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Intelligente Kameras sehen mehr als wir uns vorstellen können, und unsere digitalen Spuren werden laufend erfasst: Wem nutzt diese permanente Beobachtung?
Ob Kontostand oder Sexualverhalten: Das Netz kennt vieles, was bisher privat war. Für Unternehmen sind diese Daten bares Geld wert. Auch Behörden interessieren sich für uns – angeblich zu unserer Sicherheit. Welche Regeln braucht die digitale Welt, damit wir vor den Risiken geschützt sind und ihre Chancen nutzen können? Harald Lesch geht auf die Suche nach Antworten.
Behörden setzen immer mehr auf die sogenannte prädiktive Polizeiarbeit. Dabei versuchen sie mithilfe von Algorithmen Verbrechensrisiken zu prognostizieren. Am Bahnhof Südkreuz in Berlin testet die Bundespolizei bereits, wie gut Software Gesichter in einer Menschenmenge erkennen und in Sekundenschnelle mit Datenbanken abgleichen kann. Das Ziel: Straftäter aufspüren und Terroranschläge verhindern. Hochauflösende Kameras nehmen die Gesichter auf. Eine spezielle Software bewertet die charakteristischen Merkmale wie Augen, Nase, Mund sowie deren (Position, Abstand und) Lage zueinander. Diese biometrischen Daten sind bei jedem Menschen einzigartig, wie ein Fingerabdruck. Zudem kann die Software Abweichungen von definierten Verhaltensnormen erkennen. Für das intelligente System sind Menschen verdächtig, die zum Beispiel auf dem Boden sitzen oder Gepäck stehen lassen. Das Analyseprogramm meldet auch, wenn jemand sich anders bewegt als die Masse, wenn etwa eine einzelne Person gegen den Strom läuft. Die Behörden feiern besonders die geringe Falscherkennungsrate der Gesichtserkennung von 0,1 Prozent. Das hört sich gut an, doch bei flächdeckender Einführung bei der Deutschen Bahn mit rund 12 Millionen Fahrgästen pro Tag würden so täglich etwa 12 Tausend falsche Alarmmeldungen eingehen.
Fast alle Webseiten nutzen sogenannte Cookies – kleine Programme, die sich das Surfverhalten der Nutzer merken, zum Beispiel das Interesse an einem bestimmten Hotel. Surft der Nutzer weiter, vermietet die neu aufgerufene Webseite in Sekundenbruchteilen einen Werbeplatz an den Hotelanbieter. Das Wissen um die Interessen der Nutzer ist bares Geld wert, denn Unternehmen zahlen pro Klick auf ihre Werbung. Der digitale Werbehandel floriert dank der Daten der Nutzer. Google zum Beispiel bietet viele Dienste an und kann anhand der so gesammelten Daten Nutzerprofile erstellen: Darin enthalten sind Geschlecht, Alter, Interessen wie Sport oder Technik, aber auch, zu welcher Einkommensschicht ein Nutzer gehört. Anhand solcher Profile wird dann passende Werbung platziert. Der digitale Werbehandel macht Datenriesen wie Google oder Amazon zu den wertvollsten Unternehmen der Welt. Der Nutzer zahlt somit mit seinen persönlichen Daten für die scheinbar kostenlosen Dienste.
Die Volksrepublik entwickelt sich zum digitalen Überwachungsstaat. In vielen Großstädten zeigt ein Pilotprojekt, wohin die Reise gehen soll. So auch in der Megacity Shenzhen: Ein Sozialkreditsystem erfasst, wer sich konform verhält. Wer Minuspunkte sammelt, riskiert die soziale Isolation. Das digitale Superhirn der Stadt kann im Prinzip alles erfassen: Alle Ressourcen sind zentral gesteuert, alle Infrastrukturen intelligent vernetzt. Jeder Verkersteilnehmer wird registriert und der Verkehr digital überwacht und gelenkt. Delikte werden sofort mit Minuspunkten geahndet, der Strafzettel kommt gleich aufs Handy. Wer bei Rot geht, wird identifiziert und auf großen Bildschirmen öffentlich bloßgestellt. Wer im Supermarkt Alkohol kauft, riskiert Minuspunkte. Und auch die Partnerwahl beeinflusst den sozialen Punktestand: Das Bonussystem erlaubt sozialen Aufstieg. Manche sehen deshalb darin eher Chancen als Schaden. Ganz anders der Journalist Liu Hu. Er erkennt darin ganz klar das Instrument eines totalitären Überwachungsstaats. Hu hat sich Kritik am System erlaubt, für einen Prozess musste er sich verschulden. Dadurch geriet er auch sozial ins Minus. Seine Internetkonten wurden gesperrt. Er kann nicht länger publizieren, darf keinen Flug und keinen Schnellzug mehr buchen. Hu lebt in sozialer Isolation. So wie ihm geht es über sechs Millionen Chinesen. Ab 2020 soll die staatliche Totalkontrolle für alle 1,4 Milliarden Chinesen gelten.
In Schweden gehören elektronische Chips im Körper schon fast zum Alltag. Dort hat jeder tausendste Bürger ein reiskorngroßes Implantat unter der Haut. Damit kann man sich ausweisen, Türen öffnen und bezahlen. Sogar öffentliche Einrichtungen wie die schwedische Reichsbahn akzeptieren die „Radio-Frequenz-Identifikation“ RFID zum Speichern und Lesen von Tickets auf Chips unter der Haut. Auch bei uns sind solche Chips weitverbreitet. Sie werden in Deutschland nur nicht so oft im Körper getragen, sondern dienen zum Beispiel der Kennzeichnung von Produkten. Die kleinen Transponder, etwa auf Paketen, werden über Funk von einem Lesegerät angesprochen und geben daraufhin ihre Daten preis. Die Technik ist ideal für die Warenlogistik. Damit lässt sich der Weg von einzelnen Stücken ganz genau verfolgen. RFID-Chips finden sich in Eintrittskarten, Ausweisen und Pässen. Auch in viele Kleider sind sie eingenäht. Wer mit einem solchen Kleidungsstück später an Empfangsgeräten vorbeigeht, hinterlässt dort die entsprechende Datenspur. Prinzipiell sind auf diese Weise personalisierte Bewegungsprofile möglich, ohne dass der Kunde etwas davon merkt.
In Deutschland schützt europäisches Recht unsere Privatsphäre. Doch immer mehr Menschen geben freiwillig Privates preis. Intelligente Technik und Smart Homes sind im Trend. In der schönen neuen Welt spielt der Sprachassistent die Lieblingsmusik, die Kaffeemaschine schaltet sich ein, bevor man morgens das Bett verlässt, und das Haus steuert eigenständig Heizung und Licht. Der moderne Mensch überprüft derweil seine biologischen Funktionen mit speziellen Apps und lässt sich von smarten Armbanduhren tracken. Was bislang im geschützten Raum stattfand, findet sich so in der Cloud und ist unkontrolliert auch unerwünschten Zugriffen ausgesetzt. Eine Form der permanenten Veröffentlichung, für die wir noch kein Gefühl entwickelt haben.
Welche Position hat der User zwischen staatlicher Überwachung und komerziellen Cyberzentralen? Professor Harald Lesch mit einer Einordnung.
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