Noch hat der Hamburger SV eine Chance, den ersten Abstieg der Klubgeschichte zu verhindern. Am Samstag (18:30 Uhr) gegen Schalke 04 soll sie gewahrt werden. Die internen Planungen laufen allerdings schon längst in Richtung 2. Liga – und den sofortigen Wiederaufstieg.
Im Moment scheint kein Scherz über den HSV zu makaber zu sein, um nicht für bare Münze genommen zu werden. Als der Horror-Show-Betreiber "Hamburg Dungeon" für den 1. April die Show "Höllenfahrt 2. Liga" ankündigte, fielen auch einige Journalisten auf den April-Scherz herein.
Lizenz ist beantragt
Sechs Spieltage vor Saisonschluss ist der Abstieg der Hamburger nach 56 Jahren ununterbrochener Erstliga-Zugehörigkeit bei sieben Punkten Rückstand auf den Relegationsplatz wahrscheinlich. Die Verantwortlichen beschwören zwar die Restchance auf den Klassenerhalt, haben aber gleichzeitig die Planungen für die zweite Liga schon weit vorangetrieben. Der für beide Ligen geltende Lizenzantrag musste schon am vergangenen Mittwoch bei der DFL eingereicht werden.
Nach vier Abstiegskämpfen in Folge hat der Gedanke an den Abstieg in Hamburg allerdings so an Schrecken verloren, dass längst nicht mehr alle dabei an eine Höllenfahrt denken. Das mentale Loch, in das viele Anhänger nach einem Abstieg zu stürzen fürchten, ist in jedem Jahr ein bisschen kleiner geworden. Momentan mehren sich sogar die Stimmen, die in diesem Szenario eine Chance für den maroden Klub sehen.
Gehaltsabschläge in der 2.Liga
"Die Pleite droht dem Klub nicht", beruhigt der amtierende Vorstandsvorsitzende Frank Wettstein auch diejenigen, die befürchten, dem mit über 100 Millionen Euro verschuldeten Verein würde finanziell in der 2. Liga endgültig die Luft ausgehen. Der HSV könne seine Ausgaben anpassen, sagte Wettstein, der seit 2014 oberster Controller des Klubs ist, in dieser Woche auf einer Veranstaltung des Handelsblattes. Spieler und Manager müssten nach einem Abstieg vertraglich vereinbarte Abschläge hinnehmen.
Konkrete Zahlen nennt Wettstein nicht, aber es wird geschätzt, dass die Einnahmen des HSV aus Ticketverkäufen sowie Werbe-, Sponsoren und TV-Verträgen um rund 50 Millionen zurückgehen werden. Gut die Hälfte davon soll durch eine Reduzierung der Spielergehälter von 56 auf 27 Millionen Euro kompensiert werden.
Vertrauen in den Nachwuchs
Um die bleibende Deckungslücke zu schließen, stehen verschiedene Instrumente zur Verfügung, die allerdings alle ihre Tücken haben. So wird über eine erneute Fananleihe nachgedacht, obwohl die bestehende noch nicht zurückgezahlt ist. Eine ebenfalls im Raum stehende Bürgschaft von Haupt-Investor Klaus Michael Kühne würde die Abhängigkeit von diesem erhöhen.
Transfererlöse für Spieler wie Filip Kostic und Albin Ekdal sind zwar wahrscheinlich, kommen aber für den von der DFL bis zum 23. Mai geforderten Liquiditätsnachweis möglichweiseweise zu spät. Den höchsten Erlös könnte der Klub wohl mit seinem Nachwuchsjuwel Jann-Fiete Arp erzielen – aber gerade der soll zum Zugpferd für den neuen HSV-Weg werden. Der lautet: Vertrauen in den Nachwuchs und Spieler, die sich mit dem Traditionsverein identifizierten.
Vorbild Dortmund
"Sie müssen irgendwann den Kreislauf aus zu hoch angesetzten Zielen und teuren Zukäufen durchbrechen", sagt Wettstein und sieht dabei Borussia Dortmund, wo Wettstein einst als Berater gewirkt hat, als Vorbild. Die Borussia schaffte es einst nach einer Phase teurer Transfers mit eigenen Talenten und neuer Identität aus der Talsohle zu kommen.
In den letzten Wochen hat der neue Trainer Christan Titz bereits Zeichen gesetzt und die Spielidee aus dem von Sportchef Bernhard Peters aufgebauten Nachwuchsleistungszentrum in den Profi-Bereich transportiert. Die rechnerische Ausbeute – ein Punkt aus zwei Spielen – ist zwar noch gering. Der neue, frische Auftritt des Teams hat aber schon zu einem deutlichen Stimmungsumschwung in der Öffentlichkeit geführt.
Stolperstein Erfolgszwang
Das Trio Wettstein, Peters und Titz verkörpert auf der Führungsebene bereits den neuen Weg. Aufsichtsratschef Bernd Hoffmann täte gut daran, eventuell bestehende eigene Ambitionen auf einen Job im operativen Geschäft hintenanzustellen. Der größte Stolperstein auf dem neuen HSV-Weg dürfte allerdings der Zwang zum kurzfristigen Erfolg sein, also zum sofortigen Wiederaufstieg. Einen längeren Aufenthalt in der 2. Liga bezeichnet auch der optimistische Wettstein als "Totalschaden".