Die Spuren der Angst
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Können Stress-Gene manipuliert werden?
Bedenkt man, wie viele Menschen traumatisierenden Situationen ausgesetzt sind – in Katastrophen, in Kriegen, auf der Flucht oder durch Terror – dann wird deutlich, welche Dimension dieses Thema besitzt. Traumata wirken sehr lange nach. Viel länger, als gedacht. Es gibt Hinweise darauf, dass sie noch das Leben nachfolgender Generationen mit prägen. Ein Experiment mit Fischen kann das anschaulich machen. Jungtiere gestresster Eltern kennen von vornherein Angst und zeigen Verhaltensmuster, die nur epigenetisch zu erklären sind. Dabei geht es um Veränderungen am Erbgut. Dessen Aktivität variiert. Das Erbgut selbst bleibt unverändert. Bisher dachte man, die Erbinformationen als solche bestimmten das Leben. Aber Forschungen haben gezeigt, es gibt noch eine zweite Informationsebene: DieSteuerung von Genen. Ob sie an- oder abgeschaltet sind, regelt, wie stark Angst und Stress empfunden werden. Die Schaltpläne dafür werden offenbar auch beim Menschen weitergegeben.
Nach dem verheerenden Attentat am 11. September 2001 in New York wurden Augenzeugen erstmals systematisch über Jahre untersucht. Bei den schwer Traumatisierten fand sich eine andere Genaktivität als bei den Gesunden. Forscher können heute einzelne Gene identifizieren, die mit der Regulation von Stress zu tun haben und zeigen, wie Hormone bei Stress die Genaktivität verändern. Cortisol, zum Beispiel, beeinflusst die Lesbarkeit bestimmter GeneBei den schwer traumatisierten Augenzeugen von 9/11 wurden Stress-Gene ununterbrochen abgelesen. Eine mögliche Folge solcher Überaktivität ist Depression.
1.700 schwangere Frauen waren von 9/11 betroffen, etwa weil sie einen geliebten Menschen verloren. Einige von ihnen wurden damals untersucht. Sie zeigten einen erhöhten Cortisolspiegel. Genauso ihre Kinder. Die dadurch verursachten molekularen Veränderungen machen die heute 17-Jährigen womöglich weniger stressresistent als ihre Altersgenossen. Traumata verändern das Aktivitätsmuster unserer Erbanlagen. Die medizinische Forschung sucht nach Möglichkeiten, epigenetische Schalter wieder umzulegenund die Aktivität von Stress-Genen zu manipulieren. Durch die Entwicklung von Medikamenten, durch passende Gesprächstherapie oder durch Ratschläge zur Lebensführung. Denn das ist die gute Seite der Medaille: Epigenetische Vorgänge sind grundsätzlich umkehrbar. In einem positiven Umfeld bilden sich Stressoren nach und nach zurück. Umweltreize wirken auch im Guten auf den Körper. Das gilt ein Leben lang.Entscheidend aber sind Erlebnisse in der Kindheit: Sie bietet beste Gelegenheit, die Schalter günstig zu stellen – für eine möglichst unbeschwerte Zukunft.