Fernsehrat Michael Jörg sieht Barrierefreiheit als „Standortvorteil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Wettbewerb um Zuschauerinnen und Zuschauer.“ Ihm ist wichtig, dass Barrierefreiheit stets direkt mitgedacht wird.
#Fernsehrat: Das ZDF hat in seiner Selbstverpflichtungserklärung den Ausbau seines barrierefreien Angebots verankert. Welchen Beitrag leistet das Haus hierzu aktuell aus Ihrer Sicht?
Michael Jörg: Die Selbstverpflichtungserklärung ist sozusagen die Regierungserklärung des Intendanten. Hier sagt er gegenüber dem Fernsehrat und der Öffentlichkeit, was er programmlich vorhat, wie er es erreichen möchte und wo er weiteren Handlungsbedarf sieht. Dadurch, dass Intendant Norbert Himmler erklärte, dass er „ein ZDF für alle“ „bauen“ möchte, trat die Barrierefreiheit mehr in den Fokus der Bemühungen des Senders.
Ich finde, der Sender hat in den letzten Jahren, vor allem während der Pandemie, Fortschritte in allen Bereichen gemacht. Am größten waren sie beim Ausbau der Sendungen mit Deutscher Gebärdensprache (DGS). Auch in anderen Bereichen, also bei der Audiodeskription (AD) und der Versorgung mit Untertiteln (UT) ist der Sender gut vorangekommen. Wobei auch hier immer noch Luft nach oben ist.
Der Sender hat eine Priorisierung vorgenommen. Das Hauptprogramm mit seiner Hauptsendestrecke, die von den meisten Menschen geschaut wird, wird zuerst mit Barrierefreiheit versorgt. Die ZDFmediathek ist wichtig und dann kommen ZDFinfo und ZDFneo. Dabei wurde auch am Produktionsablauf von Sendungen gearbeitet. Barrierefreiheit ist ein wichtiger Teil der Produktion geworden. Es wird ja auch nicht mehr in Schwarz-weiß gedreht. Dass die meisten Sendungen vorher in der ZDFmediathek veröffentlicht werden, kommt der Barrierefreiheit zu Gute.
Hervorzuheben ist, dass alle Menschen von dieser Entwicklung etwas haben. Denn es gibt Menschen, die keine Behinderung haben, und trotzdem barrierefreie Formate nutzen. In der Bahn beispielsweise, wo der Ton stören würde, werden Untertitel dazugeschaltet. Barrierefreiheit ist Mehrwert für alle.
#Fernsehrat: Das ZDF arbeitet an neuen Möglichkeiten KI-generierter Barrierefreiheit. Welche Potenziale sehen Sie hier?
Jörg: Hier gibt es meiner Ansicht nach Potentiale in allen Bereichen:
Thema Untertitel: Hier könnten KI-unterstützte Programme Live-Untertitelungen schnell und in hoher Qualität herstellen, bei Talkshows oder anderen Diskussionen oder während Bundestagsdebatten.
Thema Audiodeskription: Die KI spricht vorbereiteten Text ein. Der kann digital besser bearbeitet werden. Die Produktionszeit wird verkürzt. Günstiger ist die Produktion nicht, aber schneller. KI-Systeme sind teuer. Und ihre Möglichkeiten und ihre Qualität ändern sich rasant.
Deutsche Gebärdensprache: Avatare übernehmen die Zeichen des Menschen. Hier gibt es noch Qualitätsprobleme. Zudem gibt es eine umfangreiche Diskussion in der Gehörlosengemeinde.
Bei all dem Beschriebenen sind der Sender, der Fernsehrat und damit auch ich, im Gespräch und loten aus, was sinnvoll ist, und was noch nicht geht.
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#Fernsehrat: Der Begriff der „Einfachen Sprache“ ist schon bei vielen Rundfunkanstalten angekommen. Jetzt hat das ZDF ein Projekt „Einfache News“ aufgelegt. Welche Nutzer sollen mit diesem Projekt angesprochen werden?
Jörg: Leichte oder einfache Sprache ist bislang eine offene Flanke des ZDF gewesen. Bevor die Pandemie ausbrach, gab es schon einmal eine Initiative. Es war ein erster Aufschlag, leichte oder einfache Sprache zu versuchen. Das wurde aber gestoppt, als die Herausforderungen von Corona alles auf den Kopf stellten.
Einfache Sprache ist nicht so einfach zu erstellen, wie es sein Name erahnen lässt. Auch mein Interview ist nicht in einfacher Sprache verfasst. Obwohl ich mich bemühe, nicht zu lange Sätze zu sprechen oder zu schreiben – oder Fremdwörter wegzulassen. Es gelingt mir nicht immer.
Und zum Thema KI: Hier wäre Barrierefreiheit auch ein Betätigungsfeld für KI-Sprachsysteme. Wie ich hörte, sind die aber noch in den Kinderschuhen. Doch die Entwicklung ist auf diesem Feld sehr schnell. Kann also bald sein, dass uns auch hier die KI unterstützt.
Wer ist Zielgruppe: Alle die, denen die deutsche Sprache Probleme bereitet: Weil sie sie erst lernen. Zum Üben sozusagen. Die Menschen, die Deutsch lernen, weil sie bald hier arbeiten wollen. Oder es sind Menschen, die unsere komplizierte und oft zu schnell gesprochene Sprache nicht verstehen. Und das sind nicht nur Kinder, sondern oft auch ältere Menschen. Von daher sind u.a. auch die „logo!“-Nachrichten nicht nur bei Kindern ein Hit, sondern auch bei Seniorinnen und Senioren. Das alles soll nicht ausgrenzend oder überheblich klingen. Es ist ein weiteres Angebot und dient dazu, dem Ziel, einem „ZDF für alle“ ein Stück näher zu kommen.
#Fernsehrat: Auf welche Bereiche in Sachen Barrierefreiheit sollte das ZDF in nächster Zeit besondere Schwerpunkte legen?
Jörg: Der Sender könnte mehr für barrierefreie Formate machen, wenn die Abteilung, die diese Formate umsetzt, personell und materiell besser ausgestattet wäre. Da ist in den letzten Jahren schon viel passiert. Und es könnte und würde mehr passieren, wenn der Vorschlag der KEF von den Bundesländern umgesetzt würde. Es liegt nun mal immer, oder meistens, am lieben Geld.
Die Frauen und Männer in der Abteilung „Barrierefreiheit“ machen einen sehr guten Job. Sie sind immer für Verbesserungen zu haben und kämpfen sich tapfer durch alle technischen Dschungel, die es da gibt. Was ich aber auch anmerken möchte ist, dass Barrierefreiheit nicht nur eine Aufgabe für die Spezialistinnen und Spezialisten ist, sondern für alle. Die Denke in den Köpfen der Menschen sollte sich ändern.
Beispiel: Sie bauen ein Haus, vergessen aber, eine Rampe vor das Haus zu bauen und im Haus einen Fahrstuhl mitzuplanen. Wenn das Haus fertig gebaut ist, und sie es dann erst bemerken und nachbessern wollen, dann ist das umständlich und teuer. Hätte man direkt bei der Planung dran gedacht, dann wäre das einfach mitgemacht worden. So ist es auch beim Sender. Wenn Barrierefreiheit von allen direkt mitgedacht wird, dann passiert sie einfach so mit. Wir überlegen ja auch nicht mehr, ob wir in Farbe senden oder nicht. Es passiert einfach. Weil es Standard ist. Das sollte Barrierefreiheit auch werden: Standard.
Das passiert schon in einigen Redaktionen. Der Sender kann aber besser dastehen, wenn es gelänge, das überall zu denken und zu leben. Barrierefreiheit ist Mehrwert für alle. Und ein Standortvorteil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Wettbewerb um Zuschauerinnen und Zuschauer.Zur Person: Michael Jörg, geboren am 1.1.1963 in Homburg/Saar. Seit 1998 erblindet. Drei Kinder. Seit über 20 Jahren in der Behindertenselbsthilfe aktiv. Vorsitzender des „Club Aktiv e.V.“ in Trier. Prädikant in der Evangelischen Kirche im Rheinland. Seit acht Jahren vertritt er im ZDF-Fernsehrat den Bereich „Inklusive Gesellschaft".