Trotz der durchwachsenen Vorrunde ist für die deutschen Handballer bei der EM in Kroatien noch alles drin. Um das erste Hauptrundenspiel gegen Tschechien (18.15 Uhr live im ZDF) zu gewinnen und die Halbfinalchance zu wahren, braucht es jedoch eine Leistungsexplosion im linken Rückraum.
Als die deutschen Handballer vor zwei Jahren in Polen auf sensationelle Weise zum EM-Titel stürmten, wiederholte Trainer Dagur Sigurdsson stets, dass man auch etwas Glück benötige. „Es geht auch darum, dass man die Welle trifft“, sagte der Isländer. Aktuell sucht der Titelverteidiger geradezu verzweifelt nach dieser Welle. Wo ist die Leichtigkeit geblieben bei der 13. EM in Kroatien? Die Mannschaft wirkt wie gelähmt. Insbesondere im Angriff.
"Wurfqualität hat gefehlt"
Während sich die Rückkehr von Finn Lemke als Abwehrchef beim 25:25-Remis gegen Mazedonien bezahlt gemacht hatte, stolperte der deutsche Positionsangriff geradezu in die Abwehr des Gegners – wenn nicht Steffen Weinhold (THW Kiel) mit zahlreichen Einzelaktionen getroffen hätte, dann wäre der Traum von der Titelverteidigung schon nach der Vorrunde geplatzt. „Die Wurfqualität hat gefehlt“, sagte der deutsche Delegationschef Bob Hanning im ZDF-Morgenmagazin. Und forderte er mehr Lockerheit von der deutschen Rückraumreihe. „Die PS, die die Truppe hat, müssen auf die Straße.“
Hanning bezeichnete Maximilian Janke, den EM-Debütanten vom SC DHfK Leipzig, als bisher besten Profi im linken Rückraum. Die drei anderen Rückraum-Rechtshänder Steffen Fäth (Füchse Berlin), Julius Kühn (MT Melsungen) und Philipp Weber (Leipzig) könnten viel mehr, sagte er kritisch. „Spieler brauchen Sicherheit und Selbstbewusstsein – aber eben auch Leistung. Jeder Spieler kann beispielsweise in Überzahl den Ball nehmen und auf das Tor werfen, auch Julius Kühn. Dafür wurde noch keiner bestraft. Das ist doch die Wahrheit.“ Eine schlüssige Erklärung für dieses Rätsel im Rückraum lieferte der Delegationschef freilich nicht.
Spektakulärer Leistungsabfall
Der Leistungsabfall dieses Trios ist geradezu spektakulär angesichts des Niveaus, das diese drei Profis in ihren Klubs zuletzt zeigten. Kühn ist mit 122 Treffern der mit Abstand beste Feldtorschütze, er spielte in der Form seines Lebens. Auch Fäth sahen viele Experten bei den Füchsen in Topform, während Füchse-Manager Hanning ihn als inkonstant einstufte („Er spielt mal so und mal so bei uns in Berlin“). Und auch Philipp Weber agierte bis zu seinem Mittelfußbruch auf extrem hohem Level. Und in den Vorbereitungsspielen gegen Island sah noch alles prima aus.
Es gibt einige Experten, die hinter vorgehaltener Hand vermuten, dass die Aufstellungspolitik Prokops die deutschen Profis nachhaltig verunsichert hat. Kritisiert wird, dass der neue Bundestrainer beim Auftaktspiel gegen Montenegro nicht auf die vorhandenen Strukturen zurückgriff, sondern den unerfahrenen Janke in die Startsieben stellte. Wo doch jeder weiß, wie sensibel ein Spielertyp wie Fäth ist, der zunächst auf der Bank hockte.
Es fehlt Selbstbewusstsein
Fakt ist, dass das überbordende Selbstbewusstsein, das der Isländer Sigurdsson seinen Profis verlieh, unter Prokop mit einem Schlag verloren gegangen ist. Die Stärken dieses Rückraumtrios, um das der gesamte europäische Handball die Deutschen beneidet, kommen bisher nicht zur Geltung. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren. Ob womöglich die Nichtnominierung Lemke das fein austarierte System ins Wanken gebracht? Bringen die vielen hektischen Wechsel das Team durcheinander? Unter Sigurdsson wurde jedenfalls ein Spieler, wenn er mal einen Wurf vergab, so wie zuletzt Kai Häfner gegen Mazedonien, nicht nach nur einem Angriff wieder ausgewechselt.
„Wir brauchen einen Befreiungsschlag“, forderte Hanning im ZDF-Morgenmagazin. Und in Zagreb reagierte er schon recht gereizt auf sachte Nachfragen seitens der Medienvertreter. „Den Gefallen, gegen Tschechien zu verlieren, werden wir Euch nicht tun.“