Terra X - die Wissens-Kolumne:Altern wir am Nordpol oder Äquator schneller?
von Suzanna Randall
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Die Frage nach Zeit beantwortet nicht nur eine Uhr - sondern auch die Physik. Wer gewinnt im Wettbewerb der Zeit, wenn Gravitation und Geschwindigkeit aufeinandertreffen?
Dass Zeit relativ ist, haben wir alle schonmal selbst erlebt: Schauen wir ein spannendes YouTube-Video (zum Beispiel bei Terra X Lesch & Co), scheint sie wie im Fluge zu vergehen. Während einer eher langweiligen Vorlesung zum gleichen Thema dagegen zieht die Zeit sich schier endlos in die Länge.
Klar, hier geht es ums Gefühlte. Eine Uhr würde in beiden Situationen natürlich gleich schnell ticken - oder? Genau genommen stimmt das nur, würden wir das Video und die Vorlesung am gleichen Ort schauen. Denn am Äquator ticken die Uhren anders als an den Polen: Einstein lässt grüßen.
In der Terra-X-Kolumne auf ZDFheute beschäftigen sich ZDF-Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten wie Harald Lesch, Mirko Drotschmann und Jasmina Neudecker sowie Gastexpert*innen jeden Sonntag mit großen Fragen der Wissenschaft - und welche Antworten die Forschung auf die Herausforderungen unserer Zeit bietet.
Gravitation verlangsamt die Zeit
Laut allgemeiner Relativitätstheorie werden Raum und vor allem Zeit in der Nähe von Massen gekrümmt. Das hört sich etwas abstrakt an, wird aber sehr schön im Blockbuster "Interstellar" veranschaulicht: Am Ende des Films kommt Cooper, einer der Helden der Geschichte, von seiner Reise zum schwarzen Loch Gargantua zurück und trifft auf seine Tochter. Sie blieb während seiner Odyssee auf der Erde - und ist bei der Rückkehr ihres Vaters mehrere Jahrzehnte älter als er!
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Eine aus menschlicher Sicht schwer vorstellbare Erfahrung, aus physikalischer Sicht aber völlig einleuchtend: In der Nähe des extrem massereichen schwarzen Lochs ist ganz einfach die Zeit (sehr viel) langsamer vergangen. Gravitation wirkt als Jungbrunnen sozusagen.
Der Ort, an dem die Zeit am schnellsten vergeht
Was bei schwarzen Löchern so wunderbar beeindruckend klappt, funktioniert auch hier auf der Erde. Wenn auch in viel kleinerem Maßstab. Denn auch die Erde hat eine Masse und krümmt entsprechend die Raumzeit je mehr, desto näher wir ihrem Gravitationszentrum kommen.
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Auf Meeresspiegelniveau vergeht die Zeit etwas langsamer als auf einem hohen Berg. Und da die Erde nicht ganz rund ist, ist man am Äquator etwas weiter weg vom Zentrum als am Nordpol, vor allem wenn man auf den 6.263 Meter hohen Berg Chimborazo in Ecuador steigt. Sein Gipfel ist der am weitesten vom Erdmittelpunkt entfernte Punkt auf der Erdoberfläche - laut allgemeiner Relativitätstheorie also der Ort auf der Erde, an dem die Zeit am schnellsten vergeht.
Geschwindigkeit gegen Zeit: Alles ist relativ
Allerdings gibt es noch einen zweiten Effekt, der die Zeitmessung beeinflusst und zwar die (relative) Geschwindigkeit. Je schneller sich eine Uhr relativ zu mir bewegt, desto langsamer geht sie - laut Einsteins spezieller Relativitätstheorie.
Und da sich die Erde um ihre eigene Achse dreht, bewegt sich mein imaginärer Bergsteigerfreund auf dem Chimborazo im Laufe einer Erdumdrehung relativ zu mir, während ich am Nordpol stehe und friere. Dank Relativgeschwindigkeit vergeht die Zeit für ihn langsamer, aufgrund der geringeren Gravitation aber schneller als für mich. Wer von uns gewinnt denn nun den Jungbrunnen-Wettbewerb?
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Spezielle gegen allgemeine Relativitätstheorie: Wer gewinnt das Gedankenexperiment?
Es stellt sich heraus: ich! Natürlich, schließlich schreibe ich ja diese Kolumne und habe das ganz geschickt so eingefädelt. Die Verlangsamung der Zeit durch die höhere Relativgeschwindigkeit auf dem Chimborazo ist vernachlässigbar klein im Vergleich zur Zeitverlangsamung, die ich dank der höheren Gravitation am Nordpol erfahre. Anders ausgedrückt: Laut spezieller Relativitätstheorie bewegt sich mein Bergsteigerfreund am Äquator schneller durch den Raum und langsamer durch die Zeit als ich am Nordpol.
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Aber laut allgemeiner Relativitätstheorie bin ich am Nordpol an einem stärker gekrümmten Punkt in der Raumzeit - und das Spiel dreht sich um: Dieser Effekt wirkt stärker, meine Zeit geht verglichen mit seiner langsamer.
Allerdings heißt das nicht, dass er irgendwann altersmäßig mein Vater sein könnte - im Laufe eines 80-jährigen Lebens würde ich im Vergleich zu ihm gerade mal 7,5 Millisekunden einsparen. Vorausgesetzt, er richtet sich gemütlich auf dem Chimbozaro ein und ich finde eine warme Hütte am Nordpol.
... ist promovierte Astrophysikerin und trainiert nebenbei als Astronautin. Schon in ihrer Abi-Zeitung stand: "Suzie will die erste Frau auf dem Mars werden." Daran hat sich bis heute nichts geändert. Bei Terra X Lesch & Co ergründet sie physikalische Phänomene - bevorzugt solche, die mit dem Weltraum zu tun haben. Dabei möchte sie vermitteln, dass (Astro-)Physik für alle verständlich sein und dabei richtig Spaß machen kann.
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