Spätestens seit seiner olympischen Silbermedaille von Sotschi pflegt Erik Lesser eine besondere Beziehung zum Einzel. Über die klassischen 20 Kilometer startet der Thüringer am Donnerstag (17:05 Uhr/ZDF) in die Saison – und weiß dabei schon, was ihm am Freitag blüht.
Erik Lesser ist einer der besonders originellen Geister im deutschen Biathlon-Team, entsprechend ist auch sein Zugang zum anspruchsvollen Einzel. Beim Klassiker über 20 Kilometer starten die Männer in ihr erstes Einzelrennen der Saison, dessen Charakter Lesser im Gespräch mit zdfsport.de so interpretiert: „Das Gute ist: Du weißt, was du hast. Aber das Schlechte ist: Du weißt, was du hast.“
Saison wie jede andere
Vor vier Jahren in Sotschi hatte der gewitzte Thüringer am Ende des Einzels Silber in der Hand. Damit ist er im aktuellen DSV-Team der einzige mit einer olympischen Einzelmedaille im Schrank. Das nehme ihm den Druck, mache ihn ein bisschen ruhiger, sagt der 29-Jährige beim Gang in diesen olympischen Winter und beteuert: „Für mich ist das eine Saison wie jede andere, auf die ich mich vorbereiten musste. Wieder eine mit einem Höhepunkt – ganz egal, ob das jetzt Olympia ist oder nicht.“
Mit Freundin Nadine pflanzte er im Sommer auf dem Balkon der gemeinsamen Oberhofer Wohnung erfolgreich Obst und Gemüse an. Mit Männer-Bundestrainer Mark Kirchner arbeitete er parallel dazu daran, jedes Programm im Kraftraum, jede Fitnesseinheit, jedes Training auf der Loipe oder am Schießstand tatsächlich mit hundertprozentigem Einsatz zu absolvieren.
Sympathien neu entfacht
„Volle Konzentration. Jedes Mal. Nicht lockerlassen. Oder langsamer machen – weil du vielleicht keinen Bock mehr hast“, beschreibt Lesser das grundsätzliche Flair seiner Vorbereitung. Über die aufreibende und schießlastige Marathondistanz der Skijäger folgt nun die erste Probe.
Bei der WM im Februar verpasste Lesser auf dieser Strecke als Vierter nur knapp ein weiteres Ausrufezeichen, was beim Verfolgungsweltmeister von 2015 alte Sympathien neu entfachte. „Der Einzel gehört schon zu meinen Lieblingsrennen. Aber es kann einfach alles passieren, beim Laufen wie beim Schießen“, spricht er wie von einer Art Hassliebe. Zumal jedem, der in Östersund mit dem anstrengenden Einzel anfange, gewiss sei, „dass er sich am Tag danach so richtig toll fühlt“, scherzt Lesser. „Da würdest du das Bett am liebsten gar nicht verlassen.“
Die Ruhe selbst
Überlegungen wie bei vielen anderen Biathleten und Spitzensportlern, in schwierigen Phasen auf einen Mentaltrainer zurückzugreifen, gab es auch bei ihm. „Ich hab‘ mir mal Gedanken gemacht, ob mir das helfen könnte, habe das aber irgendwie verneint. Ich glaube, ich kann die Lösungen meiner Probleme ganz gut selber analysieren“, erklärt die Frohnatur aus dem Thüringer Wald.
Beim Silberlauf im olympischen Einzel 2014 habe er sich durch nichts und niemandem aus der Ruhe bringen lassen, rekapituliert Lesser. Nicht einmal durch einen Schlagbolzenbruch an seiner Waffe, beim Trockentraining vor dem Start. Ob er diese erste seiner beiden Medaillen in Sotschi – es folgte noch Silber mit der Staffel – seiner Unbeschwertheit zu verdanken hatte, vermag Lesser nicht zu sagen.
Zwinkerndes Auge
Die Fähigkeit, mit einem zwinkernden Auge auf die Welt und auf die eigenen Ergebnisse als Biathlet zu blicken, besitzt er allemal. Vor einem Jahr in Östersund etwa erlebte Lesser zum Saisonauftakt als 31. die Schattenseite des Einzels. Ein Jahr später blickt er schmunzelnd darauf zurück und ruft voller Selbstironie: „Hey, Einunddreißigster – dafür gab’s immerhin Weltcuppunkte.“