Interview
Giftiges Schwermetall in Ostsee:Wie gefährlich ist Thallium für Badegäste?
von Manfred Kessler
|
Forscher haben in der Ostsee Thallium gefunden. Medien veröffentlichten teils alarmierende Berichte. Wissenschaftler Olaf Dellwig sieht keine konkrete Gefahr für Urlauber.
Der Urlaub an der Ostsee ist wohl nicht gefährdet
Quelle: dpa
Es ist tatsächlich das giftigste nicht radioaktive Schwermetall für Mensch und Tier - giftiger als Quecksilber, Cadmium oder Blei: Thallium. Ein internationales Forschungsteam, angeführt von dem Meereschemiker Chadlin Ostrander von der amerikanischen Woods Hole Oceanographic Institution (WHOI), hat das Schwermetall in der zentralen Ostsee im Gotland-Becken in Sedimentkernproben gefunden.
Dem Team gehörte auch Olaf Dellwig vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) an. Er ist Mitautor der Anfang Mai veröffentlichten Studie.
Miriam Schlüter, 34, hat ihre Ausbildung zur Lotsin am Nord-Ostsee-Kanal abgeschlossen und leistet Pionierarbeit.08.04.2024 | 4:11 min
Zementindustrie hauptsächlich verantwortlich für Thallium in der Ostsee
Die Verfasser gehen davon aus, dass die Zementindustrie eine der größten Verursacherinnen der Thallium-Emissionen war. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Zementindustrie extrem hochgefahren, weil überall in Europa gebaut wurde. In den 1960er und 1970er-Jahren sei das Bewusstsein für diese Thallium-Belastung noch nicht da gewesen, bemerkt Dellwig. Es entwich über die Schornsteine der Industrieanlagen in die Atmosphäre.
Im Zusammenhang mit der Studie wurde eine Pressemitteilung vom WHOI herausgegeben, die laut Dellwig einige sehr spekulative Aussagen enthalte. So sei die Ostsee wahrscheinlich komplett mit Thallium belastet und das baltische Meer wahrscheinlich das größte Gebiet der Welt, wo man so etwas finden könne.
Rügen ist die beliebteste Urlaubsinsel in der Ostsee. Doch von Binz aus sieht man jetzt das neue LNG-Terminal. Wie sehr stört die Touristen dieser Anblick?30.03.2024 | 4:43 min
Die ganze Publikation basiere aber in diesem Fall auf einem einzigen Sedimentkern aus dem Gotland-Becken. In dieser Probe sehe man die Thallium-Anreicherung der 1960er und 1970er-Jahre. Das giftige Metall wird jedoch von Sulfiden in unlöslicher Form im Sediment am Meeresboden gebunden. "Das heißt, die Elemente sind nicht mobil", so Dellwig.
Forscher befürchten Freisetzung von Thallium durch Sauerstoff
Die Ostsee-Anrainer-Staaten Deutschland, Dänemark und Schweden planen, Sauerstoff in die tieferen Wasserschichten zu pumpen, um dem Mangel dort entgegenzuwirken. Die Wissenschaftler stehen dem Vorhaben, sauerstofffreie Zonen in der Ostsee - sogenannte Todeszonen - künstlich mit Sauerstoff zu versorgen, allerdings kritisch gegenüber.
Denn dies könnte auch negative Folgen haben. Es wird befürchtet, dass die Sulfide, die Thallium im Meeresboden binden, weniger werden. Thallium wie auch andere Schwermetalle könnten sich dann im Meerwasser anreichern.
In Dänemark rutscht Stück für Stück ein riesiger Haufen hochkontaminierte Erde auf den Fluss Alling Å zu, der in den Kattegatt mündet, die Verbindung zwischen Nord- und Ostsee.23.01.2024 | 1:36 min
Geochemiker Olaf Dellwig relativiert Thallium-Belastung
Dem widerspricht Geochemiker Dellwig. Bei bestimmten Ost- und Westwindlagen, die nicht so oft vorkommen, gelangt sauerstoffhaltiges salziges Nordseewasser über das Skagerrak in die Ostsee. Der letzte massive Einstrom sei im Dezember 2014 gewesen, der dann im März 2015 das Gotland-Becken erreichte. "Ich habe dort zu diesem Zeitpunkt und in den folgenden Jahren Messungen durchgeführt und habe auch Thallium gemessen."
Für einige Wochen habe man eine gewisse Thallium-Freisetzung ins Bodenwasser gesehen, die aber nach wenigen Monaten wieder komplett verschwunden sei, berichtet Dellwig. Die tieferen Sedimente mit den Ablagerungen der 1960er und 1970er Jahre seien zudem in keiner Weise angegriffen worden. Insofern könne er nur Entwarnung geben, sagt Dellwig
Urlauber können weiterhin unbesorgt in der Ostsee baden
Letztes Jahr sei er mit dem Forschungsschiff Elisabeth Mann Borgese des Leibniz-Institutes drei Wochen vom Skagerrak durch die komplette Ostsee bis in den obersten Norden gefahren, berichtet Dellwig. Überall habe er Wasserproben genommen und auch auf Thallium untersucht. Das im Wasser gelöste Thallium sei überall auf einem natürlichen Niveau geblieben.
Urlauber könnten weiterhin unbesorgt in der Ostsee baden gehen. "Für meine eigenen Messungen lege ich meine Hand ins Feuer." Und so sitzt Dellwig derzeit an einer Publikation, um diese Daten zu publizieren.
Viele strandnahe Campingplätze an der schleswig-holsteinischen Ostsee wurden bei der Sturmflut im vergangenen Oktober stark beschädigt. Sind sie wieder bereit für die neue Saison und wurde ihnen finanziell geholfen?06.04.2024 | 4:48 min
Sorge bereitet dem Wissenschaftler die Klimaerwärmung. Sie habe einen massiven Einfluss auf das gesamte Ökosystem der Ostsee und ist eine der Ursachen für die geringer werdende Sauerstoffkonzentration im Wasser.
Thema
Weitere Themen rund um die Ostsee
DDR-Bunker ins Meer gerutscht:Warum an der Ostsee die Klippen bröckeln
von Tobias Bluhm und Alina Reissenberger
In 21 Meter Tiefe:Eiszeit-Steinwall vor Ostseeküste entdeckt
mit Video
Bedrohte Schweinswale:Wie Walen in Not geholfen werden könnte
von Torsten Mehltretter