Forscher entschlüsseln den Ursprung von Ritualen und finden schon bei unseren Urahnen Hinweise auf zeremonielle Handlungen. Harald Lesch ergründet die wissenschaftlich nachgewiesenen Effekte von Ritualen auf den Menschen und die daraus resultierenden positiven wie negativen Folgen.
Ein ganz besonderes Ritual wird von dem Volk der Sateré-Mawé am Amazonas durchgeführt – beim Ameisenfest. Es dient dem Übergang eines Jungen zum Mann. Für das Ritual sammeln die Männer die 24-Stunden-Ameise. Der Stich dieser tropischen Riesenameise gilt als der schmerzhafteste Insektenstich überhaupt. Der Schmerz hält etwa 24 Stunden an – daher auch der Name der Ameise. Mithilfe eines Blättersuds betäuben die Männer die Ameisen, um sie dann in einem handschuhartigen Geflecht zu fixieren. Die Ameisen werden mit Rauch gereizt Die Heranwachsenden müssen dann für mehrere Minuten beide Hände in solche Handschuhe stecken. Sie bekommen Kräuter gegen den extremen Schmerz und tanzen in den Reihen der Männer bis tief in die Nacht. Die Männer wissen, der gemeinsame Tanz wird die Schmerzen erträglicher machen. Für die Sateré-Mawé erfüllt das Ritual wichtige Funktionen: Es markiert den Übergang vom Jungen zum Mann und verleiht Kraft für spätere Herausforderungen.
Rituale beeinflussen unsere Hormone und unser Denken. Ein Beispiel dafür ist das Hochzeitsfest – ein Ritual, das auch heute noch wichtig ist für viele Liebende. Was das Brautpaar nicht weiß: Emotionale Rituale verursachen nicht nur bei den Handelnden, sondern auch bei deren Freunden und Verwandten messbare körperliche Reaktionen. Die Gefühle aller Beteiligten synchronisieren sich. Oft schlagen sogar ihre Herzen in derselben Situation gleich schnell. Denn durch starke Emotionen werden Botenstoffe im Gehirn ausgeschüttet, die dazu führen, dass die Nervenzellen stärker miteinander kommunizieren. Dadurch werden neue Verbindungen aufgebaut oder bestehende verstärkt. Die Folge: Je emotionaler ein Ereignis ist, desto wahrscheinlicher erinnern wir uns später daran. Und je stärker wir uns an gemeinsame Erlebnisse erinnern, desto stärker halten wir als Gruppe zusammen. Deshalb stärken Rituale, die Emotionen bei uns auslösen, den Zusammenhalt von Gruppen.
Überall auf der Welt gibt es Trauerrituale. In Mexiko ist es ein buntes Fest, in Papua Neuguinea holen Einwohner vom Stamm der Anga die Mumien ihrer Verstorbenen in gewissen Abständen zu sich. Bei uns beginnt mit Allerheiligen für Katholiken die Seelenwoche Anfang November. Tatsächlich helfen solche Rituale im Umgang mit dem Tod. Und Wissenschaftler können zeigen, warum: Beim Tod einer Bindungsperson produziert das Gehirn einen Stoff, der eine Stressreaktion auslöst wie bei höchster Gefahr. Die Nebennieren überschwemmen den Kreislauf mit Cortisol. Der Körper ist eingestellt auf Kampf oder Flucht. Hilft beides nicht, , können Krankheiten entstehen. Extreme Trauer kann Entzündungen oder sogar einen Herzinfarkt zur Folge haben. Rituale helfen, den emotionalen Ausnahmezustand zu regulieren. Tatsächlich entsteht durch ein Ritual in der Gemeinschaft, wie einer Beerdigung, das Bindungshormon Oxytocin. Ein Gegenspieler von Stresshormonen. Die Regelhaftigkeit des Ablaufs gibt Trauernden zudem ein Gefühl der Selbstkontrolle und wirkt beruhigend. Weil aber die Erholung im Trauerprozess oft jahrelang dauert, gibt es weltweit Totengedenken. Es wirkt im Prinzip gleich. Es wirkt lindernd. Ob man eine Mumie streichelt oder Kerzen anzündet – Hauptsache, es gibt die Möglichkeit, den Schmerz nach Regeln der Gemeinschaft zu behandeln. Immer wieder. Das heilt.
In der Blombos-Höhle in Südafrika stießen Forscher auf bis zu 100.000 Jahre alte Funde. Sie belegen, dass der Homo sapiens die Höhle damals immer wieder nutzte. Und die Forscher stießen auf über 8.000 Stück Ocker, der nicht aus der Höhle stammt, sondern bis zu 40 Kilometer weit antransportiert wurde. Warum? Ocker findet in vielen traditionellen Gesellschaften heute noch Verwendung. Beim Volk der Massai in Tansania beispielsweise hat die Verwendung von rotem Ocker bei Ritualen Tradition. Ob die Bewohner der Blombos-Höhle ihn auch schon für Rituale nutzten? Erst ein weiterer Fund brachte einen wichtigen Hinweis: Ein Ockerbrocken mit einem Ritzmuster, über 72.000 Jahre alt. Der Stein muss eine zusätzliche Bedeutung für die Menschen gehabt haben. Welche bleibt für die Archäologen im Dunkeln. Dennoch, der unscheinbare Stein signalisiert einen Quantensprung in der Menschheitsgeschichte: die Fähigkeit über Symbole zu kommunizieren. Das konnten die Bewohner der Blomos-Höhle demnach bereits. Der Stein ist ein Zeichen dafür, dass sie Ocker für Rituale nutzten, vor mehr als 72.000 Jahren.
Einmal im Monat treffen sich die Mitglieder des sogenannten Ku-Klux-Klans, kurz KKK, an einem geheimen Ort im Süden der USA. Was sie verbindet, sind rassistische Ideologien. Die Mitglieder kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten. In den 1920er-Jahren bekannten sich Millionen Amerikaner zum KKK. Seit der Gründung bildet der Klan eine Art „Widerstand der weißen Rasse“ gegen die Gleichstellung von Schwarzen. Auch wenn der Klan heute vergleichsweise klein ist, scheint seine Wirkung weiter massiv. Bei seinen Treffen bedient sich der KKK starker und auffälliger Symbole: Die weißen Kapuzengewänder stehen für Reinheit und Sauberkeit. Die Mitglieder grenzen sich dadurch ab von den Gruppen, die sie als schmutzig und minderwertig wahrnehmen. Höhepunkt jeder Veranstaltung ist das brennende Kreuz. Es soll das Licht Jesu Christi symbolisieren, das die Dunkelheit zurückdrängt. Und es gilt als „Warnkreuz“ gegenüber missliebigen Gemeindemitgliedern. Die Bräuche, Symbole und Rituale sind Ausdruck für flammenden Hass. Auch 150 Jahre nach Gründung des Ku-Klux-Klans sorgen sie für Gruppenbindung unter den Anhängern und zugleich Abgrenzung gegenüber anderen.
Bildquelle: reuters
Paraden und Aufmärsche sind weltweit Symbole der Macht. Sie sind Rituale, die Akteure wie Zuschauer einschwören sollen auf das herrschende System. Fester Bestandteil ist der Gleichschritt. Im Augenblick des Synchronisierens löst sich die Grenze zwischen Ich und Wir auf. Die Gruppe demonstriert: „Wir sind eins.“ Es gibt noch einen weiteren entscheidenden Effekt – ausgelöst durch synchrone Bewegungen. Britische Wissenschaftler haben das Phänomen bei Ruderern studiert. Ruderer trainieren intensiv absolut synchrone Bewegungsabläufe. Im Fokus der Forscher: das Schmerzempfinden. Zuerst untersuchten sie die Schmerzgrenze bei einzelnen Ruderern. Dazu stoppten sie die Zeit, bis eine Blutdruckmanschette am Arm als schmerzhaft empfunden wurde. Dieselbe Messung machten sie, wenn sich die Ruderer synchron miteinander bewegten. Jetzt erhöhte sich die Schmerzgrenze im Vergleich zum Einzeltraining deutlich. Zudem stellten sie fest, dass die Synchronität beglückend auf die Ruderer wirkte. Ursache ist die Ausschüttung von Botenstoffen im Gehirn, sogenannten Endorphinen. Sie fungieren als körpereigene Schmerzstiller. Das Synchronisieren ist ein Akt wechselseitigen Nachahmens. Auf die Marschierenden wirkt das wie auf die Ruderer euphorisierend. Darüber hinaus belegen Studien, dass Menschen dazu neigen, sich in Gruppen meinungskonform zu verhalten.
Eine Gesellschaft ohne Rituale ist einfach nicht vorstellbar. Aber rituelles Verhatlen hat auch seine Gefahren und Grenzen.
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