Dortmunds Saisonvorbereitung stottert, der Supercup gegen den FC Bayern kommt zu früh. Doch mittelfristig möchte der neue Borussen-Trainer einen attraktiven Stil prägen.
Wenn für ihn doch alles so leicht wäre wie das Atmosphärische. „Hi, ich bin Peter“, sagt der neue BVB-Trainer mit einem gewinnenden Lächeln und streckt den Reportern im Bauch des Saitama-Stadions im Norden Tokios die Hand entgegen. Nach seinem Debütsieg für die Borussia, einem 3:2 über die Urawa Red Diamonds zum Auftakt der Asienreise vor drei Wochen, stellte sich Peter Bosz sehr nahbar den mitgereisten Journalisten, redete offen über Wünsche und Ziele und auch über das kalkulierte Risiko, beim Umstieg auf seine Spielphilosophie werde es anfangs haken.
Spektakulär, aber gefährlich
Damit hat der 53-Jährige Recht behalten. Von den Ergebnissen her lief die Saisonvorbereitung so schlecht wie lange nicht für Dortmund. Drei Pleiten und ein schmeichelhaftes Remis werden von zwei Siegen in Fernost nicht aufgewogen. Nur zwei Wochen bleiben bis zum Bundesliga-Start. Das Prestigeduell mit dem Abo-Meister FC Bayern passt eigentlich nicht in den Aufbauplan.
Viele Baustellen öffnen sich für den Thomas-Tuchel-Nachfolger, der für rund drei Millionen Euro von Ajax Amsterdam losgeeist wurde. Dass in Julian Weigl, Marco Reus, Raphael Guerreiro und Kapitän Marcel Schmelzer vier Pfeiler verletzt fehlen, macht den Beginn nicht leichter. Dazu hat Bosz die Unwucht zwischen Defensive und Offensive geerbt. Schon vergangene Saison war die Abwehr mit 40 Liga-Gegentoren die große Schwachstelle im Dortmunder Offensivkunstwerk. Die Probleme werden nun potenziert, wenn der Neue das Team auf Voetbal total umprogrammiert, seinen favorisierten Spielstil der holländischen Schule. Im Idealfall will Bosz den Vollgas-Fußball der Klopp-Jahre mit Tuchels analytischem Ballbesitz-Ansatz versöhnen.
Prägende Gespräche mit Cruyff
„Er ist ein wenig wie Pep Guardiola“, schwärmt Jordi Cruyff, der ihn als Sportdirektor zu Maccabi Tel Aviv lotste. „Peter ist ein Taktik-Fuchs, er liebt das schnelle, kurze Spiel. Er mag es, wenn die Mannschaft Druck ausübt und die Kugel umgehend zurückgewinnt.“ Es gilt die Fünf-Sekunden-Regel, in dieser Zeit sollen seine Akteure einen Ballverlust reparieren. Wenn das funktioniert, sieht es spektakulär aus wie bei Ajax. Es beschwört aber auch Gefahren herauf, wenn nicht alle Spieler konzentriert mitarbeiten. Zumal der BVB nach zwei Jahren im Tuchel-Labor jenem 4-3-3-System beinahe entwöhnt ist, in dem dieser Fußball am besten gedeiht.
Bereits mit 16 beschloss Bosz, nach der aktiven Karriere Coach zu werden. Es ist überliefert, dass er als Feyenoord-Spieler beim Training des Erzrivalen Ajax spionierte, um die Methoden von Louis van Gaal zu studieren. Auf den Trainerstationen bei De Graafschap, Heracles Almelo und Vitesse Arnheim näherte er sich diesem Ideal an. Geprägt hat ihn aber die kurze Zeit in Tel Aviv, weil er dort Jordis Vater traf, die Fußball-Legende Johan Cruyff. „In dieser einen Woche habe ich genug für zehn Jahre gelernt“, sagt Bosz. In Amsterdam setzte er all die Eindrücke um. Das im Schnitt keine 23 Jahre alte Team wurde Zweiter der Eredivisie und stürmte ins Finale der Europa League.
Dabei gestaltete sich schon bei Ajax der Umbruch schwierig, für Bosz-Fußball braucht es Geduld. “Es geht um die Spielweise. Dann kommt das Ergebnis von selbst, wie bei Meistern der Malerei“, wirbt Ted van Leeuwen, Technischer Direktor bei Esbjerg FB, für seinen Freund. Mit seinen Co-Trainern Hendrie Krüzen und Albert Capellas, der sechs Jahre lang beim FC Barcelona Leiter der legendären Nachwuchsakademie La Masia war, arbeitet er hartnäckig daran, den Plan nun auch in Dortmund zu vermitteln. Im Trainingslager in Bad Ragaz unterbrach Bosz immer wieder erläuternd und korrigierend die Einheiten. Tägliches Videostudium soll helfen, das neue Leitbild einzuprägen.
„Onkel Peter“ mit ehrgeizigen Zielen
In Zeiten junger Laptoptrainer kommt der frühere Verteidiger fast wie ein Relikt daher, aber das sollte keinen täuschen. Als Bosz mit 36 Jahren seine Profikarriere beendete, war er sich nicht zu schade, den Trainerjob beim Heimatklub AGOVV Apeldoorn von der Pike auf zu lernen. Später fügte er als Sportdirektor bei Feyenoord weitere Facetten des Geschäfts hinzu. Nun hat er sich eine große Coaching-Karriere in den Kopf gesetzt. “Als Trainer will ich zeigen, dass ich zu den Besten gehöre“, sagte er vor Amtsantritt in Amsterdam auf ungewöhnliche Weise: Im launigen Youtube-Videoblog seiner Nicht Joy wurde der nette Onkel Peter plötzlich sehr ernst.
"Er ist im Umgang sehr verbindlich, aber hart in der Sache. Man muss ihm Zeit geben", fordert Hans-Joachim Watzke. Doch wie viel Kredit er von der ambitionierten Borussia bekommt, wird spannend sein zu sehen. Denn BVB-Chef Watzke steht ebenso unter Druck nach der hässlichen Scheidung von DFB-Pokalsieger Tuchel, die nicht allen gefiel. Ein kleiner Liga-Fehlstart wäre noch zu verkraften, aber spätestens wenn Mitte September die Champions League beginnt, sollte die Borussia wieder stabil sein. Auch damit das wiederentdeckte Atmosphärische so leicht bleibt.