Redakteurin Elke Müller im Gespräch mit Senta Berger, Gerd Anthoff, Rudolf Krause und Produzent Mario Krebs
Elke Müller: Senta, als Mario dir damals die Idee von "Unter Verdacht" vorgeschlagen hat – hast du darüber nachgedacht, wie lange die Reihe laufen würde?
Senta Berger: Nein, daran hab' ich überhaupt nicht gedacht. Mir hat aber so gut gefallen, dass der Vorsatz war: Wir wollen etwas erzählen, was uns betrifft, unsere Zeit, die jeweilige Aktualität. Mario musste mir allerdings erstmal erklären, was eine Kriminalrätin ist, nämlich die Chefin von den Kommissaren.
Mario Krebs: Die Uridee war – als der damalige Redaktionsleiter Klaus Bassiner und ich im ZDF zusammensaßen – wir machen was mit Senta. Ich hab' also gesagt: "Designermantel und Kanone kommen nicht in Frage, das muss glaubwürdig sein. Es muss eine Ermittlungsform sein, die wirklich zu Senta passt. Interne Ermittlungen!" Wir hatten auch ein Vorbild: Helen Mirren und die britische Serie "Prime Suspect", in der es auch um interne Ermittlungen in der Polizei ging.
Elke Müller: Als Klaus mir davon erzählte, habe ich sofort gesagt, dass ich das machen will.
Senta Berger: Also, ich fand dich, Gerd, eine ungewöhnliche Besetzung. Ich hatte mir den Dr. Reiter tatsächlich eher als Bösewicht vorgestellt. Und bin erst langsam dahintergekommen, dass diese bayerische Hinterfotzigkeit viel effizienter ist, viel wirkungsvoller, viel gemeiner, als es irgendein klassischer Bösewicht hätte sein können.
Gerd Anthoff: Naja, viel raffinierter auch natürlich.
Elke Müller: Und mit viel Spaß! Ich erinnere mich, ganz am Anfang, bei einem der ersten beiden Filme geht der Reiter über diese gläserne Brücke im technischen Rathaus und hat wieder irgendeine "Schweinerei" veranstaltet. Er trommelt auf dem Geländer rum, und man weiß sofort, es hat ihm auch noch richtig Spaß gemacht.
Gerd Anthoff: Ja, das deckt sich auch mit dem Spaß des Schauspielers.
Senta Berger: Aber Rudolf finde ich auch eine interessante Besetzung. Damals haben die Assistenten der üblichen Krimireihen eher so einen besonderen jungmännlichen Charme haben müssen. Friedemann Fromm hat aber dich zu einem Casting eingeladen.
Rudolf Krause: Also, ich halte fest: Du findest ich hatte keinen jungmännlichen Charme. (lacht)
Senta Berger: Also den 'gängigen' nicht!
Rudolf Krause: Mir wurde mitgeteilt, dass in München schon gecastet wird, weil die Figur einen gewissen bayerischen Ton mitbringen soll. Aber Friedemann war noch nicht fündig geworden. In Berlin wurde ich dann eingeladen. Ich hab viele Castings gemacht in meinem Leben, aber diesmal bekam ich meinen Text und war sofort fasziniert. Es war diese Szene, in der Langner einen Wutausbruch bekommt, die Prohacek als "Gurke" bezeichnet und ihr vorhält, keine Ahnung zu haben, was in diesem Präsidium eigentlich los ist. Ich hab' sofort gespürt: "Das ist ein guter Text!" und mir fielen Requisiten ein: Hosenträger, Wiener Würstchen, eine Thermoskanne mit heißem Tee, eine Zeitung – und dann ging es los. Die Begegnung mit dem Text und das Casting hatten für mich einen besonderen Zauber. Es hat etwas in mir entzündet.
Mario Krebs: Friedemann hat dann die Bänder durchgeguckt und gesagt: "Der ist klasse! Aber er kann kein Bayerisch." Und dann hab ich gesagt: "Das ist doch völlig egal, er ist klasse, er ist wie beschrieben, wie geschnitzt unser Langner, den nehmen wir." Und dann war das entschieden.
Elke Müller: Wir waren uns schnell einig, sind dann aber aus allen Wolken gefallen, als wir mitgekriegt haben, dass Rudolf, der als technikinteressierte Herr Langner Auto fahren sollte, weil die traumatisierte Prohacek das nicht konnte, gar keinen Führerschein hatte.
Rudolf Krause: Niemand hatte gefragt. Mittlerweile bin ich sogar Autobesitzer. Bei mir kommt alles etwas später.
Elke Müller: …und eher antizyklisch.
Senta Berger: Dafür kannst du wunderbar einparken. Ich hab dich immer einparken lassen, weil ich es nicht konnte. Mittlerweile hab ich künstliche Linsen und kann auch Auto fahren als Frau Prohacek – was ich jahrelang nur verdeckt gemacht habe. Die Requisite oder die Bühnenarbeiter haben mir eine Marke gelegt: "Also da bleiben's dann stehen". Sie haben nur nicht gewusst, dass ich diese Marke gar nicht sehe, sondern mich an großen Gebäuden orientiere. Und der Rudolf saß neben mir im Auto. Ich dachte mir, wenn er wüsste, dass ich nichts sehen kann, würde er nicht mit mir Auto fahren.
Rudolf Krause: Das erzählst du uns jetzt!?
Elke Müller: Senta hat doch sogar mit einem gebrochenen Zeh gedreht – und wollte nicht aufhören.
Gerd Anthoff: In unserem Beruf geht man, wenn's irgendwie geht, auf die Bühne oder vor die Kamera. Das gehört einfach dazu, das ist so ein Schauspieler-Ethos.
Senta Berger: Da ist dann die Disziplin so stark, dass man gar nicht anders kann. Wir waren ja auch ein Team: Wir haben Trennungen miterlebt, Scheidungen. Die Kinder, die eigenen und die der anderen, waren klein gewesen und sind groß geworden und kamen in die Pubertät. Das war nicht immer einfach, aber trotzdem schön. Es hat uns viel verbunden.
Gerd Anthoff: Auch die Tatsache, dass wir unsere Figuren besser kennen als zum Beispiel ein neu hinzugekommener Regisseur, wurde immer akzeptiert. Da gab es nie Probleme.
Elke Müller: Ich erinnere mich auch, dass Mario und ich ganz oft schon bei dem Buchgespräch gesagt haben, "das macht die Prohacek nicht, der Reiter würde so nie reden und der Langner auch nicht". Aber, als ihr dann dazukamt und euch zu den Figuren geäußert habt, hab' ich gemerkt, ihr kennt sie so viel besser. Ihr habt einfach viel mehr Gespür dafür!
Gerd Anthoff: Was ich schön fand an diesen ganzen Prozessen war, dass wir es immer geschafft haben, in Richtung der Drehbücher zu denken, immer sachlich zu bleiben. Keiner von uns hat versucht, eine Änderung für sich persönlich zu erreichen, sondern immer für die Dramaturgie der Geschichte.
Mario Krebs: Dafür bin ich euch dreien bis auf den heutigen Tag dankbar. Denn die Drehbücher kamen ja oft auf den letzten Drücker. Ihr wusstet: Wir müssen antreten in acht bis zehn Wochen, und dann schickt Mario uns solche oft unfertigen Bücher. Es hat unendlich geholfen, wie ihr ganz fair und kooperativ und mit viel Fantasie die Schweizer Löcher im Käse gefüllt habt, wenn's sein musste – oder manchmal darauf gedrungen habt, es beiseite zu legen, wenn es wirklich Käse war. Ihr habt den Autoren, Elke und mir geholfen, die Geschichten aufzurütteln, und das unter dem Stress, dass in acht bis zehn Wochen Drehbeginn ist – manchmal sogar in drei Wochen. Und ihr habt die Nerven gehabt, das durchzustehen, habt alles reingeworfen, und wir haben es dann immer geschafft!
Senta Berger: Daran hat auch Elke als Redakteurin Anteil. Man braucht als Schauspielerin ein Gegenüber, bei dem man sich frei fühlt, Vorschläge zu machen. Wir waren von unseren Rollen einfach stärker durchdrungen als so mancher Autor. Und das hat auch damit zu tun, dass Elke und Mario uns diese Freiheit gegeben haben.
Mario Krebs: Wobei ihr Schauspieler uns wiederum immer darin unterstützt habt, dass die Filme stets auf diese Verhörsituation in der Mitte oder am Ende zulaufen. Dass es die drei sind, die – meistens als Gegenspieler – Menschen "zur Strecke bringen", die mächtiger sind, höherstehender, und die man eigentlich nur über ein gutes Verhör zu fassen kriegt. Da mussten wir mit manchen Autoren und Regisseuren drum kämpfen.
Gerd Anthoff: Dazu kommt auch, dass diese Verhörsituation für uns Schauspieler die interessantesten Szenen waren. Weil sie oft am konzentriertesten waren und man mit den dazugekommenen, zum Teil hervorragenden Kollegen schauspielerisch mal wirklich in einen Clinch gekommen ist. Das waren mir die liebsten Szenen, die im Verhörraum.
Rudolf Krause: Das war auch das, wovon Zuschauer, denen ich immer mal wieder begegnet bin, gesagt haben, sie finden es so wohltuend. Es ging nicht darum, dass einer mit der Pistole über den Bürgersteig lief und "Stehenbleiben!" schrie, sondern um diesen Clinch im klaustrophobischen Raum. Man hat da nur eine Person sitzen und die kriegt man fast nicht.
Gerd Anthoff: Ich kann mich an eine einzige Situation erinnern, in der ich mit der Kanone rumfuchteln musste. Was sicherlich ein seltsamer und sehr komischer Anblick war. Und das wurde umgangen, indem ich sagen durfte: "Hör' zu, ich habe seit zehn Jahren keine Kanone mehr in der Hand gehabt, aber glaub' ja nicht, dass ich nicht trotzdem losschieße." So hat's funktioniert.
Mario Krebs: Es war manchmal auch schwer, den Autoren, die neu dazukamen, klarzumachen: Wir erzählen keinen "Who-done-it". Wir erzählen nicht, dass da eine Leiche ist und der Täter gefunden werden muss, sondern wir erzählen einen Thriller. Der Gegner wartet nicht, sondern macht weiter. Aber ich glaube, alle Verantwortlichen im Sender haben damals gesehen, dass wir eine gute Mischung hinbekommen haben – aus populärer Besetzung und komplizierten Geschichten, und so, dass man sich mit den Figuren identifizieren kann. Was haben wir über die Bayerische Staatskanzlei hergezogen und am Ende war die Liberalität in Bayern dann doch größer als im preußischen Berlin. Ich bin völlig erstaunt darüber, wir hatten nie Ärger!
Gerd Anthoff: Lieber Mario, merke dir für den Rest deines Lebens: "Mia san mia".
Mario Krebs (lacht): Vielleicht lag's aber auch daran, dass wir Bayern mal ganz anders gezeigt haben. Das sieht man bereits an unserem Polizeipräsidium: Glas, Stahl, Beton, Licht. Das war nicht das klassische Altbayern, nicht dieses der italienischen Renaissance nacheifernde München. Wir haben unser Konzept "Laptop und Lederhosen" genannt. Und das hat unser wunderbarer Szenenbildner Christian Kettler bis zum Schluss durchgesetzt bei den Regisseuren und Kameraleuten.
Gerd Anthoff: Ich habe mich übrigens sehr gewundert, dass es – zumindest für mich – nicht spürbare oder hörbare Folgen hatte, als es in der zweiten Episode um "Max Strauß' Festplatte" ging. Da wurde ja die Nadel wirklich in die Wunde reingelegt und darin rumgebohrt.
Elke Müller: Vielleicht hat "Unter Verdacht" Bayern sogar noch ein bisschen besser gemacht!?
(Alle lachen)
Senta Berger: Nach diesem Gespräch tut's mir doch leid, dass wir aufgehört haben.
Gerd Anthoff: Mach' ma halt a neue Serie: Langner und Prohacek besuchen den Reiter im Gefängnis!