„Aus dem früheren Sammelsurium selbstlobender Beschreibungen von geplanten Sendungen ist über die Jahre ein anspruchsvolles Zielprogramm entwickelt worden“, erklärt Fernsehrat Dr. Hans Ulrich Anke mit Blick auf die Selbstverpflichtungserklärung des ZDF. Er findet es gut, dass Qualitätsdiskussionen einen Bezugsrahmen mit belastbaren Kriterien bekommen.
#Fernsehrat: Glaubwürdig, innovativer, vielfältiger und transparent - so lauten die zentralen programmlichen Ziele der aktuellen Selbstverpflichtungserklärung (SVE), auf die sich das ZDF gegenüber dem Fernsehrat für die kommenden zwei Jahre (2023/2024) verpflichtet. In welchem Bereich sehen Sie noch besonders Luft nach oben?
Hans Ulrich Anke: Die vier programmlichen Kernziele der SVE geben die Richtung für programmliche Ambitionen in den nächsten Jahren gut vor. Und sie zeigen treffend an, in welchen Bereichen das ZDF noch besonders gefordert ist, nämlich bei Innovation und Vielfalt. Hier steht der Komparativ „innovativer“ und „vielfältiger“ dafür, dass sich das ZDF in diesen Bereichen noch besonders ins Zeug legen will und muss. Das Programm soll, wie es dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gut ansteht, „für alle“ sein. Es muss deshalb so gestaltet sein, dass sich das Fernsehpublikum in seiner Breite und Vielfalt auch gut angesprochen fühlt. Dazu gehört auch, sich im Programm gut wiederzufinden. Einen Aspekt möchte ich dabei besonders herausstellen, nämlich den des jungen Publikums. Denn es ist eine der entscheidenden Zukunftsaufgaben, viel mehr junge Menschen für das ZDF-Programm zu gewinnen. Das sollte das ZDF noch konsequenter und ambitionierter verfolgen. Und zum Thema „Innovation“ wünschte ich mir noch mehr Mut zu experimentieren. Dafür sind die non-linearen Ausspielwege, aber auch die Spartensender der ZDF-Familie als linearer Ankerpunkt da, insbesondere ZDFneo und ZDFinfo - und dafür braucht das ZDF diese Kanäle weiterhin: nicht für flächige Wiederholungen der Wilsberg-Krimis oder von „Bares für Rares“, sondern um noch mehr neue Ideen und Programmformate auszuprobieren, am besten solche, die gerade auch für junge Menschen interessant sind!
Bei den beiden anderen Kernzielen, Glaubwürdigkeit und Transparenz, überzeugt das ZDF schon seit langem. Hier gilt es, auch in den nächsten Jahren diese für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk so wichtigen Stärken auf hohem Niveau zu halten und auf neue Herausforderungen auszurichten. Das Instrument der Selbstverpflichtungserklärung ist ja selbst ein Ausdruck der Stärke des ZDF in Sachen Transparenz und damit eine Erfolgsgeschichte: Aus dem früheren Sammelsurium selbstlobender Beschreibungen von geplanten Sendungen ist über die Jahre ein anspruchsvolles Zielprogramm entwickelt worden, das die Richtung der Programmgestaltung beim ZDF einspurt. Und es stellt diese anhand wesentlicher Schlüsseldaten greifbar und transparent zur Diskussion – intern für die ZDF-Mitarbeitenden und für die ZDF-Fernsehratsmitglieder zur Programmaufsicht, aber auch extern für eine sachorientierte inhaltliche Diskussion über Wert und Leistungen des Programms.
#Fernsehrat: Die Selbstverpflichtungserklärung setzt auch auf breite Nutzung der Programminhalte. Wie wichtig sollten quantitative Leistungskennzahlen wie Abrufe, Sehvolumina und Reichweiten für einen öffentlich-rechtlichen Anbieter wie das ZDF sein?
Anke: Wirkung vor Reichweite - das ist zugleich Chance und Auftrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Aber auch die Wirkung, dem öffentlich-rechtlichen Auftrag zu Information, Bildung und Unterhaltung zu entsprechen, darf nicht bloß behauptet sein. Sie muss plausibel begründet und auch in ihren quantitativen Aspekten nachvollziehbar nachgewiesen sein. Dafür ist es wichtig, zu den lange schon gewohnten Kennzahlen weitere Schlüsseldaten hinzuzunehmen. Denn auch wenn es schön sein mag, dass große Publikums-Gruppen verlässlich besonders viel und besonders lange ZDF-Sendungen linear schauen und damit viel Quote, Sehdauer und Reichweite für das ZDF schaffen. Viel wichtiger ist, dass möglichst viele Menschen aus möglichst vielfältigen regionalen, sozialen und anderen Kontexten auf den unterschiedlichsten Ausspielwegen das ZDF-Programm nutzen. Um das nachzuhalten und auch um ggf. gezielt nachsteuern zu können, braucht es weitere Kennzahlen und detailliertere Aufschlüsselungen, als sie bisher in den Berichten über die Akzeptanz der ZDF-Programme vorliegen, etwa nach Kernzielgruppen bzw. Content Communitys. Freilich dürfen sich die Aufsichtsgremien nicht in der Analyse zu vieler Daten verlieren.
Die ganz großen Linien für quantitative Leistungskennzahlen sind an dem vom ZDF selbst gesetzten Claim auszurichten: „Ein ZDF für alle!“ Der Anspruch ist hoch, aber angemessen ambitioniert für das ZDF als bundesweite öffentlich-rechtliche und mit dem Rundfunkbeitrag prinzipiell auch „von allen“ finanzierte Senderfamilie. Mit quantitativen Leistungskennzahlen muss das ZDF zeigen, inwieweit es diesen Anspruch einlöst. Dafür müssen die einzelnen Kennzahlen für sich verlässlich belastbar, anschaulich und aussagekräftig sein. Und im Gesamtzusammenhang sollten sie ein stimmiges Bild über die Nutzung des ZDF „durch alle“ ergeben, das plausibel macht, wie sehr das ZDF seinem öffentlich-rechtlichen Auftrag nachkommt und die Beitragsfinanzierung rechtfertigt. Ein Beispiel nur dazu: schon die aktuellen Kennzahlen weisen nach, dass Kritik aus östlichen Bundesländern in die Irre führt, das ZDF sei Westfernsehen, werde den besonderen Gegebenheiten Ostdeutschlands nicht gerecht und rechtfertige deshalb auch so in der Form nicht die Beitragsfinanzierung. Tatsächlich aber nutzt das Publikum in den östlichen Bundesländern mindestens so intensiv das ZDF wie das ZDF-Publikum insgesamt.
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#Fernsehrat: Der Fernsehrat betrachtet es als seine wichtigste Aufgabe, über Programmqualität zu debattieren. Der Instrumentenkasten für die Beurteilung der Programmqualität wird immer umfangreicher, die Werkzeuge präziser. Welche Instrumentarien sind in Ihren Augen besonders hilfreich für den Fernsehrat?
Anke: Es ist eindrucksvoll, was das ZDF für die Beurteilung der Programmqualität im Laufe der Zeit entwickelt hat. Von einem „Instrumentenkasten“ kann da mittlerweile gar keine Rede mehr sein. Ein solcher stellte Werkzeuge für die Nutzung zur freien Verfügung parat, Einsatz und Ausgestaltung liegen in der Hand der Nutzungsinteressierten, hier des Fernsehrats und seiner Ausschüsse, nach deren Einschätzung und Bedarfen. Der Anspruch des ZDF mit dem nun entwickelten „ZDF KOMPASS“ ist viel weitergehender. Er soll eine ganzheitliche Steuerungssystematik für Management und Aufsichtsgremien darstellen, der den Anforderungen an öffentlich-rechtliche Rundfunkanbieter in besonderer Weise Rechnung trägt.
Gut daran ist, dass Qualitätsdiskussionen über das Programm mit dem KOMPASS einen Bezugsrahmen mit belastbaren Kriterien bekommen. Das kann für die Beratungen des Fernsehrates mehr Transparenz und Nachvollziehbarkeit schaffen, das Risiko allzu subjektiver, manchmal auch zufallsgetriebener Qualitätsurteile einzelner begrenzen und so die Arbeit des Fernsehrates in Programmdiskussionen insgesamt qualifizieren. Auch halte ich es für hilfreich, sich mit einschlägigen Voten eines Publikumspanels für die Beurteilung der Programmqualität auseinanderzusetzen. Das kann den Blick und die Diskussion vor allem in den Fällen schärfen, in denen die Fernsehratsmitglieder dazu abweichende Sichtweisen haben. Wichtig ist aber, dass der Fernsehrat sich immer bewusst bleibt, dass dieses Instrumentarium nur eine Unterstützung für die Arbeit des Fernsehrates ist, nicht aber die Beratungen und Entscheidungen des Fernsehrates ersetzt – der KOMPASS ist auch beim ZDF kein Autopilot! Denn verantwortliches Organ ist und bleibt der Fernsehrat. Sorge macht mir die große Komplexität dieses ganzheitlichen Steuerungssystems. Allein die Qualitätsebene gliedert sich in sieben Dimensionen mit 23 verschiedenen Qualitätsmerkmalen. Dazu kommen die eigenständigen KOMPASS-Ebenen der Nutzung, der Wirkung und der Akzeptanz mit vielen weiteren, vor allem quantitativen Kennzahlen. Das wirkt zum Start zumindest unübersichtlich.
#Fernsehrat: Für eine verlässliche Qualitätsmessung bezieht der Fernsehrat ab seiner Sitzung im März ein Panel von unabhängigen Expertinnen und Experten in den SVE-Prozess ein. Was erwarten Sie sich von der zusätzlichen Expertise?
Anke: Die externen Sachverständigen sollen ihre fachliche Expertise einbringen. Wichtig wäre mir, dass die Sachverständigen uns im Fernsehrat gerade zu den Aspekten unterstützen, bei denen das ZDF noch Entwicklungspotential entfalten sollte, also zu Vielfalt und Innovation im Programm. Weiter erhoffe ich mir Erkenntnisse darüber, was Menschen von einem nationalen Sender erwarten, um auch die Zielgruppen zu erreichen, die heute das ZDF nicht als erstes einschalten, wenn sie den Fernseher anmachen, das Tablet nutzen oder das Smartphone zur Hand nehmen.
Zur Person: Dr. Hans Ulrich Anke, 54 Jahre, Jurist und Romanist, leitet seit 2010 das Kirchenamt der Ev. Kirche in Deutschland. Er engagiert sich darüber hinaus insbesondere in der Diakonie und der Entwicklungsarbeit, in der ev. Medienarbeit sowie bei strategischen Finanzbeteiligungen der ev. Kirche. Beim ZDF-Fernsehrat wirkt er als stv. Vorsitzender des Ausschusses für Strategie und Koordination und im Programmausschuss Programmdirektion.
Die Sachverständigen
Das Panel für die Selbstverpflichtungserklärung 2023/2024 besteht aus drei unabhängigen Expertinnen und Experten:
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Leibniz-Institut für Medienforschung, Hans-Bredow-Institut
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Institut für Publizistik / Johannes Gutenberg-Universität
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Erich Pommer Institut gGmbH
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