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Klimakiller nutzbar machen

CO2 – ein Rohstoff für nachhaltige Kunststoffe

Drei Wissenschaftler entwickelten ein chemisches Verfahren auf Basis maßgeschneiderter Katalysatoren, das das reaktionsträge Kohlendioxid für die Herstellung von Polyolen nutzbar macht – eine Ausgangssubstanz für vielseitig einsetzbare Kunststoffe.

Videolänge:
4 min
Datum:
27.11.2019

Kraftwerke, Verkehrsmittel und Industriebetriebe, die fossile Stoffe verbrennen oder verarbeiten, stoßen große Mengen an Kohlendioxid (CO2) aus. Die chemische Industrie benötigt ihrerseits Kohlenstoff, einen Bestandteil des Treibhausgases, als Rohmaterial zur Herstellung von Kunststoffen. Ist es möglich, einen Kreislauf zu schließen, indem ein Teil des emittierten Kohlendioxids für die Industrieproduktion genutzt wird?

Dr. rer. nat.  Christoph Gürtler, Prof. Dr. rer. nat. Walter Leitner und Dr. rer. nat. Berit Stange haben den Beleg erbracht, dass sich der Einstieg in einen solchen Kreislauf realisieren lässt – und dass die Verwendung des Treibhausgases CO2 marktfähige Lösungen bietet. Dazu entwickelten die Nominierten ein chemisches Verfahren auf Basis maßgeschneiderter Katalysatoren, das das reaktionsträge Kohlendioxid für die Herstellung von Polyolen nutzbar macht – eine Ausgangssubstanz für vielseitig einsetzbare Kunststoffe.

Christoph Gürtler leitet den Bereich Neue Verfahren und Produkte bei der Covestro Deutschland AG in Leverkusen, Walter Leitner ist Lehrstuhlinhaber für Technische Chemie und Petrolchemie an der RWTH Aachen University und ist zugleich Direktor am Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion in Mülheim an der Ruhr und Berit Stange ist Leiterin Kreislaufwirtschaft Polyurethane der Covestro Deutschland AG.

Kohlenstoff ist unverzichtbarer Bestandteil von Produkten der chemischen Industrie. In komplexen chemischen Verbindungen stellt das Element einen zentralen Baustein für zahlreiche Kunststoffe dar. Gewonnen wird es bislang meist aus Erdöl, Erdgas oder Kohle. Würde stattdessen der Kohlenstoff aus Kohlendioxid-Molekülen genutzt werden, ließen sich die natürlichen fossilen Ressourcen schonen und somit auch der CO2-Fußabdruck der chemischen Industrie reduzieren. Es wäre ein doppelter Schritt hin zu einer „nachhaltigen Chemie“.

Dem standen bisher zwei Hindernisse im Weg: Zum einen sind die Moleküle des Kohlendioxids chemisch träge: Sie lassen sich nur unter großem Aufwand dazu bringen, sich aufzuspalten oder mit anderen Stoffen Verbindungen einzugehen. Zum anderen würde die dafür nötige Energie sowohl den ökonomischen als auch den ökologischen Nutzen untergraben.

Das nominierte Team konnte beide Hürden überwinden. Dazu nutzten die Forscher Katalysatoren, die auch in der konventionellen Kunststoff-Herstellung zum Einsatz kommen, die sie aber für die Reaktion mit CO2 weiterentwickelten. Die Katalysatoren verringern die Aktivierungsenergie der CO2-Reaktion und bringen die Moleküle so dazu, sich unter vergleichsweise geringem Energieaufwand mit Epoxiden als Reaktionspartnern zu stabilen Polyolen zu vereinen. Diese chemischen Verbindungen wiederum lassen sich beispielsweise zu Polyurethan weiterverarbeiten – einer Klasse von Kunststoffen, die in zahlreichen Produkten Verwendung findet. Die Forschergruppe aus Wissenschaft und Industrie stellte dabei sicher, dass sich die Moleküle in einem wohldefinierten Anteil in das Polyol einbauen. Sie passten dabei das Verfahren so an, dass es sich in bestehende industrielle Prozesse einbinden lässt. Die einzelnen Schritte sind durch zahlreiche Patente abgesichert.

Wegen der vielseitigen Anwendbarkeit von Polyurethan macht die Innovation den „Abfallstoff“ Kohlendioxid zum kostbaren Gut für die Herstellung einer breiten Palette von Produkten. Dazu gehören zum Beispiel Weichschäume für Matratzen oder Polster, sowie Bindemittel und Klebstoffe. Der Einsatz in Hartschäumen, wie sie in Dämmungen zum Einsatz kommen, wird erforscht. Die Anwendung in Textilien befindet sich in der Umsetzung. Der Clou dabei: Der Bedarf an fossilen Rohstoffen für die Herstellung der Polyole sinkt ebenso wie der Energiebedarf über die Wertschöpfungskette. Entsprechend verringert sich der Ausstoß an klimaschädlichem Gas an dieser Stelle. Dabei sind die auf Basis von CO2 hergestellten Produkte qualitativ mindestens so gut und zum Teil hochwertiger als vergleichbare Produkte aus rein fossilen Rohmaterialien. Zudem lassen sie sich zu marktfähigen Kosten produzieren – das macht die Nutzung von Kohlendioxid nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch attraktiv.

Um die Vorzüge des geschaffenen Kohlenstoff-Kreislaufs auch bei der Fertigung im industriellen Maßstab aufzuzeigen, betreibt Covestro in Dormagen seit 2016 eine Pilotanlage für die Herstellung von Polyolen mit einem Kohlendioxid-Anteil von bis zu 20 Prozent. Die Anlage, in deren Aufbau das Unternehmen 15 Millionen Euro investiert hat, kann bis zu 5.000 Tonnen CO2-basierter Polyole jährlich erzeugen, die unter dem Markennamen cardyon® vertrieben werden. Abnehmer sind unter anderem das belgische Unternehmen Recticel, das daraus Polyurethan-Schaumstoffe für Matratzen herstellt, sowie die Firma Polytan aus Berlin, die das Material für Bindemittel in Bodenbelägen für Sportplätze einsetzt. Darüber hinaus wurde kürzlich zusammen mit einem Textilunternehmen eine erste Anwendung für Textilien realisiert: Hier werden Vorprodukte für elastische Textilfasern mit CO2 hergestellt. Und auch die Herstellung von oberflächenaktiven Substanzen, wie sie in Waschmitteln zum Einsatz kommen, werden mit dem Verfahren getestet.

Das Marktpotenzial für die Innovation und entsprechende Produkte ist immens – und die Reduktion des CO2-Ausstoßes über die Wertschöpfungskette der Polyole in der chemischen Industrie beachtlich: Der weltweite Bedarf an diesen Polyol-Bausteinen für Produkte aus Polyurethan beträgt rund 4 Millionen Tonnen pro Jahr. Wenn davon nur rund 20 Prozent mithilfe von Kohlendioxid aus Abgasen hergestellt würden, ließen sich jährlich bis zu 150.000 Tonnen fossiler Rohstoffe einsparen – und gleichzeitig eine entsprechende Menge an CO2-Emissionen. Darüber hinaus ist die Verwendung von Kohlendioxid nach einem ähnlichen Prinzip auch zur Herstellung anderer chemischer Materialien denkbar, was den ökologischen Effekt vervielfachen könnte. An den verfahrenstechnischen Grundlagen dafür arbeiten die Nominierten bereits. Ihr Ziel ist es, eine Plattform-Technologie für zahlreiche Anwendungen zu schaffen – und damit die Vorreiterrolle auf dem Weg zu einer nachhaltigen, ressourcen-, umwelt- und klimaschonenden Chemie noch auszubauen.

Das Vorschlagsrecht zum Deutschen Zukunftspreis obliegt den führenden deutschen Einrichtungen aus Wissenschaft und Wirtschaft sowie Stiftungen.


Das Projekt „CO2 – ein Rohstoff für nachhaltige Kunststoffe“ wurde von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften e.V., der HRK Hochschulrektorenkonferenz und der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V eingereicht.

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