Eine unvertretbarer Reiseaufwand, ein Spieler, für dessen Sicherheit nicht garantiert werden kann: Das Europa-League-Finale zwischen Chelsea und Arsenal in Baku (Mi., 21 Uhr) ist schon jetzt ein Skandal.
Das Wort „Ochsentour“ hat im Englischen keine genaue Entsprechung, aber wer weiß, vielleicht ändert sich das nach dem Europa-League-Finale in Baku. Genauer: Nach der unglaublichen Geschichte von Jake und Kevin, Vater und Sohn und beinharte Chelsea-Fans, die keine Kosten, Mühen und vor allem keine Zeit gescheut haben, um ihre Blues im Europacup-Endspiel gegen die Stadtrivalen von Arsenal zu sehen.
Logistisches Abenteuer
Jake, 27, und Kevin, 59, sahen sich nach den Halbfinals wie viele andere Chelsea- und Arsenal-Fans mit dem schlecht erreichbaren Baku als Austragungsort des Endspiels konfrontiert. Die Entfernung: 4000 Kilometer. Die Flugverbindungen: unbezahlbar teuer. Also machten sich Jake und Kevin auf alternativen Wegen gen Baku auf. Mit dem Flieger ging es zunächst von London Stansted nach Istanbul, von dort mit einem weiteren Flieger nach Ankara.
In Ankara stiegen Jake und Kevin in den Zug nach Kars an der türkisch-armenischen Grenze. Von Kars ging es per Taxi ins georgische Tiflis, und von Tiflis wiederum per Zug nach Baku. Die Kosten konnten Vater und Sohn auf diese Weise halbieren. Die Reisezeit hingegen: Acht Tage. Immerhin: „Wir wollten das Abenteuer“, so Jake gegenüber der englischen Daily Mail.
Nur 6.000 Karten pro Klub
Dumm nur: Auch alle anderen Fans, die zum Endspiel nach Baku wollen, erwartet ein Abenteuer. Selten nämlich war ein Austragungsort so ungeeignet für ein Europacup-Finale wie die aserbaidschanische Hauptstadt. Nicht nur, dass ebenjene knapp 4000 Kilometer überwunden werden müssen, es gibt in der Finalwoche auch gar keine Direktflüge von London nach Baku. Für völliges Unverständnis sorgten dann auch die Ticketkontingente, die an beide Finalteilnehmer gingen: Nur je 6.000 Karten bekamen die Klubs, das Stadion in Baku fasst aber 68.700 Menschen. Das kuriose Eingeständnis der UEFA: Der Flughafen in Baku könne pro Tag höchstens 15.000 Anreisende abfertigen. "Den Fans der teilnehmenden Mannschaften mehr Tickets anzubieten, ohne die Garantie zu haben, dass sie eine angemessene Reise nach Baku organisieren können, war daher keine verantwortungsvolle Option."
Aha. Das kann man als überraschend ehrliches Eingeständnis der eigenen Fehlplanung lesen. Die UEFA rechtfertigte sich damit, dass die Endspielorte Jahre zuvor vergeben werden und man nicht wissen könne, welche Klubs sich qualifizieren. An der zu geringen Flughafenkapazität hätte eine andere Finalpaarung freilich nichts geändert. Während der FC Chelsea erstaunlich still blieb, bezog Arsenal deutlich Stellung. Es sei, hieß es in einem offiziellen Statement, „einfach nicht richtig, dass so viele Fans leer ausgehen, nur weil die UEFA einen Endspielort mit derart eingeschränkten Transportbedingungen“ ausgewählt habe. Man wolle außerdem Einsicht in den Vergabeprozess der Finalorte.
Beißende Ironie von Klopp
Die Konsequenzen der strittigen Vergabe sind bereits zu spüren: Arsenal ließ von den 6.000 Tickets 2.300 zurückgehen, Chelsea fast 4.000. Zu viele Fans waren abgeschreckt von der Reisedauer, den Kosten und auch den Reisebedingungen. Um nach Aserbaidschan einzureisen, ist ein Visum vonnöten. Bis vor kurzem musste auf diesem Visum sogar nachgewiesen werden, dass man nicht HIV-positiv ist. Die UEFA intervenierte. Liverpool-Trainer Jürgen Klopp, angesprochen auf die Wahl des Austragungsortes, brachte die Dinge in seiner ganz eigenen Art auf den Punkt: „Ich wüsste gerne, was die Leute, die diese Entscheidungen treffen, zum Frühstück essen.“ Klopp dürfte vielen Fans aus der Seele gesprochen haben.
Zumal sich die Folgen der Endspielortsvergabe auch aufs Sportliche erstrecken. Weil Aserbaidschan und das angrenzende Armenien seit den frühen Neunzigern im Konflikt um die Grenzregion Bergkarabach liegen, wird Arsenals armenischer Nationalspieler Henrikh Mkhitaryan die Reise nicht mit antreten. Der Grund: Die Sicherheit des Ex-Dortmunders könne nicht vollumfänglich gewährleistet werden. Ein Skandal, nicht weniger. Dass es die UEFA den Arsenal-Spielern nun auch noch untersagte, sich in Mkhitaryan-Trikots warmzumachen, um ihre Solidarität mit ihrem Teamkollegen zu bekunden, ist da fast nur noch eine Pikanterie am Rande.
Verbände als Steigbügelhalter für Autokraten
Ohnehin: Um Baku als „verantwortungsvolle Option“ ganz generell auszuschließen, hätten sich die Verantwortlichen der UEFA nur mal mit der Menschenrechtslage im Land auseinandersetzen müssen, für die der von Ilham Alijew autokratisch regierte Staat seit Jahren in der Kritik steht. „Sportswashing“ nennt man es in der Fachsprache, wenn dubiose Staaten und/oder Unternehmen durch sportliche Großveranstaltungen ihr Image aufpolieren wollen.
Ein Vorhaben, bei dem die Fußballverbände seit jeher gerne den Steigbügel halten. Auch 2019 in Baku, bei einem Finale ohne Fans, bei dem ein Spieler aus politischen Gründen nicht anreisen kann. Anders als Jake und Kevin, die am Montag in Baku ankamen. Wie sie zurück nach London kommen wollen, haben sie der Daily Mail leider nicht verraten.