Nach dem WM-Desaster beginnt der Bundestrainer zum Auftakt der Nations League bei den Grundlagen. Für Joachim Löw wird das 0:0 gegen Frankreich zum Mutmacher.
Natürlich hat Joachim Löw hinterher weit nach Mitternacht nicht mehr die Stimmungen vom Fußball-Volk eingeholt. Etwa in jenen bayrisch geprägten Münchner Bahnhofskneipen, in denen die Höhepunkte vom Länderspiel-Klassiker zwischen Deutschland und Frankreich noch in Endlosschleife liefen. Und in denen eingedenk des Chancenübergewichts in Halbzeit zwei ja der Eindruck aufkam, der entthronte Weltmeister hätte gegen den amtierenden Weltmeister gewinnen müssen.
Aber auch so erschien Löw fast mit einer gewissen Genugtuung zur Pressekonferenz, weil der oberste Fußballlehrer des Landes den Paradigmenwechsel eingefordert hatte. „Ich bin heute zufrieden mit der Leistung der Mannschaft. Das ist aber auch meine Erwartung an die Mannschaft, diese Bereitschaft zu sehen, dass sich alle Spieler reinhauen, mal unabhängig vom Ergebnis, mal ein anderes Gesicht, ein anderes Auftreten zeigen. Mit dem Ergebnis und dem Spiel kann ich sehr gut leben.“ Eine Nullnummer gegen den Weltmeister als Mutmacher.
Rückbesinnung auf die Ochsen-Abwehr von 2014
Tatsächlich hatte Löw ja seine Lektionen aus der völlig missratenen WM 2018 in Russland gelernt; und erinnerte sich prompt an jene pragmatische Methodik, die er bei der WM 2014 zum Unwillen der Öffentlichkeit bis zum Achtelfinale durchpeitschte. Damals vertraute Löw der so genannten „Ochsen-Abwehr“, einer Viererkette mit den gelernten Innenverteidigern Shkodran Mustafi, Mats Hummels, Jerome Boateng und Benedikt Höwedes, in der vor allem Robustheit gefragt war.
Anpassung und Flexibilität standen nun erneut ganz oben auf der Agenda. „Immer wird das nicht die richtige Lösung sein, weil es auch Mannschaften gibt, die mehr hinten drinstehen“, erläuterte Löw. Diese stabile Viererkette sei allerdings notwendig gewesen, um die gegnerischen Stärken zu ersticken. „Immer oder dauerhaft wird das nicht der Fall sein.“ Vermutlich wird schon am Sonntag (20.45 Uhr) gegen Peru die Abwehr mit einem klassischen Linksverteidiger wie dem Lokalmatador Nico Schulz von der TSG Hoffenheim besetzt.
Löw hatte sich zuletzt alle Spiele der WM 2010 und 2014 noch einmal angesehen, um seine subjektive Wahrnehmung mit objektiven Beobachtungen zu unterfüttern – und am Ende blieb die Erkenntnis, dass beim WM-Triumph vor vier Jahren in Brasilien von Trainerseite die „goldene Mitte“ gefunden wurde. Nichts anderes war nun die Rückbesinnung zum Neustart gegen Frankreich. Mochten die Abwehrspieler Matthias Ginter und Antonio Rüdiger in der Wahl ihrer (spielerischen) Mittel auch beschränkt sein, sie ließen gegen Frankreich zumindest defensiv über die Außenbahnen nichts anbrennen. Ist ein Haus vollkommen abgebrannt, wird beim Neuaufbau doch auch zuerst Wert auf ein ordentliches Fundament gelegt.
Unter besonderen Vorzeichen
„Es war uns bewusst, dass das Spiel unter besonderen Vorzeichen steht nach dieser enttäuschenden WM, und dass die Mannschaft wieder eine andere Einstellung, ein anderes Gesicht, ein anderes Verhalten zeigen musste“, konstatierte Löw. Eine stimmige Balance, eine funktionierende Abstimmung standen über spielerischer Finesse und kreativem Spiel. Der 58-Jährige: „Wir sind nie in Kontersituationen gelaufen. Jeder einzelne Spieler ist zum jetzigen Zeitpunkt der Saison an die Grenze gegangen, hat die Zweikämpfe angenommen.“
Ihm sei auch klar gewesen, dass sich der Weltmeister gewiss nicht locken lässt, deshalb sei es um die richtige Mischung gegangen: „Wir durften uns nicht entblößen und in Konter laufen, was uns gegen Mexiko passiert ist. Das haben wir geschafft. Es wird auch Gegner geben, die weniger Klasse als Frankreich haben, da werden wir zwangsläufig in der gegnerischen Hälfte spielen.“
Müller entdeckt sogar einen Spaßfaktor
So war dieser Mannschaft auch der Beifall des Publikums gewiss, die sich mit den Grundtugenden ein Stück Glaubwürdigkeit zurück erkämpfte. Dass Mats Hummels und Joshua Kimmich in der ihr vertrauten Arena sofort mit Schlusspfiff den Kontakt zu den Fans suchten und ihr Trikot in die Menge schleuderten, wirkte wie ein weiteres Signal zur Wiedergutmachung. Gerade Abwehrchef Hummels fühlte sich mit der Taktik bestätigt: „Defensive Stabilität ist die Grundvoraussetzung. Eine gute Defensive gewinnt Titel. Wir können die Leute nur für uns begeistern, wenn wir keinen Ball verloren geben.“
Bezeichnend wie auch Toni Kroos, Deutschlands Fußballer des Jahres, im Mittelfeld hin und wieder mal die Grätsche ausfuhr statt teilnahmslos zurückzutraben. Thomas Müller brachte die Neuausrichtung gut auf den Punkt: „Die Tendenz war da, dass wir unser Tor wieder mit Mann und Maus verteidigen. Ziel war vor allem die Kontervermeidung, dass wir nicht mit acht Spielern vorne angreifen und zwei hinten allein lassen.“ Er als Stürmer sei natürlich nicht 100-prozentig zufrieden, aber: „Es macht auch Spaß, vorne die Meter zu machen und dann den Ball zu erobern.“