Zum zweiten Mal an diesem Tag manövriert Paul Sandy sein Motorrad durch den Matsch zum Weiler Gonou. Die ganze Nacht hat es geregnet, noch immer ähnelt die Straße einem schlammigen Fluss, er braucht doppelt so lang wie sonst. Als der 32-Jährige sein Gefährt endlich unter dem riesigen Baum am Dorfplatz parkt, warten dort schon die Ältesten auf ihn. Sofort führen sie den Krankenpfleger zu einer Lehmhütte, die umstellt ist von Kindern und Frauen, die sich in buntgemusterte Tücher gewickelt haben und aufgeregt tuscheln.
Früh am Morgen, es dämmerte gerade, hatte eine der Gesundheitsberaterinnen von Gonou auf Paul Sandys Mobiltelefon angerufen. Er leitet seit drei Jahren das Gesundheitszentrum in Soopa, das etwa fünf Kilometer entfernt liegt, und ist auch für den Weiler Gonou zuständig. Die Geburt von Animata stehe kurz bevor, verkündete ihm die Frau am Telefon, die Fruchtblase sei schon geplatzt. Sandy kannte die Mutter. Sie war für alle Vorsorgeuntersuchungen zu ihm nach Soopa gekommen, zu Fuß. Die Beraterin sagte am Telefon auch, dass die Familie der Mutter die Taxifahrt zum Gesundheitszentrum nicht zahlen könne. Die Geburt verlief dann unkompliziert. Aber das Neugeborene hatte Schwierigkeiten mit dem Atmen. Deshalb ist der Krankenpfleger jetzt noch einmal nach Gonou gekommen.
Seit knapp einem Jahr schreibt das Gesetz in Guinea vor, dass Kinder nur noch von staatlich ausgebildeten Fachkräften wie Paul Sandy auf die Welt geholt werden dürfen. Zu oft sterben Mütter und Babys, weil professionelle Hilfe zu weit weg ist. Dem Staat allerdings fehlt es an Mitteln, um das Gesetz durchzusetzen.
"Wir wollen erreichen, dass die Frauen von selbst und ohne Zwang ins Gesundheitszentrum kommen, um dort zu entbinden", sagt Alain Kolie, Sozialarbeiter von Tinkisso. Zu diesem Zweck mobilisieren der 44-Jährige und sein Team in einer Handvoll Dörfer der Waldregion die ganze Gemeinschaft. Die traditionellen Hebammen und die Dorfältesten klären sie über die Risiken der Schwangerschaft und der Geburt auf. Den Frauen, die das größte Vertrauen im Dorf genießen, erteilen sie den Auftrag, die Schwangeren zu den Kontrolluntersuchungen ins Gesundheitszentrum zu begleiten. Die Männer wiederum halten sie an, Geld zurückzulegen, für die Geburt im Gesundheitszentrum und im Notfall auch für das Taxi ins Krankenhaus.
Kolie und sein Team arbeiten darüber hinaus daran, die medizinische Versorgung in der Waldregion zu verbessern. Medizinisch geschulte Mitarbeitende bringen Krankenschwestern und -pflegern wie Paul Sandy bei, Herzdruckmassagen bei Neugeborenen durchzuführen und die kleinen Atemwege vom Schleim zu befreien, der bei der Geburt entsteht. Sechs Geburten hat der Pfleger in diesem Monat schon begleitet. "Seit Tinkisso in unserer Gegend arbeitet, haben meine Kolleginnen und ich vor allem mit Schwangeren zu tun", sagt Sandy. "Die meisten Frauen kommen jetzt für die vier staatlich vorgeschriebenen Untersuchungen zu uns. Fast alle wollen, dass wir sie bei der Geburt begleiten."
Im Inneren der Lehmhütte ist es genauso laut und bunt wie draußen, nur dunkel und noch heißer. Gegenüber der Tür sitzt die Mutter auf einer dünnen Matratze. Würde in ihrem Schoß nicht das Neugeborene liegen, wäre sie von den anderen Frauen nicht zu unterscheiden, so munter sieht sie schon wieder aus. Es war ihre vierte Entbindung, aber die erste, bei der ein ausgebildeter Krankenpfleger dabei war. Die Geburtshelferin brauchte sie nicht lange zu überzeugen, professionelle Begleitung in Anspruch zu nehmen. Erst vor einem Monat ist eine Nachbarin im Kindbett gestorben.
Paul Sandy geht vor der Mutter in die Knie. Leise murmelnd gehen die Frauen nach draußen, die gerade noch auf dem Lehmboden geplaudert haben. Der Pfleger hört die Brust des kleinen Mädchens ab, spült ihre Atemwege mit Salzwasser. "Sie atmet jetzt normal", sagt er zur Mutter und richtet sich wieder auf. "Beobachtet sie und bringt sie nächste Woche bei mir vorbei."
Als er zurück zum Dorfplatz läuft, umringen ihn zwei Schwangere. Sie stellen Fragen, äußern Zweifel. "Wir klären das alles bei der nächsten Kontrolle", sagt er und steigt auf sein Motorrad. "Ich habe jetzt leider keine Zeit." Im Gesundheitszentrum warten schon zwei Patientinnen auf ihn. Eine wird bald entbinden.
Quelle: Brot für die Welt