Viele Langläufer haben bei der Tour de Ski die olympischen Spiele im Hinterkopf, mehr denn je. Einige Favoriten verzichten sogar ganz auf den Start.
Denn diese besondere Rennserie erfordert ganz besondere Anstrengungen. Und die könnte man sechs Wochen später bereuen.
Kalla und Klaebo passen
Es sind immerhin die im Weltcup Führenden bei Damen und Herren, die der Tour de Ski in diesem Winter einen Korb geben. Charlotte Kalla erlebte vor mittlerweile zehn Wintern, als Senkrechtstarterin und Überraschungssiegerin mit gerade mal 20 Jahren, dass sie danach fast zwei Winter lang nach ihrer alten Form suchte. Selbst mit inzwischen 30 Jahren - und etlichen Trainings- bzw. Wettkampfkilometern mehr in den Beinen - scheint sich die Schwedin nicht sicher zu sein, ob ihr Körper die Doppelbelastung vertragen würde.
Auch Johannes Hoesfloet Klaebo, der jugendliche Supermann aus Norwegen, folgt dem Rat seiner engsten Vertrauten – das sind sein Vater (Manager) und Großvater (Trainer) – und legt nach furiosem Saisonstart mit sechs Siegen aus sieben Rennen lieber eine Pause für Regeneration und Aufbautraining ein. Sein überragendes Talent dürfte ihm in Zukunft ziemlich sicher noch den einen oder anderen Toursieg einbringen, er ist ja gerade erst 21 Jahre alt.
Sieg geht nur über Weng
Bei den Frauen gibt es weitere prominente Abwesende: Stina Nilsson etwa, die schwedische Klassesprinterin, die im letzten Jahr mit vier Etappenerfolgen und dem dritten Gesamtrang überraschte. Oder Marit Björgen, die erfolgreichste Langläuferin aller Zeiten, die es offenbar als nicht erstrebenswert ansieht, hier noch weitere Weltcupsiege einzufahren. Von denen besitzt sie ja mehr als genug, nämlich 112. Und den Gesamtsieg der Tour, dem die Norwegerin lange hinterherlief, hat sie seit 2015 auch in der Tasche. Wenn sich im Februar in Korea die olympischen Erfolge einstellen sollten, hätten diese Abwesenden wohl alles richtig gemacht. Aber wer weiß das schon?
Der Sieg geht – in Abwesenheit der bis zum Saisonende gesperrten Therese Johaug - bei den Frauen wohl nur über Vorjahressiegerin und Dauerläuferin Heidi Weng. Die Norwegerin ist eine erprobte Vielstarterin, fühlt sich wohl auf jeder Strecke und in beiden Stilarten. Offensichtlich ist sie auch ein Regenerationswunder. Das sind die Zutaten einer potentiellen Gesamtsiegerin. Der Erfolg bei der Tour de Ski, das sei den Verweigerern ins Stammbuch geschrieben, bringt dermaßen viele Punkte (400 für den Gesamtsieg, je 50 pro Etappenerfolg), dass man damit oft schon dem Sieg im Gesamtweltcup entscheidend näher kam. All das spült auch ordentlich Geld in die Haushaltskasse. Nicht zu verachten also, wird sich Weng gesagt haben. Sie braucht aber nach eigenem Bekunden dafür pro Nacht zehn Stunden Schlaf – mindestens. Das zu schaffen, scheint aber auf dieser stressigen Hatz quer durch die Alpen (sieben Etappen an neun Tagen) ein echtes Kunststück zu sein.
Bolschunow schon ein Konkurrent für Ustiugow?
Im Männerbereich könnte das Duell zwischen Sergej Ustjugow und Martin Sundby daran scheitern, dass der Norweger zuletzt unter ziemlichen Atemwegsproblemen litt. Belastungsasthma ist ein großes Thema im Freiluftsport Langlauf, vor allem dessen legale Bekämpfung. Denn die lindernde Substanz Salbutamol ist auch für ihre leistungssteigernden Nebenwirkungen bekannt. Sundby scheint unter allen Umständen vermeiden zu wollen, dass sein in dieser Hinsicht angeknackster Ruf weiter leidet. Er hatte 2014/15 dieses Mittel nicht ordnungsgemäß angemeldet und zudem die Dosierung überschritten - was ihn nachträglich Tour de Ski und Weltcup-Gesamtsieg kostete.
Ustjugow hat mit seiner phänomenalen Vorstellung letzten Winter alle überrascht. Am Ende kam er nach fünf Etappensiegen (Rekord!) auch als Erster auf der Alpe Cermis an, dieser supersteilen Schlussrampe im Val di Fiemme. Laut Markus Cramer, seinem deutschen Trainer, hatte Ustjugow jedoch zu Beginn der Saison erhebliche Motivationsprobleme. Er habe einige Tage ohne Training verstreichen lassen, als die Sperren gegen seine Teamkollegen, vor allem die gegen seinen Freund Ewgeni Below, im Zuge der Aufklärung des russischen Staatsdopings 2014 verhängt wurden. Von Ustjugow selbst, damals schon als Nachwuchsmann dabei, waren keine manipulierten Proben gefunden worden. Nun droht dem Titelverteidiger womöglich die größte Gefahr aus dem eigenen Team, vom noch jüngeren Alexander Bolschunow. Das russische Team scheint nämlich die Sperre seiner prominenten Altstars, u.a. des Tour de Ski-Gesamtsieger von 2013 Alexander Legkow, mit starken Nachwuchskräften bestens kompensieren zu können.
Deutsches Team muss sich noch finden
Was sich von der deutschen Mannschaft leider nicht behaupten läßt. Bei den Männern hinterlässt das frühe Karriereende der beiden Talentiertesten, Hannes Dotzler und Tim Tscharnke, eine vorerst nicht zu schließende Lücke. Zudem startete Florian Notz, im letzten Winter Bestplatzierter im Weltcup, krank in die Olympiasaison. Ich kann mich nicht erinnern, dass es zu diesem Saisonzeitpunkt jemals so wenige Top-Platzierungen aus den Reihen des DSV gegeben hätte. Einzig Sandra Ringwald hat durch einen siebten Platz im Sprint von Davos die Olympianorm (einmal beste Acht) geschafft! Dazu kommt Nicole Fessel auf zwei Plätze unter den besten Fünfzehn, was auch ausreicht, aber natürlich nicht ihrem Anspruchsniveau entspricht. Die Tour de Ski wird nun, auch mangels geeigneter Kandidaten fürs Gesamtklassement, zu einer Last-Minute-Gelegenheit, Versäumtes nachzuholen. Es würde schon ausreichen, auf einer speziellen Etappe Besonderes zu leisten. Die eigene Form, das Material, die äußeren Umstände – alles muss stimmen, und zudem darf die ohnehin dezimierte Konkurrenz auch nicht ihren besten Tag haben.
Die Deutschen nutzen ihren Heimvorteil bis auf den letzten Platz aus: da Oberstdorf ebenfalls Etappenort ist, gilt auch schon in Lenzerheide die nationale Quote von je 10 Frauen und Männern. Es gilt das Prinzip Hoffnung bei den Sorgenkindern des Wintersports. Die Qualifikation für Olympia steht über allem: Die Tour de Ski ist da nur Mittel zum Zweck.