Für Alexander Zverev war die Saison eine wilde Achterbahnfahrt - mit vielen Tiefen, kaum Höhen. Es gab abseits des Tennisplatzes zu viele Störgeräusche, doch bei den Tour-Finals in London gelang dem derzeit besten deutschen Tennisspieler zumindest ein versöhnlicher Abschluss.
Alexander Zverev kann sich genau an den Moment erinnern, von dem an in seinem Leben plötzlich alles schief lief. Vor einem Jahr war das, als er die Tour-Finals in London gewann. Beim Saisonfinale der besten acht Profis hatte Zverev im Endspiel den kaum bezwingbaren Novak Djokovic besiegt. Und das war der bis dahin wichtigste Sieg seiner Karriere für den inzwischen 22-Jährigen. Doch ausgerechnet im Moment seines größten Triumphes fühlte sich Zverev von einem seiner wichtigsten Vertrauten getäuscht und hintergangen: seinem Manager Patricio Apey. Der Rechtsstreit weitete sich zu einer Schlammschlacht aus, die Saison der deutschen Nummer eins wurde zur wilden Achterbahnfahrt.
Seine so behütete Welt geriet aus den Fugen. Nervlich war er labil, auf Tennis konnte er sich kaum voll konzentrieren. "Es war ein hartes und schwieriges Jahr für mich", meinte Zverev nun in London: "Jetzt habe ich wieder mehr Ruhe und Ordnung." Seinen Titel bei den Tour-Finals vermochte der Weltranglistensiebte zwar nicht zu verteidigen, er schied am Samstag im Halbfinale gegen Dominic Thiem mit 5:7 und 3:6 aus. Doch es war zumindest der versöhnliche Abschluss einer völlig verkorksten Saison.
Ein nervliches Wrack
Nur einen Titel gewann Zverev, im Frühjahr in Genf. Der erste Viertelfinaleinzug bei den French Open blieb das einzige Highlight des gebürtigen Hamburgers. Tiefpunkte gab es dafür genug, am schlimmsten war das Erstrundenaus in Wimbledon. Eigentlich versucht Zverev gerne rüberzukommen, als könne ihm nichts etwas anhaben. Mitunter lustlos und abweisend wirken seine Antworten, manchmal gar arrogant. Wie es wirklich in ihm aussieht, lässt sich nur vermuten. In seinem Leben war ihm stets vieles abgenommen worden und die frühen Erfolge schon im Teenageralter hatten ihm nicht nur gut getan. Längst hat sich Zverev den Ruf in der Tennis-Branche erarbeitet, schwierig und unfreundlich zu sein. Ob bei Pflicht-Terminen der Veranstalter, Werbeauftritten oder im Umgang mit Turnierangestellten - Zverev lässt sich wenig sagen und weiß vieles besser. Diese Attitüde hatte er sich bei Apey abgeschaut, der seit 2012 mit ihm arbeitete.
Nun kostete ihn der Clinch mit seinem Manager die Saison und die Geister hatte Zverev selbst gerufen. Er wirkte naiv, weil er sich wunderte, dass sich Apey mit jedem erdenklichen Mittel gegen die Vertragsauflösung und den Verlust von geschätzten zehn Millionen Euro an Prämien wehrte. Zverev schien zu glauben, Apey sei Vertragsbruch nachzuweisen. Dabei soll der 22-Jährige selbst schon Ende 2018 einen Vorvertrag mit der Agentur Team 8 unterschrieben haben, die Roger Federer und Tony Godsick gehört. Und Zverev hoffte wohl, die beiden würden ihn schon irgendwie rausboxen. Taten sie aber nicht. So saß Zverev allein in seinem Elend und wirkte sichtlich überfordert. Doch in seiner Krise öffnete sich der 1,98 Meter große Schlaks zum ersten Mal, zeigte sein verletzliches Inneres. Nach dem Aus in Wimbledon rang Zverev um seine Fassung, sagte mit zittriger Stimme: "Es ist einfach nur abartig, was dieser Mensch mit mir macht."
Auch mit Ivan Lendl war Schluss
Dass es dann auch noch mit Honorartrainer Ivan Lendl nicht passte, machte die Sache nicht besser. Die Trennung folgte im Sommer. Seine Familie war stets sein großer Rückhalt, der Zverev-Clan ist verschworen. Doch sie ließen ihren Jüngsten bewusst am Tiefpunkt von Wimbledon ein Stück weit allein. Alexander Zverev senior, sein Langzeittrainer und wichtigste Bezugsperson, reiste gar nicht erst mit. "Papa hat sich jetzt ein bisschen vom Geschehen entfernt, das war richtig", sagte Alexanders zehn Jahre älterer Bruder Mischa Zverev seinerzeit, "denn man muss jemanden auch ein bisschen loslassen. Sascha ist jetzt alt genug und muss seine eigenen Fehler machen und erwachsen werden."
In den Tagen der Tour-Finals wirkt Zverev zumindest wieder mehr mit sich im Reinen, gereifter. Sein Vater ist zurück an seiner Seite, über eine Zusammenarbeit mit Boris Becker in der nächsten Saison wird gemunkelt. Apey sieht Zverev im Herbst 2020 in London vor Gericht wieder, mittlerweile wird er von Federers Team 8 gemanaged. Und diese Verbindung ist lukrativ, in dieser Woche bestreitet Zverev mit dem Schweizer Superstar eine Schaukampfreise durch Südamerika: vier Länder in sieben Tagen. Der Rest der Tenniswelt spielt dann bei der Premiere des neuen Davis-Cup-Finales in Madrid. Dort anzutreten hatte Zverev schon im Februar kategorisch ausgeschlossen, und seine Kritik gerade in der Sport Bild wiederholt, dass der Turnierkalender viel zu lang und zu voll sei. "Ich spiele eh schon zu viel." Jetzt überlegt Zverev aber, kurz vor Silvester mit Federer noch ein dreitägiges Show-Event im chinesischen Hangzhou zu spielen. Erwachsen wird man eben nicht über Nacht.