Friederike Fless ist Präsidentin des Deutschen Archäologischen Instituts Berlin und Koordinatorin des Projekts "Stunde Null".
Was ist das Projekt "Stunde Null – Eine Zukunft für die Zeit nach der Krise"?
Das Projekt wurde als Reaktion auf die barbarischen Zerstörungen durch den so genannten Islamischen Staat im Irak und in Syrien ins Leben gerufen. Internationale Institutionen, Vereinigungen und Experten haben sich WANN? zusammengetan, um nicht länger tatenlos dem Zerstörungswerk zuschauen zu müssen, sondern zu handeln – auch wenn an konkretes Arbeiten vor Ort damals natürlich nicht zu denken war. Wir konnten das Auswärtige Amt gewinnen, das Projekt zu unterstützen, um Kolleginnen und Kollegen aus Syrien und dem Irak bei den Planungen einer Zukunft für ihr Land zu helfen. Es geht konkret um einen Beitrag zum Schutz und Erhalt des bedrohten kulturellen Erbes dieser Krisenregion.
Auch wenn es am Ende eines solche Konflikts, wie wir ihn gerade erleben, die eine "Stunde Null" natürlich nicht geben wird, steht der Begriff doch für einen Zeitpunkt, an dem mit dem Wiederaufbau begonnen werden kann. Dafür haben wir einige Aktivitäten gestartet.
Welche?
Ziel ist es, syrische und irakische Kollegen in ihren Planungen für den Schutz und Erhalt ihres kulturellen Erbes, aber auch beim Wiederaufbau zu unterstützen. Wir führen Schulungen in modernen Dokumentationstechnologien und traditionellen Techniken der Bauforschung und Denkmalpflege durch. Gemeinsam mit deutschen Universitäten werden vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) geförderte Studiengänge in Ägypten und Jordanien angeboten, die Flüchtlinge aus dem Irak, dem Jemen und Syrien im Bereich der Konservierung und Restaurierung von Denkmälern ausbilden. Darüber hinaus gibt es ein Ausbildungsprogramm für syrische Architekten, die in die Türkei geflohen sind und gemeinsam Pläne für den Wiederaufbau, also für die Zukunft ihres Landes erarbeiten. Bei diesen Ausbildungsprogrammen geht es uns um "Capacity Building".
"Capacity Building"?
Der Aufbau von Kapazitäten, die man braucht, um zum Beispiel ein zerstörtes Denkmal wieder aufzubauen. Darunter fallen aber nicht nur die Ausbildung von Studierenden oder Workshops für Experten. Es werden auch Steinmetze, Restauratoren und Handwerker ausgebildet, um Denkmäler erhalten oder wiederherstellen zu können. In Kursen für Steinmetze im Libanon und in Jordanien werden neben Jordaniern und Libanesen auch Flüchtlinge aus Syrien ausgebildet. Für sie sind diese Programme als Teil humanitärer Hilfe zu verstehen. Sie können mit ihren erworbenen Fähigkeiten in ihren Gastländern Arbeit finden und, so hoffen wir, in nicht allzu ferner Zeit zum Aufbau ihres eigenen Landes beitragen.
Was ist das Ziel des "Syrian Heritage Archive Project"?
Wenn man zerstörte Denkmäler wieder aufbauen will, braucht man Informationen. Durch unsere lange Forschungstätigkeit in Syrien und dem Irak besitzt das Deutsche Archäologische Institut, aber auch das Museum für Islamische Kunst der Staatlichen Museen Berlin, immense Archive. Seit 2013 unterstützt das Auswärtige Amt das großangelegte Digitalisierungsprojekt. Bis heute haben wir ein digitales Archiv mit mehr als 100.000 digitalisierten Fotos, Plänen und Zeichnungen, das wir für die Planungen des Wiederaufbaus zur Verfügung stellen. Unter den Unterlagen befindet sich auch ein Plan des antiken Palmyra, der 2011 analog publiziert worden war und nun in ein Geoinformationssystem umgesetzt wird.
Wie könnte ein Wiederaufbau von Palmyra aussehen?
Dies ist eine nicht so leicht zu beantwortende Frage. Am Anfang muss eine genaue Dokumentation der Schäden stehen. Nachdem die ersten Satellitenbilder 2015 so aussahen, als hätte der IS die Denkmäler quasi pulverisiert, zeigten Drohnenbilder 2016, dass doch recht viel Bausubstanz erhalten zu sein scheint. Eine Dokumentation vor Ort wird dann erkennen lassen, ob die Bauten ohne umfassende Ergänzungen wieder aufgebaut werden können. Wenn jedoch viel der originalen Substanz verloren ist, ist bei einer UNESCO Welterbestätte gemeinsam mit der UNESCO zu entscheiden, ob man ein solches Denkmal mit vielen Ergänzungen quasi neu errichten will. Letztlich muss jedoch jedem klar sein, dass der Ort nie wieder vollständig so aussehen wird wie vor der Zerstörung. Es ist jedoch auch nicht alles vollständig verloren.