„Der KiKA verteidigt seine Spitzenposition in der Zielgruppe“, konstatiert Fernsehrätin Kerstin Holze. Der Sender müsse jedoch wie seine Mitbewerber im linearen Fernsehen hinnehmen, dass sich die Nutzungsdauer in der Altersgruppe im zurückliegenden Jahrzehnt mehr als halbiert hat. Kerstin Holze erklärt, warum es darauf ankommen wird, für die diversen Plattformen unterschiedliche Formen und Inhalte der Ansprache zu entwickeln.
#Fernsehrat: Das KiKA-Programm erfreut sich hoher Reichweiten und sehr guter Popularitätswerte bei den jüngsten ZDF-Zuschauern. Wie sehen Sie die Entwicklung des KiKA angesichts der starken Digitalisierung der Nutzungsgewohnheiten auch in dieser Zielgruppe?
Kerstin Holze: Der KiKA verteidigt seine Spitzenposition in der Zielgruppe, muss aber wie die Mitbewerber im linearen Fernsehen hinnehmen, dass sich die Nutzungsdauer in der Altersgruppe im zurückliegenden Jahrzehnt mehr als halbiert hat. Beim linearen Angebot wird es darum gehen, die Nutzerzahlen zu stabilisieren, während der gleichzeitige Ausbau der digitalen Kanäle im Vordergrund stehen muss. Ich halte diesen eingeschlagenen Weg grundsätzlich für richtig. Kurzfristige Schwankungen, wie z. B. bei der YouTube-Nutzung, fallen aus meiner Sicht angesichts der Dynamik bei der Entwicklung neuer Kanäle nicht ins Gewicht.
#Fernsehrat: Wie sollten die digitalen Angebote von KiKA weiterentwickelt werden?
Holze: Sie sollten sich noch stärker an der Lebenswelt der Kinder orientieren. Die Bedürfnisse der Altersgruppe müssen sich in den Formaten fortlaufend widerspiegeln. Ich begrüße es, dass der Kinderkanal über Jahre hinweg ein Know-how im Umgang mit und zur Ansprache von Kindern entwickelt hat. Hier spiegelt sich der große Erfahrungsschatz der Redakteur*innen wider, die – was ich sehr unterstütze – im Team einen gemeinsamen Wissenspool bilden. Diese gebündelte Kompetenz sollte durch gezielte Nutzungsforschung punktuell ergänzt werden. Wichtig ist aber auch, die Inhalte passgenau an die jeweiligen Sozialen Netzwerke zu adressieren. Social Media-Plattformen starten regelmäßig als junge Trendkanäle und altern dann rapide, weil Unternehmen, Politik oder andere Interessengruppen die Popularität der Plattform für ihre Botschaften nutzen. Facebook ist für Kinder und Jugendliche bereits seit Jahren uninteressant. Und befragt zu TikTok wehrt sich die jugendliche Zielgruppe gegen den öffentlich-rechtlichen Versuch, dort Inhalte mit Spurenanteilen von Information zu platzieren: Da wolle man unterhalten werden, da sei kein Platz für anspruchsvolle Inhalte. Nutzungsgewohnheiten wie diese zeigen, dass es weiterhin darauf ankommen wird, für die diversen Plattformen unterschiedliche Formen und Inhalte der Ansprache zu entwickeln – so wie das ja jetzt bereits geschieht.
#Fernsehrat: Durch Formatentwicklung will KiKA vermehrt solches Publikum gewinnen, das öffentlich-rechtlichen Angeboten bislang noch fernsteht. Wie kann das gelingen?
Holze: Einmal durch die bereits angesprochene Digitalisierung. Wenn ich aber über TikTok oder Snapchat ein neues Publikum ansprechen will, brauche ich dann auch den passenden Content. Sport und Bewegung sind übrigens nicht nur die attraktivste Freizeitgestaltung unter Kindern und Jugendlichen, sondern spielen auch beim Konsum von Medien eine wichtige Rolle. Meine Hoffnung ist, dass nach der Gewöhnung an den Anbieter über passgenauen Content im zweiten Schritt dann auch informativere KiKA-Inhalte zum Beispiel über YouTube abgerufen werden. Um möglichst alle Kinder und Jugendliche zu erreichen, wäre der direkte Weg über Kindergärten und Schulen der ideale; wissend, dass die direkte Ansprache bzw. Werbung dort aus guten Gründen nicht möglich ist. Eine Alternative wäre es, die bei uns im DOSB organisierten rund 87.000 Vereine stärker in den Fokus zu nehmen. Dies kann ein Erfolg versprechender Umweg sein, um möglichst viele Kinder- und Jugendliche zu erreichen. Im Alter bis zu 14 Jahren zählen wir allein in den deutschen Sportvereinen rund 5,2 Millionen Kinder, das sind teilweise mehr als drei Viertel einer Altersgruppe.
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#Fernsehrat: Im Internet kursiert ein gefälschtes Interview der Kindernachrichtensendung “logo!”, in dem die Moderatorin dazu aufzurufen scheint, Personen zu melden, die sich gegen Klimaschutz oder Diversität ausgesprochen hätten. Wie sollte mit solchen Deep-Fake-Videos umgegangen werden, und wie lassen sich solche Fälschungen ggf. auch vermeiden?
Holze: Völlig vermeiden werden sich derartige Fälschungen nicht lassen, weil konkrete politische Motivation dahintersteckt und für Trollfabriken, Populisten und Anti-Demokraten -Desinformationskampagnen im Netz liebgewordene Werkzeuge geworden sind. Allerdings kann jede und jeder Einzelne polarisierende Meldungen selbst überprüfen, beispielsweise über Mimikama, einer Anlaufstelle für Internetuser, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Internetmissbrauch, Internetbetrug und Falschmeldungen sowie Fake-News entgegen-zu-wirken und zu bekämpfen.
Und wir alle gemeinsam, Staat und Gesellschaft, müssen dafür sorgen, dass im Bildungsbereich, also in unseren Schulen Medienkompetenz, vor allem digitale, nicht als Add-on, sondern als zentraler Baustein von Demokratievermittlung betrachtet und behandelt wird: Resilienz durch Digitalkompetenz.
Mut macht, dass es mittlerweile eine ganze Reihe von Forschungsprojekten zum Thema Fake-Erkennung und -vermeidung gibt, die das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert. Wenn im Rahmen dieser Projekte entwickelte Apps ihre Fähigkeiten bewiesen haben, sollten Social Media-Unternehmen sie einsetzen, um Desinformation einzudämmen.
Auch KiKA kann etwas unternehmen: mehr aufklären und berichten, zum Beispiel über die „Deepfake Detectives“ in Kiel: in diesem Projekt werden Schulkinder zu „Fake-Detektiven“ ausgebildet, damit sie lernen, Fälschungen zu erkennen.
#Fernsehrat: Eine persönliche Frage noch zum Schluss: Welche Erfahrungen haben Sie als Mutter von drei Kindern mit dem Umgang mit Medien, und welche Rolle spielt hier KiKA?
Holze: Na klar wollen auch meine Kinder Medien nutzen. Mir ist der angemessene und überschaubare Konsum von Medien meiner drei Söhne wichtig. Deshalb haben wir altersgerecht die Nutzungsdauer von Medien – bei uns im Familiensprachgebrauch: Medienzeit – begrenzt und begleiten, welche Medien mit welchen Inhalten konsumiert werden. Gleichzeitig legen wir großen Wert auf das reale Erleben von Spiel, Sport und Bewegung sowie menschlicher Interaktion. Für mich als Kinderärztin gehört Bewegung als unverzichtbarer Bestandteil eines gesunden Aufwachsens dazu.
Die linearen und non-linearen KiKA-Angebote sind ein fester Bestandteil dieses immer wieder neu auszuhandelnden Mixes. Die aktuellen Familien-Top-Favoriten sind logo! und Pur +.
Zur Person: Kerstin Holze ist Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin. Die ehemalige Frankfurter Hockeyspielerin ist seit 2021 Vizepräsidentin im Deutschen Olympischen Sportbund sowie Vorsitzende der Deutschen Kinderturnstiftung und lebt mit ihrem Mann und den drei gemeinsamen Söhnen (6, 9, und 11 Jahre alt) derzeit in Schwerin. Seit 01.März 2023 ist sie Mitglied im Fernsehrat als Vertreterin des Deutschen Olympischen Sportbundes.