit Beginn seiner Besiedlung sind auf Island bereits 250 mal Vulkane explodiert. Die Wikingerfamilien, die sich im 9. Jahrhundert auf Island anzusiedeln begannen, ahnten von dieser Bedrohung nichts. Ihnen zeigte sich auf der Insel die Schönheit des Jenseits. Um 870 hatte sich eine kleine Gruppe von Wikingern mit ihren Schiffen, ihrem Hab und Gut, Pferden und Schafen aus Norwegen aufgemacht, um ein besseres Leben zu finden. Als die Siedler an Land gingen, glaubten sie sich in der Welt ihrer Götter: So hatten sie sich den Ort vorgestellt, an dem in ihrer Mythologie die Welt ihren Anfang nahm. Die bizarren Landschaften der Insel inspirierten sie und ihre Nachkommen zu vielen Geschichten und Legenden. Bis heute erzählen die meisten Isländer von ihrem Land als Heimat der Trolle und Elfen. Das verborgene Volk, das in seiner Anderswelt lebt, steht unter Schutz. Wo Elfen leben, müssen sogar Straßen einen Umweg nehmen.
Leicht ist es allerdings nicht, in dieser Wunderwelt zu leben – auch das mussten die Neuankömmlinge feststellen. Das Gelände zeigt sich bis heute unwegsam, schroff und voller Hindernisse, unzählige Flüsse stellen sich in den Weg. Aber die Wikinger hatten Verbündete: Ohne Pferde wäre die Besiedlung Islands kaum möglich gewesen. Die kleinen, kräftigen Islandpferde sind gute Schwimmer und zähe Arbeitstiere. Ihre Bedeutung erschöpfte sich aber nicht in ihrem Alltagsnutzen: Pferde galten als Wesen zwischen den Welten, als treue Gefährten von Menschen und Göttern. Die Pferde, die die Wikinger nach Island mitbrachten, entwickelten sich zu einer weltweit gefragten Rasse. Damit die Islandpferde so reinrassig bleiben, darf ein Tier, das einmal außer Landes gekommen ist, nie mehr auf die Insel zurück.
Jede Menge Holz
Immer noch werden die Islandpferde jedes Jahr im Frühsommer ins Hochland hinaufgetrieben und im Spätsommer wieder hinunter zu den Siedlungen. Der Grund: Die Weidegründe sollen sich erholen. Man hat aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Island ist nämlich nicht nur wegen des Vulkanismus und seiner nördlichen Lage so karg. Noch vor 1100 Jahren waren weite Regionen der Insel von Wäldern bedeckt. Die Isländer nutzten das Holz, das sie fanden, und schufen immer neue Flächen für ihre Siedlungen und für das Vieh. Aber ihre Schafe wurden zum Problem. Wie die Pferde dürfen sich im Sommer bis heute auch die Schafe ungehindert im Hochland bedienen. Jeden neuen Keimling fressen sie sofort weg. Da die Vegetationsperioden in diesen nördlichen Breiten aber sehr kurz sind, haben die Bäume wenig Chancen, nachzuwachsen. Aus Wald wurde bald nach Ankunft der Wikinger Wüste. Leidtragende waren die Siedler selbst. Wie sollten sie als Seefahrernation ohne Holz leben? Der Baustoff war unersetzlich für ihre ausgeklügelten Schiffsbauten. Rettung brachte eine Laune der Natur: An Islands Nordküste fanden die Menschen ausreichend Holz für den Haus- und Schiffsbau. Mit ihren Pferden konnten sie es bergen, wenn auch der Transport mühsam und langwierig war. Bis heute ist die Holzquelle nicht versiegt: Die Bäume werden regelmäßig an der Nordküste angespült. Es sind in erster Linie Lärchen, Kiefern und Fichten, die aus den riesigen Wäldern in Sibirien stammen.
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Die großen Flüsse transportieren sie bis ans Meer. Aber wie gelangen die Baumstämme von der rund 4500 Kilometer entfernten Küste Sibiriens nach Island, und warum gehen sie auf ihrer drei- bis vierjährigen Reise nicht unter, sobald sie sich mit Wasser vollgesogen haben? Tatsächlich gibt es einen internationalen zuverlässigen "Holz-Bringservice": Vor der Küste Russlands frieren die Bäume im Eis fest. Von dort schwimmen die Eisschollen den ersten Teil ihres Weges mit dem Transpolarstrom. Dann übernimmt der Grönlandstrom und trägt das festgefrorene Treibholz bis vor die Nordküste Islands, wo das Eis abtaut. Die Brandung spült das Holz dann ans Ufer.
Eisland – überraschend grün
Zu Zeiten der Wikinger waren Islands Küsten und Fjorde voller Treibeis, deshalb tauften sie ihre neue Heimat "Eisland". Das Eis markierte für die Wikinger den Zugang zu einem unbekannten Ozean des Nordens. Seinem Namen und seiner nördlichen Lage zum Trotz ist Island aber eine überraschend grüne Insel. Das ist wiederum den Meeresströmungen zu verdanken: Der kalte Grönlandstrom trifft hier auf den warmen Golfstrom, der aus den Tropen kommt. Durch die hohe Verdunstung der Oberflächenströmung steigt der Salzgehalt des Wassers. Es wird schwerer und sinkt ab. Tiefenströme befördern das Kaltwasser Richtung Süden,und es entsteht ein Sog, der immer wieder warmes Oberflächenwasser nachströmen lässt.
Diese natürliche Wärmepumpe beschert Island Temperaturen, die im Schnitt zehn Grad über dem Durchschnitt des Breitengrades liegen. Nicht zuletzt diese klimatische Besonderheit hat das Überleben in der "Anderswelt" überhaupt ermöglicht. So wie das Feuer tief unter der Erde – der Plume, der für die Isländer Gefahrenquelle und Glücksfall in einem ist, der den Boden wärmt und die heißen Quellen sprudeln lässt.
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