Hui, ist der aber tätowiert, dieser Bösewicht aus der „Wilsberg“-Folge "Das Geld der Anderen" (Samstag, 22. März, 20.15 Uhr im ZDF)! Und wie grimmig der guckt. Ist aber, natürlich, kein richtiges Tattoo. Das hat, klar, ein Maskenbildner entworfen und auf den Hals des Schauspielers platziert. Klischee? Oh je. Über Tattoos in Filmen und Fernsehserien hat sich ZDF-Redakteur Till Frommann mit Dirk-Boris Rödel unterhalten, dem Chefredakteur vom „Tätowier Magazin“.
Was sagen Sie zu dem Tätowierten aus der „Wilsberg“-Folge „Das Geld der Anderen“, von dem ich Ihnen per E-Mail Fotos geschickt hatte?
Ich habe das Spinnwebentattoo am Hals gesehen und schätze einfach mal, dass das der Böse sein dürfte.
Wie kommen Sie denn darauf?
Zum einen sieht der Typ auch vom Gesichtsausdruck so aus, hinzu kommt das Ambiente dieser Wohnung mit dem heruntergelassenen Rollo – das wirkt nicht so, als wenn diese Person der Sympathieträger des Filmes wäre. Das Spinnennetz wird immer ganz gern genommen, um den Bösewicht zu identifizieren.
Stört es Sie, dass Tattoos immer wieder dazu benutzt werden, um zu zeigen, dass Charaktere in Filmen und Serien böse sind?
Schon ein bisschen. Ich finde das auch nicht mehr ganz so zeitgemäß. Ich habe die Bilder, die Sie mir geschickt haben, geöffnet, und mein erster Gedanke war, dass das der Böse sein muss. Einerseits zeigt es, dass das funktioniert – leider. Als Chefredakteur vom „TätowierMagazin“ kann ich mich nicht unbedingt freuen, dass Tattoos dafür instrumentalisiert werden.
Spontan erinnert es mich auch daran, dass die Bösen in den Achtzigern und Neunzigern in Fernsehsendungen Irokesenfrisuren trugen oder Nietenlederjacken. Das war überzeichnet – und man hat gesehen: Das sind keine echten Punks oder Rocker, sondern dass da mit einem Klischee gespielt wird. Klar, ich achte auf solche Dinge auch aus meiner beruflichen Sicht heraus.
Und in der Realität? Hat sich das Image von Tattoos verbessert? Sind Tattoos Mainstream?
Es hat sich auf alle Fälle verändert und ist gesellschaftsfähiger und akzeptierter als früher geworden. Seit fast zweieinhalb Jahrzehnten begleite ich diese Entwicklung beruflich – wenn man das über diesen langen Zeitraum betrachtet, ist es schon enorm, dass jetzt Menschen mit Tätowierungen nichts besonders Außergewöhnliches mehr sind, während das vor zwanzig, fünfundzwanzig Jahren ein totaler Aufreger gewesen wäre.
Noch einmal zu den Bildern aus der „Wilsberg“-Folge: Sehen die Tattoos echt aus, oder könnten Sie als Experte sagen, dass diese nur das Werk des Maskenbildners sind?
Bei diesem Tattoo könnte ich nicht sagen, ob das echt oder nur aufgemalt ist. Vom Maskenbildner ist das ziemlich gut gemacht, das sieht authentisch aus.
Schauen Sie sich öfters einen Film oder eine Serie an und ärgern sich über schlecht aussehende, unechte Tattoos?
Das passiert relativ selten, aber wenn es dann mal vorkommt, ist es sehr störend. Man hat sich auf die Handlung eingelassen, fiebert mit, und dann sieht man etwas, was offensichtlich aufgemalt ist. Das hat den Verfremdungseffekt wie aus dem epischen Theater von Brecht. Man merkt: Alles nur gespielt! Die Illusion wird gebrochen, und man wird sich bewusst, dass das nur Schauspieler sind. Das kann mir einen gesamten Film kaputt machen.
Mir fallen etliche Filme ein, in denen Tattoos sehr auffallen – beispielsweise „From Dusk Till Dawn“. Dort sieht man George Clooney mit einem extremen Tattoo. Sind Tattoos in Filmen positiv für die Tätowierbranche? Ließen sich zum Beispiel nach der „Millenium“-Trilogie mehr Menschen tätowieren?
Das hat Einfluss, zum Beispiel dieses Tattoo von „From Dusk Till Dawn“, das George Clooney getragen hatte. Als dieser Film lief, war es enorm, wie viele Menschen dieses Tattoo eins zu eins übernommen haben. Diese Spitze, die den Hals hochläuft – das war eine Weile lang wirklich die Pest. Da wussten die Tätowierer schon, wenn jemand in ihren Laden kommt und sagt, dass er gerne ein Tribal auf dem Oberarm und der Schulter hätte, wie es weitergeht. „Und dann soll da sicherlich noch eine Spitze den Hals hochgehen?“, fragten sie dann. Ja, nee. Ist klar. Das war eine tolle Idee vom Maskenbildner, die dann aber von der Masse breitgetreten und dadurch banal wurde.
Ich denke da an den Spruch: Der erste, der „Herz“ auf „Schmerz“ gereimt hat, war ein Genie, der zweite war ein Idiot. Wenn es Tausende nachmachen, wird es lahm.
Welcher Film ist es im Moment, der Einfluss auf die Motivwahl für ein Tattoo hat? Gibt es dahingehend einen Trend?
Man könnte es in Phasen unterteilen: Vor ein paar Jahren hatten die Menschen oft Motive aus Filmen übernommen wie bei „From Dusk Till Dawn“. Momentan ist es eher so, dass die Menschen gar nicht so sehr die Tattoos der Protagonisten tätowieren, sondern ihre Filmhelden selbst stechen lassen. Gerade ist der Protagonist Walter White aus der Serie „Breaking Bad“ total angesagt als Motiv.
Haben Sie schon einmal von jemandem gehört, der sich Wilsberg tätowieren lassen hat?
Wilsberg? Ich glaube, um als Tattoomotiv geadelt zu werden, müsste man polarisieren. Ich glaube, es sind eher Kaliber wie Robert De Niro, die in Frage kommen, oder Marlon Brando. Wilsberg sehe ich noch nicht ganz in der Liga. [lacht] Derrick vielleicht! Denn Derrick hat Kultstatus. Ein Derrick-Tattoo sehe ich als wahrscheinlicher als ein Wilsberg-Tattoo.
Noch irgendjemand aus dem ZDF-Umfeld?
Ich grüble gerade - die Mainzelmännchen kämen sicherlich vor Wilsberg in Frage.
Oder von der „heute-show“ jemand? Gernot Hassknecht als Tattoo?
Da weiß ich nicht, wie groß die Schnittmenge zwischen ihm und der Tattoo-Szene sind. Schwer zu sagen, aber wahrscheinlich läge Hassknecht auch noch vor Wilsberg.
Zurück zu den Bildern aus der „Wilsberg“-Folge: Wer lässt sich überhaupt an kaum verdeckbaren Körperteilen wie dem Hals tätowieren?
Im Moment findet ein Umbruch statt. Früher war es heftig, wenn man sich auf dem Hals oder auf den Händen tätowieren lassen hat – das war beinahe das gesellschaftliche Aus, mit dem man sich ins Abseits geschossen hat. Jetzt hingegen hat sich das geändert: Wenn Sie zum Beispiel in Friedrichshain oder in Hamburg aufgewachsen sind oder im Ruhrpott, ist das nichts Außergewöhnliches mehr. Wir beobachten immer mehr junge Menschen, die sich an solchen Stellen tätowieren lassen.
Bis vor zehn Jahren war es bei einigen Tätowierern so, dass sie niemanden am Hals oder an den Händen tätowierten, der nicht mindestens den ganzen Arm oder den gesamten Körper zutätowiert hatte und noch mehr wollte. Jemand, der so ernsthaft dabei ist, weiß auch, was es bedeutet, Tattoos zu tragen und kann auch mit den Reaktionen klar kommen. Manche Tätowierer vertreten diese Ansicht auch heute noch. Jungen Menschen, die sich sichtbare Tattoos machen lassen wollen, muss man aber auch über mögliche Folgen aufklären.
Bei zukünftigen Bankangestellten könnten sichtbare Tattoos stören.
Gerade, wenn man 18 oder 19 Jahre alt ist, weiß man unter Umständen noch nicht genau, wo man zum einen beruflich landet oder wie oft im Leben man noch umzieht und sich bei einem Vermieter vorstellen muss, der Tattoos vielleicht gar nicht so toll findet. Aber das ist gerade ein bisschen im Wandel.
Wir wissen in der Redaktion auch nicht genau, wie wir damit umgehen sollen: Sollen wir eher warnen und mäßigend auf unsere Leser wirken, zur Vorsicht mahnen und das Risiko eingehen, dass wir eher altbacken und konservativ rüberkommen? Oder sollten wir eher die Meinung vertreten, dass es doch toll ist, wenn sich die Menschen etwas trauen. Sie bewegen damit doch auch etwas: Je mehr Menschen mit offensichtlichen Tattoos man auf der Straße sieht, umso normaler wird der Anblick und umso mehr gewöhnen sich die Menschen daran.