Die Bundesliga boomt, die Stadien sind voll und die Einnahmen der Klubs durch TV-Verwertung haben einen neuen Rekord erreicht. Was sich nach schöner heiler Welt anhört, droht in Schieflage zu geraten.
Sonntag, 15:30 Uhr: RB Leipzig empfängt Fortuna Düsseldorf. Gerade einmal 800 Karten ist der Aufsteiger für sein erstes Auswärtsspiel in der Bundesliga nach fünf Jahren im Unterhaus des Fußballs bei seinen Anhängern losgeworden. Es ist nicht so, dass die Fortuna-Fans nicht gerne reisen. Nein, es geht um den örtlichen Fußballverein - die Düsseldorfer Anhänger, vor allem die Ultras, boykottieren das Duell gegen etwas, das sich RasenBallsport nennt und aus ihrer Sicht nur zu Werbezwecken gegründet wurde. "Proteste gegen RB Leipzig hat es ja seit der Gründung des Vereins und dem ersten Aufstieg in jedem Jahr gegeben. Seit RB in der ersten Bundesliga spielt, ist das Ausmaß der Ablehnung der Fans gegenüber diesem Verein aber erst richtig deutlich geworden", erklärt Michael Gabriel gegenüber ZDFsport.de.
"Ihr werdet von uns hören!"
Er ist der Leiter der 1993 gegründeten Koordinationsstelle Fanprojekte mit Sitz in Frankfurt am Main und ein ausgewiesener Experte, was die Stimmung an der Basis des Fußballs angeht. Diese ist denkbar schlecht, hat doch der vor einem Jahr entstandene Zusammenschluss der Fanszenen in Deutschland erst letzte Woche den Burgfrieden mit der DFL und dem DFB beendet.
Nachdem bereits rund um die Spiele der ersten Pokalrunde Transparente mit der unmissverständlichen Ankündigung "Ihr werdet von uns hören!" zu sehen waren, dürfte es bis zu den nächsten Aktionen in den Stadien nicht lange dauern.
Belange der Fans spielen keine Rolle
Gabriel weiß, warum das Verhältnis zwischen Entscheidern und Kurvengängern nicht von heute auf morgen so schwierig geworden ist. "Ganz allgemein gesagt, machen sich die Fans Sorgen, dass sich der Fußball immer weiter von ihnen weg bewegt und sich nicht wirklich um ihre Belange kümmert. Das hat zu einer beidseitigen Entfremdung beigetragen", sagt der Diplom-Sportwissenschaftler mit Zusatzausbildung Sozialarbeit. "Die Vereine haben nicht nur eine wirtschaftliche und sportliche, sondern auch eine soziale Verantwortung, doch letztere wurde aus Sicht der Fans in den letzten Jahren sehr vernachlässigt. Das Verhältnis zum Verein hat für die Menschen eine große emotional Bedeutung und daher kommen die teils scharfen Proteste", bemerkt der 55-Jährige.
Ein großer Auslöser für die Proteste seien die vor einem Jahr eingeführten Montagsspiele in der Bundesliga gewesen. Diese sind nun auch auf die 3. Liga ausgeweitet worden. "Da fühlen sich die Fans von den Verbänden nicht ernst genommen und ihr Misstrauen gegenüber den Verantwortlichen wird größer", mahnt Gabriel.
Positiv: Kollektivstrafen abgeschafft
Allerdings sei auch auf Seiten der Verbände einiges in Sachen Fanarbeit passiert, die Kommunikation mit den Fans stark intensiviert. "Den Verantwortlichen beim DFB und der DFL ist das Bemühen, etwas für die Fans verbessern zu wollen, nicht abzusprechen. Konkret wurden ja die Kollektivstrafen abgeschafft, in dem nun mehr nicht ganze Gruppen für Vergehen wie zum Beispiel das Abbrennen von Pyros sanktioniert werden, sondern nur noch Einzeltäter“, gibt Gabriel zu. Nicht nur aus seiner Sicht wäre es wünschenswert, diesen Dialog bald wieder aufzunehmen, aber das sei ein langwieriger Prozess. "Von zentraler Bedeutung sind die hier Vereine, weil diese der emotionale Bezugspunkt für die Fans sind. Das sind ja keine Fans des DFB oder der DFL", macht Gabriel deutlich.
Wann und wie sich DFB und DFL sowie die organisierten Fangruppen wieder annähern, ist so spannend wie offen. So viel aber ist sicher: Bis dahin wird es in den Stadien wieder Proteste geben.