Den kinoähnlichen Pressesaal des Stade de France mit seinen blauen Leuchten und den leicht ansteigenden blauen Polstersitzen kennt Joachim Löw inzwischen schon zur Genüge. Am frühen Montagabend ist der Bundestrainer hier arg verspätet zur Pressekonferenz gekommen und hat sich sodann für seine kurze Präsenz entschuldigt, wobei es ihm gewiss nicht unangenehm war, zum Abschlusstraining entschwinden zu dürfen. Am späten Dienstagabend wäre der Südbadener nach dem 1:2 (1:0) in der Nations League gegen Frankreich am Podium sicherlich noch länger sitzen geblieben, wenn ihm nicht der Kollege Didier Deschamps schon im Nacken gesessen hätte.
Denn Löw verspürte Mitteilungsbedarf. Ausführlich deutete der Fußballlehrer die unglückliche Niederlage in einen gefühlten Sieg um. "Die Leistung der Mannschaft war großartig. Innerhalb von zwei Tagen war es eine unglaubliche Leistungssteigerung. Die Mannschaft war sehr konsequent und diszipliniert, hat ihr Herz in die Hand genommen und mutig nach vorne gespielt", dozierte der 58-Jährige und lobte die Spieler, die "alle Körner rausgehauen" hätten. Fazit: "Wir waren auf Augenhöhe mit der im Moment besten Mannschaft der Welt."
Löw leistete sich sogar Schiedsrichterkritik
Um seiner These noch mal Nachdruck zu verleihen, kritisierte Löw sogar den serbischen Referee Milorad Mazic, der nach einem Zweikampf zwischen Mats Hummels und Blaise Matuidi, bei dem der Franzose eher dem Deutschen auf den Fuß trat als umgekehrt, für seine späte Elfmeterentscheidung, mit der Antoine Griezmann seinen zweiten Treffer erzielen konnte. "Mats berührt ihn nicht. Er (Matuidi, Anm. d. Red.) tritt ihm auf den Fuß." Gemeinhin ist beim Ästheten Löw verpönt, sich über die profanen Gemeinheiten der Schiedsrichtergilde zu echauffieren, aber die Anmerkung passte gut in den Kontext. Arbeitsthese: Seine Mannschaft hatte mehr verdient.
Zumindest eine Stunde lang lieferte die DFB-Auswahl ihre Jahresbestleistung ab. Beflügelt von einem durch Toni Kroos verwandelten Handelfmeter, in der Entstehung wie Vollendung recht glücklich, legte eine taktisch und personell veränderte und vor allem verjüngte Mannschaft eine starke Leistung hin. Der von seinem leidenschaftlichen Publikum weltmeisterlich unterstützte Gastgeber wusste tatsächlich nicht, wie diese auf einmal flinken Deutschen zu packen waren, weil vor allem Serge Gnabry und Leroy Sané immer wieder entwischten. "Wir wollten die Franzosen ein Stück überraschen", erklärte Löw, der sich nach eigener Aussage von den Trainingsleistungen dieser beiden jungen Wilden überzeugen ließ.
Den Sprintern fehlt noch die Effizienz
Dass die Sprintertypen dem deutschen Spiel eine ganz neue Geschwindigkeitsstufe gaben, machte Hoffnung. Gleichwohl: In Sachen Effizienz muss den beiden ein Weltstar wie Griezmann ein Vorbild sein, der beispielsweise aus dem Nichts das 1:1 köpfte, während die in letzter Instanz noch zu flatterhaften Sané oder Gnabry einen zweiten deutschen Treffer verpassten. Ein Umstand, den auch Toni Kroos in seiner Aufarbeitung einwarf, der grundsätzlich aber nicht völlig unzufrieden wirkte. "Wir stehen zwar mit nichts da, aber es ist kein Grund, dass wir uns erschießen", meinte der 28-Jährige mit einem leichten Schmunzeln.
Der Taktgeber, an dessen Seite auch Joshua Kimmich eine reife Darbietung bot, fand sogar: "Das war eine der Niederlagen, die am meisten Spaß gemacht hat." Gleichwohl: Für das abschließende Nations-League-Duell gegen die Niederlande am 19. November in der Schalker Arena hängt es jetzt vom vorausgehenden Spiel Niederlande gegen Frankreich ab, ob der Weltmeister von 2014 überhaupt aus eigener Kraft den Abstieg abwenden kann.
Rücktritt ist am Ende immer noch eine Option
Ganz unwichtig wäre das nicht, denn Löw hat zwar die richtige Richtung angezeigt, muss aber trotzdem mit der Hypothek vom einem halben Dutzend Niederlagen in 2018 leben. Das ist noch keinem anderen deutschen Nationaltrainer in der langen Geschichte widerfahren. Aber weil Löw in ernster Bedrängnis echten Reformwillen gezeigt hat, darf er bleiben. Seine Einsicht kam spät, aber nicht zu spät.
Für Nationalmannschaftsdirektor Oliver Bierhoff, der nach dem Nackenschlag in Amsterdam noch auf Tauchstation gegangen war, nun aber in Paris wieder Stellung bezog, war das Frankreich-Spiel "ein wichtiges und gutes Zeichen." Bei der Bewertung dürften nicht allein Ergebnisse zählen: "Vor allen Dingen will man eine Entwicklung sehen, dass Dinge, die trainiert oder eingefordert werden, auch umgesetzt werden."
Verschleißerscheinungen könne er im 13. Amtsjahr von Löw nicht erkennen, der Bundestrainer wolle den Neustart voller Entschlossenheit und Leidenschaft gestalten. Bierhoff wird am Freitag bei der turnusgemäßen DFB-Präsidiumssitzung wohl genau das vortragen, was er schon im Bauch des Stade de France über den Bundestrainer sagte: "Er will das angehen und weiß, dass das ein Weg und Arbeit ist. Wenn er das Gefühl hat, dass es nicht mehr weiter geht, wäre er der Erste, der zurücktreten würde."