Deutschlandticket: Forscher für Abbau der Auto-Privilegien
Interview
Soziologe zur Verkehrswende:"Abbau der Privilegien beim privaten Auto"
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Mit dem 49-Euro-Ticket sollen mehr Menschen vom Auto auf Bus und Bahn umsteigen. Was es für eine Verkehrswende zusätzlich zum günstigen Preis braucht, erklärt Soziologe Canzler.
In Österreich gibt es ein Klima-Ticket schon lange. Jetzt startete in Deutschland das 49 Euro-Ticket. Wie viel kann dieses Ticket zur Verkehrswende beitragen?02.05.2023 | 6:09 min
Einfach und günstig quer durch Deutschland fahren - wie das unsere Mobilität beeinflusst, untersuchten Deutsche Verkehrsforscher bereits in der Phase des 9-Euro-Tickets.
Damals lockte der günstige Preis deutlich mehr Fahrgäste in Bus und Bahn also sonst. Der Grund: Urlaubszeit - und der Ersatz von alltäglichen Wegen zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Das Auto ließen jedoch weniger Menschen stehen als erhofft: Nur etwa fünf Prozent der Autokilometer wurden durch den ÖPNV ersetzt, errechnete ein Forschungsprojekt der TU München.
Mit dem Deutschlandticket sollen Bus und Bahn jetzt auf lange Sicht wieder attraktiver werden. Dafür muss vor allem das Angebot ausgebaut werden. Und nicht nur das.
Was noch dazu gehört, erklärt Soziologe Weert Canzler vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung in NANO:
Mobilitätsforscher Dr. Weert Canzler über den Start des Deutschlandtickets, und ob damit eine "echte" Verkehrswende möglich ist.02.05.2023 | 4:32 min
ZDFheute: Was ist Ihre Prognose? Wie viele Menschen werden jetzt ihr Auto stehen lassen, vielleicht sogar abschaffen und auf den ÖPNV umsteigen?
Canzler: Da kann man nicht so wahnsinnig viel erwarten. Es wird einige geben, die jetzt mehr ÖPNV fahren. Aber das jetzt wirklich viele das Auto abschaffen, das halte ich für unwahrscheinlich. Zu einer Verkehrswende gehört mehr als nur ein gutes Angebot und ein günstiger Tarif! Da gehört natürlich auch der Abbau der Privilegien des Autos dazu.
ZDFheute: Das klingt jetzt so, als würden Sie diesen sechs Millionen Neu-Abonnenten, von denen die Bahn spricht, überhaupt nicht trauen. Gibt es die Ihrer Meinung nach gar nicht?
Canzler: Doch - aber es wäre eher eine Art Versicherung. Oder wie ein Sportstudio-Abo, wie es viele Leute haben, ohne dann hinzugehen. Dass jetzt aber wirklich aufgrund eines 49-Euro-Angebotes massenhaft die Leute umsteigen - das glaube ich nicht. Weil:
ZDFheute: Jetzt werden immerhin drei Milliarden Euro von Kommunen und Bund dafür ausgegeben. Ist dieses Geld gut angelegt?
Canzler: Ja, es ist schon gut angelegt. Es ist ein erster wichtiger Schritt. Aus meiner Sicht ist der Vorteil aber nicht so sehr, dass es jetzt 49 Euro sind - sondern, dass wir endlich ein Ticket haben, mit dem man nicht ständig über Grenzen von Tarifbezirken nachdenken muss. Das, was ich beim Autofahren ja auch kenne!
Was mit dem Deutschlandticket möglich ist, welche Konditionen gelten werden und für wen es sich lohnt, erklärt Beatrix Kaschel von der Schlichtungsstelle Nahverkehr.14.03.2023 | 4:33 min
ZDFheute: Aber was müsste noch dazu kommen, um es zu einer echten und klimafreundlichen Verkehrswende zu machen?
Canzler: Das ist leider ein bisschen komplizierter. Ein gutes Tarifangebot ist das eine. Das Zweite ist natürlich, dass das Angebot dann auch stimmen muss. Dass jetzt wirklich Investitionen in die Schiene, in Bahnhöfe, in Sicherheit, in Sauberkeit gemacht werden. Das ist sehr mühsam und die Mittel dafür müssen zum großen Teil auch erst noch bereitgestellt werden. Und das andere ist:
Wir haben gerade von drei Milliarden gesprochen, die jetzt das 49-Euro-Ticket kostet. Wir haben über elf Milliarden Subventionen für das Auto und für die Straße: eine Entfernungspauschale über den Diesel-Rabatt bis hin zum Dienstwagenprivileg. Ich glaube, eine Verkehrswende gelingt nur, wenn man an beidem etwas verändert.
ZDFheute: Aber andere Länder und andere Städte kriegen das ja auch hin. Zum Beispiel Barcelona: Da sind ganze Viertel stillgelegt. Oder Paris, da gibt es ein Radwegenetz. Was können die denn besser, was wir nicht hinkriegen?
Canzler: Zum einen ist es eine unglaubliche Angst davor, dass der Wähler oder die Wählerin einem das übelnimmt, wenn man jetzt wirklich mutige Schritte geht. Da brauchen wir ja nur über das Tempolimit zu reden. Warum gibt es das hierzulande nicht? Es gibt im Moment das Tempolimit 100 in den Niederlanden. Und es gibt eine große Mehrheit dafür, die sagt: Das ist prima, das hat was gebracht. Wir spüren das sogar im Geldbeutel. Die Staus lösen sich auf. Dieser Mut fehlt hier in Deutschland! Und dann haben wir natürlich eine ganz starke Autofixierung. Insbesondere bei den Schichten und Gruppen, die hier sozusagen die Meinungsführerschaft haben. Das sind alles Leute, die gerne Auto fahren. Die finden es prima! Und die wollen nicht, dass sich das ändert.
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