Fabian Thaeslers arbeitete bereits als erster Aufnahmeleiter, Regieassistent, Producer und Autor. Seit der ersten Bella-Block Folge von 1993 hat er die Reihe begleitet und ist ihr nach 19 Jahren noch immer mit ganzem Herzen verbunden.
ZDF: Sie verbindet eine lange und erfolgreiche Geschichte mit "Bella Block". Erzählen Sie uns von dieser ganz besonderen Beziehung.
Fabian Thaesler: Von Beginn an hatte man bei "Bella Block" den Anspruch, menschlich und gesellschaftlich relevante Stoffe spannend zu erzählen. Keine andere Reihe im Deutschen Fernsehen hat für mich über so lange Zeit so zuverlässig so hohe Qualität hervorgebracht. Den Machern auf allen Seiten wurden immer wieder Möglichkeiten eröffnet, die so im Deutschen Fernsehen kaum noch zu haben sind. Als Autor eine "Bella" schreiben zu dürfen, ist daher nicht nur Anspruch und Verpflichtung, sondern vor allem immer wieder ein echtes Geschenk.
ZDF: "Der Fahrgast" ist eine Erzählung von Franz Kafka. Kein leichter Stoff. Wie kam es zu diesem Drehbuch?
Thaesler: Den Anfang bildete der Gedanke, Bella mit einem modernen Verbrechen zu konfrontieren. Der Ausdruck mag irritieren, aber für mich bedeutet er vor allem, dass sich die Tat aus dem Inneren des Täters nährt, aus seiner Psyche und seinen, ihm selbst in der Regel unbewussten, Unterströmungen. Gleichzeitig wollte ich der modernen Tat ein altes Verbrechen gegenüber stellen, quasi als Kontrast, das sich motivisch ganz klassisch gibt. In diesem Fall ist es ein Banküberfall und ein Mord, um die Tat zu verdecken. Vereinfacht gesagt lässt sich mit dem alten Verbrechen ein klares äußeres Ziel erreichen.
Das moderne Verbrechen hingegen besitzt kein äußeres Ziel mehr. Hier geht es nur noch um die Selbsterfüllung einer defizitären und verletzten Psyche oder, noch stringenter, um die Erfüllung einer inneren Notwendigkeit. Als ich mich auf die Suche nach den richtigen Figuren für die Geschichte machte, hatte ich schnell einen Jungen vor Augen, der sich nirgends in der Welt heimisch fühlt, der, kurz gesagt, keinerlei vertrauensvolle Verbindungen nach außen besitzt. Für mich ist dieser Junge der Prototyp des modernen Täters, der aus innerer Not und unerkannten Defiziten so lange weiter in die Enge marschiert, bis etwas passiert und er entweder ex- oder implodiert. Dabei tritt die Tat dann an Stellen zu Tage, an denen sie im ersten Moment schockiert und oft nicht erklärbar scheint.
Kafkas Kurzerzählung "Der Fahrgast" war ein ungemein wertvoller Recherchefund auf meiner Suche nach einem Stoff, den die Schüler im Film als Theaterstück aufführen wollen. Die Erzählung gab meinen eigenen erzählerischen Strömen die Art von inhaltlich festem Grund, die es braucht, wenn man sich weit auf das Feld des Unsichtbaren begibt. Kafka schildert die innere Situation eines jungen Mannes in der Straßenbahn, der für sich selbst kein Recht (keine Berechtigung) in der Welt sieht.
Der über alle Maßen einsame Protagonist beobachtet ein Mädchen, das zum Greifen nah vor ihm steht, zu der er jedoch trotz aller Gedanken und intensiven Beobachtungen keine Verbindung herzustellen vermag. Kafkas Schilderung bezieht sich allein auf die innere Situation des jungen Mannes. Sie entspricht damit genau dem, was ich auf meine Art auch erzählen wollte - einen langen Blick auf ein inneres Geschehen zu werfen, dass, wie ein Eisberg, nur an einigen Stellen die Oberfläche des Ereignishaften durchbricht und so im besten Falle das unterirdische Wirken offenbaren kann. Übertragen gesagt, nimmt einen dieser Stoff mit auf eine Tauchfahrt durch die verschiedenen Seelenleben.
Bella sagt sinngemäß, als sie in einer Szene vor der Schulklasse steht, dass Taten bereits lange in uns ruhen, bevor sie geschehen, dass sie sich unsichtbar in uns anbahnen. In der Schlussszene schließt sie diesen Bogen, indem sie sagt, wir würden nicht mehr aufeinander aufpassen. Darin liegen zwei indirekte Botschaften. Zum einen heißt das, wenn wir auf Taten immer nur dann schauen, wenn sie geschehen, werden wir sie nie vollständig begreifen. Wir müssen lernen, sie dort zu erkennen, wo die Verletzungen und Defizite in den Menschen entstehen, die später möglicherweise deshalb zu Tätern werden. Zum anderen werden wir, nur wenn wir unsere Wahrnehmungen füreinander stärken, in der Lage sein, die Dinge, die zukünftig schief laufen könnten, im Vorfeld zu entschärfen. Diesem Fazit kann ich mich nur persönlich anschließen. Passen wir mehr aufeinander auf!
ZDF: In einem Interview sagten Sie, Ihnen ginge es darum, eine Geschichte zu finden, die Bellas innere Notwendigkeiten berührt. Einen Fall zu haben, in dem es darum geht, ein drohendes Ereignis zu verhindern, einmal schneller als das Unheil zu sein. Der Spannungsbogen in dieser Folge ist von Torsten C. Fischer grandios umgesetzt. Wie war Ihre Zusammenarbeit?
Thaesler: Das Zitat bezieht sich auf "Bella Block - Vorsehung", doch es gilt auch hier. Schneller als das Unheil zu sein, ist in diesem Fall für Bella unmöglich. Der Täter ist bereits so fern, dass sie es nicht schaffen kann. Präventive Maßnahmen konnten nicht greifen, weil es sie nie gab. Doch sie versucht alles, auch wenn sie sich dem beugen muss, was ist. Bellas "innere Notwendigkeiten" zu berühren, ist gleichzeitig erzählerischer Auftrag wie essentieller Bestandteil der Figur. Es geht dabei um Bellas Werte und ihre menschlichen Überzeugungen, die ein unbestechliches Maß und beständiges Gewissen darstellen. Bella ist weder moralisch, noch ein theoretischer Gutmensch. Ihr geht es nie nur darum aufzuklären, sie will eine Tat auch verstehen. Dabei geht sie illusionslos vor. Die Welt ist so, wie sie ihr gegenüber tritt. Bella gleicht sie, quasi für uns alle, mit ihrem eigenen Blick ab, der so gleichzeitig zu unserem wird und der auf ihrem eigenen verlässlichen Kern fußt. Dieser verlässliche Mechanismus verschafft ihr unser Ansehen. Damit ist sie, was oft übersehen wird, auch eine der modernsten Ermittlerinnen des Deutschen Fernsehens. Es gibt keine Tat, deren Aufklärung sie mit einer unumstößlichen vorgefassten Meinung angehen würde, weil sie in der Lage ist, sich auch ohne oberflächliche Konventionen zu orientieren.
Sie sucht nicht nach der Bestätigung für sich selbst, sondern folgt den Spuren der Täter, egal wohin dieser Weg führt. Und sie findet selbst aus der dunkelsten Psyche zurück, um das Erlebte für sich selbst und uns alle einzuordnen, ohne dabei dem Ordnungsdrang der Mehrheitsmeinung zu folgen. Das macht Bella zu einer Figur, mit der auch die schwierigsten und komplexesten Geschichten erzählbar werden. Als Autor kann man nur sagen, lang' soll sie leben. Hannelore Hoger ist und bleibt dabei (natürlich!) die perfekte Besetzung, da sie im Film wie im Leben die scheinbar widersprüchlichen Eigenschaften der notwendigen Gegensätze von Freiheit und Beständigkeit in sich vereint.
Zu der Arbeit mit Torsten C. Fischer - Ich habe den Film noch nicht gesehen. Insofern kann ich mich nur zu den gemeinsamen Drehbuchbesprechungen äußern. Die waren, wie man es sich wünscht: partnerschaftlich, voller guter Fragen und Anregungen und dem beharrlichen Wunsch, immer tiefer in die Figuren und die Geschichte einzusteigen. Torsten war dort sperrig, wo er noch nicht zufrieden war, verengte deshalb aber nie den Weg zu den noch fehlenden Gedanken. Er ist ein Regisseur, mit dem man als Autor im besten Sinne kreativ arbeiten kann, der zu überzeugen weiß und nicht gleich vom Stuhl kippt, wenn man sich seiner Meinung nicht anschließen mag. Für die gute Zusammenarbeit kann ich mich an dieser Stelle nur bedanken. Das gilt auch für Produktion und Redaktion, die seit langem für eine immer wieder fordernde, vertrauensvolle und freundschaftliche Arbeitsweise sorgen, die keineswegs selbstverständlich ist.