Klimaneutrales Europa – aber wie?

Die internationale Gemeinschaft hat sich im Pariser Klimaschutzabkommen im Jahr 2015 dazu verpflichtet, die Erderwärmung gegenüber vorindustriellem Niveau auf deutlich unter zwei Grad Celsius zu begrenzen. Der Weltklimarat (IPCC) stellte jedoch 2018 in einem Sonderreport fest: Vielen Ländern käme es zugute, wenn die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius beschränkt wird. Schon das hätte drastische Folgen für das Wetter, den Meeresspiegel, die Artenvielfalt, die Ernten und die Wasserversorgung in vielen Regionen. Aber bei zwei Grad oder mehr käme es noch sehr viel schlimmer. Diesen Unterschied würde ein halbes Grad mehr ausmachen:

• Bei einer globalen Erwärmung um 1,5 Grad Celsius würden in Europa 52 % der Jahre so heiß wie das bisherige Rekordjahr 2016 – bei zwei Grad Celsius sind es 88 %.
• Bei 1,5 Grad würden 11 % der weltweiten Landfläche von Überschwemmungen durch Flüsse bedroht, bei zwei Grad 21 %.
• Bei 1,5 Grad stiege der mittlere Meeresspiegel der Nordsee bei Cuxhaven um 34 cm, bei zwei Grad um 53 cm.
• Bei 1,5 Grad verlören 6 % der Insektenarten weltweit mehr als die Hälfte ihres Lebensraums, bei zwei Grad 18 %. Ihr Risiko, auszusterben, stiege entsprechend.

Laut Weltklimarat erfordert die Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad rasche, weitreichende und beispiellose Veränderungen in sämtlichen Bereichen der Gesellschaft.

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Moore sind effektive Kohlenstoffspeicher. Sie bergen weltweit mehr als doppelt so viel Kohlenstoff wie alle Wälder der Erde zusammen. Denn das saure, sauerstoffarme Moorwasser konserviert abgestorbene Pflanzen und Pflanzenteile. Diese lagern sich im Wasser ab, werden allmählich komprimiert und verwandeln sich sehr langsam in Torf. Fast der komplette Kohlenstoff der Pflanzen bleibt dabei erhalten und ist im Torf gebunden. Viele Moore hat man trockengelegt, um Flächen für die Land- und Forstwirtschaft zu gewinnen oder um Torf abzubauen. Entwässert man Moore, wandeln sie sich von Kohlenstoffspeichern zu Kohlenstoffquellen. Denn in trockenen Torfboden dringt Luft ein, Mikroorganismen bauen die Pflanzenreste ab und setzen dabei Kohlendioxid frei. Gebundener Kohlenstoff gelangt somit als Kohlendioxid wieder in die Atmosphäre. Die Böden wieder CO2-neutral zu machen, gelingt nur dort, wo es noch genügend Wasser gibt. Es sorgt für den nötigen Luftabschluss und verhindert die Verrottung. Damit bleibt der Kohlenstoff im Pflanzenmaterial gebunden. Schätzungen zufolge gibt es in Europa 24 Millionen Hektar Moorböden, fast zwei Drittel davon sind entwässert. In der EU sind trockene Moore für etwa fünf Prozent der derzeitigen jährlichen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich, in Deutschland sogar für etwas mehr. Damit sich ein positiver Effekt für das Klima einstellt, müssen entwässerte Moore wieder „vernässt“ werden. Noch besser ist es, intakte Moore zu erhalten und zu schützen.

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Abschätzungen, wie sich die Natur durch die Erwärmung verändert, sind dank der Klimamodelle möglich, an denen Forscherteams weltweit arbeiten. Die Modelle berücksichtigen alle entscheidenden Faktoren im Klimasystem. Im Prinzip überziehen Klimamodelle die Erde mit einem Gitter. Die Computermodelle betrachten die klimarelevanten Parameter an jedem Gitterpunkt. Je enger das Gitter, desto detaillierter die Modelle. Für jede Gitterbox wird errechnet, wie Sonnenaktivität, Treibhausgase und andere Faktoren das Klima zukünftig verändern und wie sich die globale Durchschnittstemperatur entwickeln wird. Um die Verlässlichkeit der Modelle zu testen, rechnen Supercomputer weltweit auf deren Grundlage Klimaereignisse der vergangenen 150 Jahre nach. Werden die Veränderungen der tatsächlich gemessenen globalen Durchschnittstemperatur zutreffend dargestellt, gelten die Klimamodelle als geeignet, auch die Entwicklung der Zukunft gut abzubilden. Im Bild zeigt die rote Kurve die von den Modellen errechnete gemittelte globale Temperaturänderung, die schwarze Kurve die tatsächlich beobachtete. Berechnungen anhand von Klimamodellen ergeben: Wenn wir weiterhin große Mengen an Treibhausgasen emittieren, wird die globale Durchschnittstemperatur weiter steigen. Laut IPCC könnte die Erwärmung um 1,5 Grad Celsius etwa im Jahr 2030 erreicht sein, um zwei Grad schon etwa 15 Jahre später.

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Wenn ein Baum wächst, nimmt er Kohlendioxid aus der Luft auf. Einen Teil des so gewonnenen Kohlenstoffs baut er in Blätter, Wurzeln und Stamm ein. Auf diese Weise entziehen Bäume der Atmosphäre das Treibhausgas. Besonders große, ältere Bäume binden viel Kohlenstoff. Intakte Wälder werden daher im Laufe ihres Lebens zu bedeutenden Kohlenstoffsenken. Weltweit gibt es etwa vier Milliarden Hektar Wald. Diese Fläche ist nicht anderweitig genutzt und wenigstens zu zehn Prozent von Bäumen bedeckt. Experten zufolge könnte man theoretisch 900 Millionen Hektar zusätzlich aufforsten. Je nach Studie hätte weltweite Aufforstung das Potenzial, zwischen 15 und – sehr optimistisch geschätzt – 60 Prozent des menschengemachten Kohlendioxids zu binden. Es gibt noch keine umfassende Bestandsaufnahme, wie viele der CO2-Emissionen EU-weit durch Aufforstung kompensiert werden könnten. Im dicht besiedelten Deutschland ist die Konkurrenz um die Nutzung von Flächen hoch. Weiden und Äcker kämen in Betracht, doch hätte ein Verlust an landwirtschaftlicher Nutzfläche eine weitere Intensivierung der Nahrungsmittelproduktion zur Folge. Betrachtet man alle infrage kommenden Flächen in Deutschland, so legen Untersuchungen nahe, dass nur wenige Prozent der derzeitigen Kohlendioxidemissionen hierzulande durch Aufforstung kompensiert werden könnten. Dennoch gilt es, das Potenzial zu nutzen und Bestände zu erhalten.

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Durch Verbrennen von Kohle, etwa zur Stromerzeugung, wird Kohlenstoff als CO2 freigesetzt. Auch wenn der Ausstieg aus dem Kohlestrom gelingen sollte, wird es, etwa bei der Erzeugung von Stahl oder Zement, weiterhin Prozesse geben, die CO2 emittieren. Die Technologie, das Kohlendioxid aus solchen Abgasen abzuscheiden und dauerhaft im Untergrund zu speichern, nennt sich Carbon Capture and Storage (CCS). CCS-Methoden werden seit gut einem Jahrzehnt weltweit in Pilotanlagen erforscht. Auch deutsche Forscherteams erprobten in Ketzin in Brandenburg zwischen 2008 und 2013 die Entnahme und Speicherung von Kohlendioxid im Boden. Dazu wurden 67.000 Tonnen CO2 als Gas in eine Tiefe von 630 Metern in eine Sandsteinschicht gepumpt. Die Speicherstätte ist durch eine undurchlässige Tonschicht abgedichtet. Obwohl das CO2 den Forschenden zufolge aus diesen Lagern nicht wieder austreten kann, formte sich Widerstand in der Bevölkerung – aus Angst vor nicht sicheren Lagerstätten und weil die Technik vermuten ließ, es ginge um ein „Endlager für Klimasünder“. 2012 wurde das sogenannte CCS-Gesetz verabschiedet, nach dem nur eine CO2-Menge gespeichert werden kann,  die für wissenschaftliche Experimente reicht – das Ende der Weiterentwicklung der CCS-Technik in Deutschland.

In Japan denkt man über CCS im großen Stil nach, zumal nachdem sich eine Testanlage zur CO2-Speicherung bei Sapporo auf der nördlichen Insel Hokkaido im September 2018 während eines Erdbebens bewährt hatte. Der Kohlendioxid-Speicher hatte dicht gehalten. In Norwegen wird die Technologie bereits im regulären Betrieb angewendet, denn leere, bereits ausgebeutete Öl- und Gaslagerstätten eignen sich besonders gut zur Speicherung. Wenn alle europäischen Industrieanlagen in Zukunft klimaneutral werden müssen, könnte die Lagerung des Treibhausgases das Geschäft der Zukunft für die Norweger sein. Berechnungen zufolge hätte Norwegen zumindest über Jahrzehnte die Speicherkapazität für die Emissionen der EU. In Gastankern könnte man das Kohlendioxid – auch aus Deutschland – nach Norwegen transportieren.

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Tatsächlich lässt sich Kohlendioxid auch direkt aus der Luft filtern, unter Druck in Wasser lösen und unterirdisch speichern –  Direct Air Capture heißt diese Technologie. Eine Testanlage befindet sich in Island, und das ist kein Zufall. Die Prozesse benötigen viel Energie, hier stammt sie –  klimaneutral – aus der benachbarten Geothermieanlage. Aufgrund seiner Geologie ist Island besonders geeignet, um das CO2 auch zu speichern: Durch den Vulkanismus gibt es ausgedehnte Basaltlagerstätten, und die Temperaturen im Untergrund sind hoch. Das beschleunigt Vorgänge, die andernorts Jahrhunderte dauern können. Wenn CO2 in das warme Basaltgestein geleitet wird, entsteht dort Karbonat, das Salz der Kohlensäure. Das Klimagas wird fest im Stein gebunden. In Island dauert das nur zwei Jahre. Allerdings schafft die Testanlage nur 50 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr, das entspricht 300.000 gefahrenen Kilometer mit einem Mittelklasseauto. Die Air-Capture-Technik steht also noch ganz am Anfang. Doch das Pilotprojekt zeigt, dass es technisch möglich ist, CO2 aus der Atmosphäre zu entnehmen.

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Kopenhagen will als erste Hauptstadt der Welt klimaneutral sein. Im Jahr 2005 betrugen die Kohlendioxid-Emissionen noch 2,3 Millionen Tonnen. Bereits 2025 sollen sie netto null betragen, also vermieden oder kompensiert sein. Und offiziellen Zahlen zufolge sieht es gut aus, dass die Stadt ihr Ziel erreicht. Die Reduktion will man unter anderem mit folgenden Maßnahmen erreichen (die Prozentzahlen geben an, wie hoch der Anteil des jeweiligen Bereichs an der Gesamtreduktion von Kohlendioxid bis 2025 ist):

1. Energieverbrauch drosseln: 7 %

• Kühlung großer Gebäude mit Hafenwasser statt Klimaanlagen
• Wärmedämmung, Nachrüstung mit Fotovoltaik für ältere Gebäude
• strenge Energieeffizienzauflagen, aber auch Fördermittel für Neubauten

2. Grüne Mobilität: 11 %

• weiterer Ausbau der Fahrradwege, Planung und Bau von „Super-Highways“ für Radfahrer, die auch das Umland anbinden
• Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel, z. B. zwei neue Metrolinien
• Busse fahren elektrisch oder mit CO2-neutralen Kraftstoffen

3. Energieproduktion: 74 %

• Müllverbrennungsanlage liefert Strom und Wärme
• Umrüstung des Kohlemeilers auf Biomasse (nachhaltig bewirtschaftetes Holz)
• Windkraft soll rund 73 % des aktuellen Strombedarfs der Stadt liefern
• Kompensation von unvermeidbaren CO2-Emissionen durch Verkauf von überschüssigem CO2-neutral erzeugtem Strom

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