Vegan leben: Was wäre, wenn alle auf Tierprodukte verzichten?

Tierische Produkte begegnen uns im Alltag sehr häufig. Wie häufig wird umso klarer, wenn man sich ausmalt, wie der Alltag ohne tierische Produkte, komplett vegan, aussehen würde. Dazu gehören neben einer veganen Ernährung auch Kleidung, Pflegeprodukte oder Medikamente.

Eine weltweite Umstellung auf den Veganismus wäre radikal. 82 Milliarden Nutztiere würden weltweit quasi nutzlos. Dabei wäre nicht nur die Nahrungsmittelindustrie betroffen. Tierversuche, Leder, Pelz, Bienenwachs - all das gäbe es dann nicht mehr. Selbst für Kondome werden teilweise tierische Inhaltsstoffe verwendet.

Ersetzen könnte man diese durch pflanzliche oder synthetische Rohstoffe. Das wäre zweifellos eine große Herausforderung. Der Zukunftsforscher und Autor Joel Luc Cachelin, der sich intensiv mit der Utopie einer veganen Welt auseinandergesetzt hat, kommt daher zu dem Schluss, dass der sofortige Verzicht auf Fleisch zu einem Schock für die Menschen führen würde.

Genau diese Innovationskraft und der Wille, alles zu verändern, wären unabdingbar. In der Landwirtschaft würden durch den Wegfall der Tiere viele Flächen frei. Doch nicht alle eignen sich für den Ackerbau. Ob es überhaupt möglich wäre, genügend Nahrung für die Weltbevölkerung zu produzieren, ist umstritten.

Einige neue landwirtschaftliche Konzepte könnten wichtiger werden. Auf dem Meer angebaute Mikroalgen könnten wichtige Proteinlieferanten werden und "Vertical Farming" könnte an Relevanz gewinnen.

Eine zentrale Rolle käme wohl auch den industriell hergestellten Lebensmitteln wie Laborfleisch zu. Diese könnten neben der Ernährung auch eine kulturelle Funktion einnehmen.

Zumal die Leute wahrscheinlich nicht bereit seien, sich ganz anders zu ernähren und alte Gewohnheiten, wie eine Wurst oder ein Steak zu essen, weiter pflegen wollten, vermutet Zukunftsforscher Cachelin. "Laborfleisch ist eine Möglichkeit, diese Traditionen fortzusetzen."

Neben der gesellschaftlichen Akzeptanz ist auch die Frage nach gesundheitlichen Folgen wichtig. Lia Bally, Leiterin der Ernährungsmedizin am Inselspital Bern, hält eine Erhöhung des Anteils pflanzlicher Nahrungsmittel für sinnvoll.

Doch welche medizinischen Folgen eine sofortige Änderung der weltweiten Ernährung mit sich bringen würde, ist schwer einzuschätzen. Es fehle schlichtweg an der Datengrundlage, um die medizinischen Langzeitfolgen abzuschätzen.

Heute verfügbare Fleischersatzprodukte seien noch nicht uneingeschränkt vergleichbar mit Fleisch. Besonders wichtig wäre ein breites Allgemeinwissen über die Zusammensetzung pflanzlicher Nahrungsmittel, so die Expertin.

Dann könnte eine rein pflanzliche Ernährung sogar gesundheitlich vorteilhaft sein. Ein Beispiel laut Joel Luc Cachelin sind steigende Antibiotikaresistenzen beim Menschen aufgrund des massenhaften Einsatzes in der Nutztierhaltung.

Auf das Klima hätte eine vegane Welt positive Auswirkungen. Etwa 15 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen stammen aus der Nutztierhaltung, sagt ETH-Klimaforscher Cyril Brunner. Um die von uns gesetzten Klimaziele zu erreichen, sei Veganismus keine Voraussetzung. Doch würden wir ab morgen auf Nutztiere verzichten, wäre es im Jahr 2050 0,15 Grad weniger warm.

Neben der Reduzierung der Treibhausgasemissionen gäbe es noch einen zweiten Punkt, so Brunner. Die Nutztierhaltung beanspruche sehr viel Platz. Dieser werde häufig durch das Abholzen von Wäldern gewonnen. So wurden global ein Drittel der Waldflächen bereits gerodet. Bei einer weltweiten veganen Lebensweise würde ein großer Teil dieser Flächen nicht mehr gebraucht werden, erklärt Brunner. Auf einigen frei werdenden Flächen könnten dann neue Wälder entstehen, die wiederum klimaschädliches CO2 binden würden.

So spannend dieses Gedankenexperiment auch ist, so klar ist auch, dass diese Vision, wenn überhaupt, erst in ferner Zukunft Realität werden könnte. Auch wenn eine strikt vegane Ernährung in Zukunft unwahrscheinlich ist, so ist sich Joel Luc Cachelin zumindest sicher, dass weniger Fleisch, Eier und Milchprodukte konsumiert werden. Und auch in unserem Gedankenexperiment würde es wohl noch Nutztiere geben. Zur Landschaftspflege und weil ihre Anwesenheit uns gut tut.