Mit einem tiefgreifenden Schnitt versucht die Leichtathletik im Kampf gegen Doping weiter an Glaubwürdigkeit zu gewinnen - ab dem 1. Januar 2018 könnte es deswegen komplett neue Rekordlisten geben. Einen entsprechenden Reformplan befürwortete das Council des europäischen Verbands EAA am vergangenen Wochenende für Europarekorde.
"Es geht darum, dass man nicht jeden Rekord einzeln prüft, sondern einen Strich drunter macht und neu anfängt", sagte DLV-Präsident Clemens Prokop dem SID. Der 60-Jährige saß in der zuständigen Kommission, die in den letzten Monaten die Empfehlungen ausarbeitete: "Der europäische Verband würde gerne ab 1. Januar 2018 neu beginnen", so Prokop.
Mehr Kontrollen, längere Konservierung
Die Anerkennung zukünftiger Rekorde soll laut EAA zudem an neue Bedingungen geknüpft werden. So müssen die Athleten im Vorfeld eine Mindestanzahl an Trainingskontrollen absolviert haben, die Dopingproben beim entsprechenden Wettbewerb müssen zehn Jahre für Nachtests eingefroren werden.
Zudem sollen bei einer späteren Dopingsperre des Sportlers Rekorde nachträglich auch dann aberkannt werden, wenn nicht konkret bewiesen werden kann, dass die Bestleistung unter Dopingeinfluss aufgestellt wurde. Diese Passage ist jedoch rechtlich umstritten.
Rekorde als historische Liste
Hintergrund der Rekord-Diskussion ist die Skepsis, die vielen aktuellen Bestmarken entgegengebracht wird. Eine ganze Reihe der Rekorde wurde in den Hochzeiten des Anabolikadopings aufgestellt. "Bei objektiver Betrachtung ist eine Vergleichbarkeit der Leistungen nicht mehr gegeben", sagte Prokop: "Deshalb ging es darum, die Rekorde für die Zukunft neu zu fassen."
Nach dem Willen der EAA sollen die bisherigen Bestleistungen in eine Art historische Liste überführt werden, aber nicht mehr als aktuelle Rekorde gelten. Auf europäischer Ebene würde dies fast ein Dutzend von deutschen Athleten aufgestellte Bestmarken betreffen, zudem stünden vier "deutsche" Weltrekorde zur Diskussion.
IAAF-Präsident Coe für die Reform
Unterstützung bekamen die Europäer von höchster Stelle. "Ich mag diesen Vorschlag", sagte IAAF-Präsident Sebastian Coe, er sei ein "Schritt in die richtige Richtung". Um die angedachten Reformen auch auf Weltrekorde zu übertragen, müssten aber die anderen Kontinentalverbände auf dem Kongress des Weltverbandes im August zustimmen.
In der Vergangenheit hatte ein Vorschlag des DLV, ab dem 1. Januar 2000 neue Listen einzusetzen, keine Mehrheit gefunden. "Es muss das Ziel sein, dass wir in der Leichtathletik einheitliche Rekordlisten haben", sagte Prokop: "Wenn der europäische Verband seinen festen Willen bekundet, diese Neuregelung auf jeden Fall umzusetzen, wird es auch für den Weltverband schwierig zu sagen: 'Wir beharren auf unseren alten Rekorden'".
Alleingang des europäischen Verbandes?
Prokop prognostizierte, dass die EAA im Notfall "auch alleine so eine Neuregelung vornehmen würde".
Als "längst überfällig" bezeichnete Ines Geipel, Vorsitzende des Doping-Opfer-Hilfevereins, den Schritt: "Die Rekordliste ist keine reine Symbolik, sondern eine ethische Richtlinie", sagte die 56-Jährige.
Die ehemalige DDR-Sprinterin hatte 2005 für Aufsehen gesorgt, weil sie die Streichung ihres Namens aus den Rekordlisten (Vereinsweltrekord über 4x100 m mit dem SC Motor Jena) verlangte. 2006 wurde ihr Name durch ein Sternchen ersetzt.
Ansehen beschädigt
Der Streich-Wunsch der EAA stößt teilweise auf heftige Kritik. Einige Athleten befürchten durch die Regel, mit Doping-Sündern in einen Topf geworfen zu werden. "Ich fühle mich verletzt und denke, dass dadurch mein Ansehen beschädigt wird", sagte Marathon-Weltrekordlerin Paula Radcliffe.
"Es ist richtig, dass es im Einzelfall zu Ungerechtigkeiten führen kann", sagte Prokop: "Ich glaube, letzten Endes kann man nur an die Solidarität der betroffenen Athleten appellieren und sie um Verständnis bitten, dass eine Neuregelung der Rekorde nur funktionieren kann, wenn einige Athleten letztendlich vielleicht ungerecht behandelt werden."