"America is America is America" deklamierte die Lady in der altrosagetupften Bluse, und schlug bekräftigend dreimal auf den Holztisch mit den leeren Kaffeebechern. "Wir brauchen einen, der unser Land wieder groß macht". Ihre Nachbarin stimmte zu, laut und klar: "Ich bin fest davon überzeugt, dass Präsident Trump weiß, wie viel wir Frauen arbeiten. Er wird die gläserne Decke einreißen, die uns daran hindert, es nach ganz oben zu schaffen!"
Wir waren in Nevada, etwa eine Stunde nördlich von Reno im Wüstenstädtchen Gerlach. In dieser Gegend spielt der neue Roman von Willy Vlautin, dem Autor der schönsten Balladen des heutigen Westens. Er war in Reno aufgewachsen und hatte uns vorgewarnt, dass wir bestimmt einige ganz besondere Typen dort treffen würden. Die begegneten uns nun in Gestalt dreier Ladies, die feierten, dass sie sich vor genau 70 Jahren in der dritten Klasse kennengelernt hatten, beim Frühstück bei Bruno's, dem einzigen Café weit und breit.
Sie waren in der Gegend aufgewachsen und geblieben, wegen der "Schönheit der Wüste" und weil sie sich da wohl fühlen wo jeder jeden kennt und man zusammenhält. Und von ihnen hörten wir nun eines der größten Rätsel der Trump-Wahl. Warum hatten so viele Frauen "Grab-them"-Donald gewählt? Nein, sie fühlten sich vollkommen von ihm repräsentiert. Wenn er nur etwas mehr Zeit hätte und die Medien ihn nicht immer so verteufeln würden, könnte er richtig arbeiten und dann würde es dem Land – und seinen hart arbeitenden Frauen – besser gehen. Sie konnten gar nicht mehr aufhören, ihren Präsidenten zu preisen. Kameramann Jan bewegte sich mit der Varicam auf der Schulter um den Tisch herum, denn ständig fiel eine der anderen ins Wort, um zu erklären, in welchem Aufschwung sich ihre Nation befand.
Eine Szenerie wie in Willys Romanen, wo verlorene junge Helden von besorgten Hardlinern eines alten Amerika umgeben sind, das um seine Größe ringt. So verlieren sie sich immer mehr, umgeben von einem Netz aus Hass und Angst vor den Fremden, die Amerika verändern könnten. Da wirkt das Lächeln der Kellnerin im Koffeeshop wie ein Sonnenstrahl, oder, wie im neuen Roman, wird die Güte eines Farmer-Ehepaars zur rettenden Kraft.
Um seine Helden und Heldinnen besser zu verstehen sind wir mit Willy Vlautin unterwegs – an die Orte seiner Kindheit in Reno, auf den endlosen Motelstraßen, wo seine ersten Teenager-Helden wohnten und wo draußen im Nirgendwo sein neuer junger Held Hector auf einer Farm arbeitet und den Entschluss fasst, als mexikanischer Boxer ein Champion zu werden. Und ja, eines verstehen wir hier sehr schnell: die Angst vor der Einsamkeit, die seine Stories durchzieht. Es ist das Amerika der verlorenen Seelen, irgendwo im Nirgendwo, vergessen von Washington und der Welt – würde nicht Willy Vlautin ihre Schicksale erzählen. Er selbst ist nach Oregon gezogen, als er Musik machen wollte, seine Lieder und Romane Liebeserklärungen an Nevada: "Utah ist ein Model, aber Nevada ist eine Kellnerin – ihr Lächeln ist authentisch, Ihre Freundlichkeit echt". Der Bob Dylan des heutigen Westens wird Willy Vlautin in den USA genannt. Mit ihm entdecken wir die Sehnsüchte eines Landes an Orten, die politisch oder wirtschaftlich verschwinden, aber kulturell viel von der Richtung prägen, die Amerika gerade einschlägt.