Nach zuletzt zwei Doppelsiegen in Folge sind Richard Freitag und Andreas Wellinger Topfavoriten bei der Tournee-Generalprobe in Engelberg. Das ZDF zeigt die beiden Weltcup-Skispringen in der Schweiz am Samstag und Sonntag live.
An das neue Erscheinungsbild von Richard Freitag muss man sich erst einmal gewöhnen. Der deutsche Skispringer trägt neuerdings einen Oberlippenbart - und das fällt auch deshalb so auf, weil man den 26-Jährigen in diesem Winter so oft wie nie zuvor auf dem Podium sieht. Zwei Siege hat Freitag vor der Tournee-Generalprobe in Engelberg schon gefeiert, erstmals das gelbe Trikot des Gesamtweltcup-Besten erobert. Sein ärgster Konkurrent ist gleichzeitig sein Kumpel: Andreas Wellinger ist Teil zwei der neuen deutschen Doppelspitze in der Luft.
"Ewiges Talent" endlich reif?
„Es ist echt cool, mit Richie zusammen auf dem Siegerpodest zu stehen. Wir pushen uns gegenseitig“, sagt Wellinger, der bei der Weltmeisterschaft Anfang des Jahres Mixed-Gold und zweimal Einzel-Silber gewonnen hatte. Richard Freitag fuhr aus dem finnischen Lahti wieder einmal ohne Medaille nach Hause. Aber das „ewige Talent“ hat aus dieser Enttäuschung die richtigen Schlüsse gezogen. Bisher war der Sachse „nur“ der Mann für einzelne große Momente wie 2015, als er überraschend beim Vierschanzentourneespringen in Innsbruck triumphierte.
Nach dem ersten deutschen Einzelsieg beim Skisprung-Grand-Slam seit zwölf Jahren verschwand er wieder im gehobenen Mittelmaß der Weltelite. Bis jetzt. Und dieses Mal könnte sein Auftritt auf dem Siegerpodest nicht nur ein Gastspiel sein.
Umzug als Schlüsselfaktor
Der Höhenflug hat wohl ein gutes Stück damit zu tun, dass Freitag seine geliebte sächsische Heimat verlassen hat. Gemeinsam mit seiner 16 Jahre alten Schwester Selina – ebenfalls eine hochtalentierte Skispringerin – ist Freitag nach Oberstdorf gezogen. Das spart ihm die häufige Anreise zu den Trainings-Lehrgängen im Vierschanzentournee-Ort im Allgäu. Zudem trainiert er jetzt bei Christian Winkler, der auch für die perfekte Materialabstimmung im deutschen Flieger-Team zuständig ist. Alles kleine Mosaiksteine für den Erfolg.
„Der Umzug war ein guter Schritt für ihn – auch, weil er eine große persönliche Herausforderung war. Zudem hat sich Richard persönlich enorm weiterentwickelt und sein Flugsystem verbessert“, sagt Bundestrainer Werner Schuster: „Jeder erwartet ja schon lange seinen Durchbruch. Dabei ist Richard erst 26 und da beginnt die Blütephase eines Skispringers. Zwischen 26 und 30 ist viel von ihm zu erwarten.“
Freitags größte Enttäuschung
Zumal Richard Freitag speziell in diesem Olympia-Winter einiges nachzuholen hat. Vor inzwischen vier Jahren erlebte der große Stilist seine bislang größte sportliche Enttäuschung, als er beim olympischen Team-Wettbewerb von Sotschi zuschauen musste. Deutschland gewann auch ohne den absprungstarken Stilisten Freitag Gold und zum Olympiasieger-Team gehörte mit Andreas Wellinger auch ein frecher Teenager.
Der schlaksige Flugkünstler Wellinger ist inzwischen fester Bestandteil der Weltelite. Dass er mit Richard Freitag nun noch einen Konkurrenten auf Augenhöhe im deutschen Flieger-Team hat, macht ihn noch stärker. „Die beiden kommen gut miteinander aus und treiben sich gegenseitig an. Wir haben eine tolle Situation im Team. Das macht Hoffnung für die die vielen Höhepunkte in diesem Winter“, sagt Schuster. Damit meint er die Vierschanzentournee, die Skiflug-Weltmeisterschaft im heimischen Oberstdorf und natürlich die Olympischen Spiele in Pyeongchang.
Zwei Anwärter auf den Tourneesieg
Derzeit denkt Schuster nur an die Vierschanzentournee (ab 31. Dezember live im ZDF), wo die deutschen Flieger seit 16 Jahren auf einen Gesamtsieg warten. „Es würde mir sehr viel bedeuten, wenn wir die Tournee mal gewinnen könnten. Und das Gute ist: Diesmal haben wir sogar zwei Anwärter dafür.“
Die Chancen auf einen deutschen Tournee-Triumph stehen so gut wie lange nicht mehr: Freitag und Wellinger feierten im russischen Nischni Tagil und beim Heim-Weltcup in Titisee-Neustadt zuletzt zwei deutsche Doppelsiege in Serie. Das gab es zuletzt am 15. Dezember 2001: Damals triumphierte Stephan Hocke vor Sven Hannawald bei der Tournee-Generalprobe in Engelberg. Wenig später feierte Hannawald seinen historischen Grand Slam-Sieg bei der Vierschanzentournee, den bis heute letzten deutschen Gesamtsieg. Gut möglich, dass die neue deutsche Doppelspitze in der Luft das ändert.