In der Tabelle trennen den Hamburger SV und Borussia Mönchengladbach Welten. Gemeinsam ist ihnen eine ruhmreiche Vergangenheit und die Sehnsucht nach neuem Glanz. Aber fast immer, wenn sie vor dem nächsten Schritt stehen, folgt ein Rückschlag - wie gerade beim HSV.
Es war zwar nur eine Momentaufnahme. Doch als der HSV nach dem zweiten Spieltag dieser Bundesliga-Saison mit Bayern München und Borussia Dortmund das Spitzentrio der Tabelle bildete, schien es für viele Hamburger so, als seien sie endlich wieder dort angekommen, wo sie hingehören.
Flug des Ikarus
Schnell wurde klar, dass dieses Tabellenbild ein Muster ohne Wert war, dass der Aufstieg eher dem Flug des Ikarus glich, der zu schnell zu hoch hinauswollte und sich die Flügel verbrannte. In rasendem Tempo wurde der HSV mit vier Niederlagen in Folge wieder nach unten durchgereicht - mitten hinein in den Abstiegskampf. Wie in den vergangenen Jahren.
Doch nach dem 3:0 gegen Hoffenheim am 13. Spieltag schien sich zumindest ein erneuter Existenzkampf vermeiden und endlich eine solide Flughöhe ansteuern zu lassen. Es folgten Unentschieden gegen die Tabellennachbarn aus Freiburg und Wolfsburg und zuletzt die 1:2-Heimpleite gegen Eintracht Frankfurt. Sollte jetzt noch eine Niederlage in Mönchengladbach folgen - dann hängt am Weihnachtsbaum ein Tabellenbild mit dem HSV auf einem Abstiegs- oder Relegationsplatz.
Wie im Brennglas
Das Spiel gegen Frankfurt zeigte die Flugbahn des HSV in dieser Saison wie im Brennglas auf: Starker Beginn mit früher 1:0-Führung, dann ein unerklärlicher Einbruch bis zum 1:2-Rückstand und schließlich eine Leistungssteigerung ohne krönenden Abschluss. "Vogelwild" nannte Vorstandschef Heribert Bruchhagen die Vorstellung.
Der HSV ähnelt tatsächlich eher Ski-Adlern, die vom Gegenwind aufgetrieben werden, aber bei Rückenwind ins Trudeln geraten. "Wir hatten das Gefühl, es läuft alles, wurden dann aber allzu leichtfertig", sagte Trainer Markus Gisdol nach der Niederlage gegen Frankfurt. Alles beim Alten beim HSV also?
Bessere Leistung - weniger Zuschauer
Nicht ganz, denn die Anhänger scheinen langsam müde zu sein vom steten Wechsel zwischen Hoffnung und Enttäuschung. Der Klub verzeichnet im Moment den schlechtesten Zuschauerschnitt seit zwölf Jahren. Gegen Frankfurt gab es mit knapp 41.000 Zuschauern so wenige wie seit 2004 nicht mehr.
Dabei zeigt die Mannschaft spielerisch eine Weiterentwicklung im Vergleich zur letzten Saison auf. Nach Jahren permanenter personeller Unruhe ist zumindest in der sportlichen Leitung Stabilität erkennbar. Trainer Gisdol und Sportchef Jens Todt bekommen von Vorstandschef Bruchhagen die Rückendeckung, die für eine kontinuierliche Entwicklung nötig ist.
Hoffnungsschimmer aus dem Campus
Dafür, dass es beim HSV nicht zu ruhig wird, sorgten in letzter Zeit allein der Aufsichtsrat und Investor Klaus-Michael Kühne, die sich einen öffentlichen Streit über die künftige Besetzung des Aufsichtsgremiums lieferten.
In all den Mühen der Ebene, die der HSV wohl noch eine Weile vor sich hat, leuchtet hell ein Hoffnungsschimmer auf, der tatsächlich in die Zukunft weist. Mit dem erst 17-jährigen Jann-Fiete Arp hat der HSV nach langer Zeit wieder einen Spieler aus der eigenen Jugend hervorgebracht, der nicht nur von den europäischen Spitzenklubs umworben wird, sondern auch das Zeug zur Identifikationsfigur hat.
Nachwuchschef sorgt für Kontinuität
Neben Arp hat in den letzten Wochen mit Tatsuaya Ito ein zweiter Nachwuchsspieler den Sprung in die erste Elf geschafft und sorgt dort für reichlich Wirbel. Das Konzept von Nachwuchschef Bernhard Peters, für das es mit dem neuen Campus am Stadion nun auch perfekte Bedingungen gibt, trägt langsam Früchte.
Es ist kein Zufall, dass Peters das einzige Mitglied der alten Führungsriege ist, das aus den Wirren der letzten Jahre unbeschadet hervorgegangen ist und gerade einen neuen Vertrag unterschrieben hat. Er ist beim HSV das lebende Beispiel für den Wert der Kontinuität.
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