"Mega-Erdbeben" in Japan: Horror-Szenario als reale Gefahr?

    FAQ

    Nach Warnung in Japan:Wie wahrscheinlich ist ein "Mega-Erdbeben"?

    ZDFheute Update - Kevin Schubert
    von Kevin Schubert
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    In Japan haben Behörden zuletzt vor einem "Mega-Erdbeben" gewarnt. Wie groß ist die Gefahr dort, aber auch global? Ein Seismologe ordnet ein.

    Erdbeben in Japan
    Folgen eines Erdbebens in Japan: Das Land gehört zu den gefährdetsten Regionen weltweit. (Archivbild)
    Quelle: Kyodo News via AP

    Die Warnung hatte es in sich. Ein Erdbeben der Stärke 7,1 hatte Japans Meteorologie-Behörde alarmiert. Sie sprach daraufhin von einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für ein mögliches "Megabeben" am Nankai-Graben - und löste damit Sorgen vor dem nächsten "Big One" aus.
    Die Regierung hob die Warnung nach einer Woche ohne seismische Auffälligkeiten zwar wieder auf. Die Angst vor der großen Katastrophe aber bleibt. Bereits 2013 hatte ein auf Katastrophenverhütung spezialisiertes Team berechnet, dass ein Erdbeben der Stärke 9,1 am Nankai-Graben einen Tsunami auslösen könnte, der binnen Minuten über eine Höhe von zehn Metern hinausgeht. Bis zu 323.000 Menschen könnten sterben, mehr als zwei Millionen Gebäude zerstört werden.
    Was also bleibt von der jüngsten Warnung? ZDFheute hat mit dem Seismologen Frederik Tilmann über die Häufigkeit extrem starker Erdbeben gesprochen, welche Regionen potenziell betroffen sind - und wie sich die Menschheit wappnen kann.

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    Grafiken

    Was ist ein "Mega-Erdbeben"?

    Tatsächlich gibt es den Begriff unter Experten gar nicht, sagt Frederik Tilmann, Professor am Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam. Er verweist auf andere Begriffe für Erdbeben bestimmter Stärken:
    • Giant Earth Quake - Erdbeben stärker als Magnitude 9
    • Great Earth Quake - Erdbeben stärker als Magnitude 8
    • Major Earth Quake - Erdbeben stärker als Magnitude 7
    "Es gibt aber den Begriff des Megathrust. Das ist eine große Verwerfung wie der Nankai-Graben, wo die philippinische Seeplatte unter Japan abtaucht", erklärt Tilmann.
    Die japanischen Behörden hatten im konkreten Fall vor einem "Megabeben" der Stärke 8 oder 9 gewarnt.
    Die Momenten-Magnituden-Skala gibt an, wie stark ein Erdbeben war. Ab 4 ist es deutlich wahrnehmbar, ab 6 sind größere Schäden zu erwarten.
    Die Momenten-Magnituden-Skala misst, wie stark ein Erdbeben war.

    Wie häufig treten Erdbeben dieser Stärke auf?

    Im Durchschnitt gibt es weltweit etwa ein Erdbeben der Stärke 8 pro Jahr, sagt Seismologe Tilmann, "auch wenn es Jahre gibt, in denen zwei oder drei Erdbeben dieser Stärke auftreten".
    Erdbeben der Magnitude 9 sind deutlich seltener. Weltweit erreichte zuletzt das Tohoku-Erdbeben 2011 diese Stärke. Vor allem der folgende Tsunami richtete erhebliche Zerstörungen an, unter anderem am Atomkraftwerk Fukushima-Daiichi. Mehr als 22.000 Menschen starben damals.
    Das zerstörte Kernkraftwerk Fukushima von oben.
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    Lassen sich Erdbeben denn vorhersagen?

    "Das kommt darauf an, wie man Vorhersage definiert", sagt Tilmann. Der Potsdamer Professor verweist auf die englische Sprache, die dort präzise unterscheide.
    • "Prediction": Beschreibt eine sehr genaue Vorhersage, für ein Erdbeben etwa Details zu Zeit, Ort und Intensität
    • "Forecast": Beschreibt eine Wahrscheinlichkeit basierend auf äußeren Umständen, bei Erdbeben etwa eine Häufung kleinerer Beben
    Während eine "Prediction" bei Erdbeben nicht möglich sei, "sind Forecasts durchaus möglich", sagt Tilmann. Dass Japan nun vorsichtshalber vor einem "Mega-Erdbeben" gewarnt habe, könne auch historisch begründet sein, schätzt er. "Beim Tohoku-Beben 2011 gab es ebenfalls ein starkes Vorbeben. Das hat nun möglicherweise zur Folge, das nach einem großen Beben am Nankai-Graben vor einem möglichen Megathrust-Beben gewarnt wird."
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    Welche Regionen sind außer Japan besonders gefährdet?

    "Erdbeben der Magnitude 9 treten nur bei Megathrust-Verwerfungen auf, wo sich eine Platte unter eine andere schiebt", erklärt Frederik Tilmann. Die meisten dieser Subduktionszonen lägen am Rand zwischen Ozean und Kontinent - etwa entlang des Pazifischen Feuerrings in Japan oder in der Anden-Region. "Aber auch unter dem Himalaya hat man eine ähnliche Struktur."
    Die Weltkarte zeichnet die Erdbebengebiete der Erde aus. Besonders die amerikanische Pazifikküste sowie Japan, Neuseeland, Neuguinea und Zentralasien sind gefährdet.
    Tilmann warnt allerdings davor, die möglichen Folgen von Erdbeben allein auf die Magnitude zurückzuführen. "Auch ein Erdbeben der Stärke 7 oder 7,5 kann extrem tödlich sein, wenn es an einer ungünstigen Stelle auftritt, etwa in unmittelbarer Nähe einer Stadt, deren Gebäude nicht auf Erdbebensicherheit gebaut sind", sagt der Seismologe.

    Kann ein "Megabeben" auch Europa treffen?

    In Europa können vor allem in Italien, Griechenland und in der Türkei starke Erdbeben auftreten. Die beiden Erdbeben in der Türkei am 6. Februar 2023, bei dem mehr als 50.000 Menschen während des Bebens oder an den Folgen starben, erreichten beispielsweise eine Magnitude von 7,7 und 7,6.
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    In Deutschland treten selten Erdbeben der Magnituden 3, 4 und 5 auf - wobei stärkere Erdbeben grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden können.

    Wo wären die Folgen besonders katastrophal?

    "Je ärmer das Land ist und je größer die Korruption, desto schwerwiegender sind die potenziellen Folgen von Erdbeben", sagt Tilmann. "Wobei es grundsätzlich große Unterschiede zwischen Ländern gibt, wie mit dem Erdbebenrisiko umgegangen wird - weshalb sich das nur sehr komplex beantworten lässt."
    "Italien etwa ist ein Land, das finanzielle Möglichkeiten hat und sich der Erdbebengefährdung bewusst ist", sagt Tilmann. "Trotzdem gibt es immer wieder Erdbeben mit teils schwerwiegenden Folgen, weil es viele historische Gebäude gibt, deren Nachrüstung extrem teuer ist."
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    Grundsätzlich könne ein "Stärke-8-Beben an Land noch gefährlicher sein als ein Stärke-9-Beben vor der Küste - je nachdem, wie das Land auf Tsunamis vorbereitet ist, wie viel Zeit zur Evakuierung bleibt".
    Das tödlichste Erdbeben dieses Jahrtausends hatte beispielsweise eine vergleichsweise geringe Magnitude von 7,0. Es traf am 12. Januar 2010 Haiti und verwandelte die Hauptstadt Port-au-Prince in ein Trümmerfeld. Der damalige Premierminister Jean-Max Bellerive sprach ein Jahr nach der Katastrophe von 316.000 Toten.

    Wie kann sich die Menschheit vorbereiten?

    Seismologe Tilmann nennt vor allem zwei wirksame Maßnahmen:
    1. Erdbebensicheres Bauen an Land: "Das Wichtigste ist, dass gute Baunormen existieren, die entsprechend überwacht und eingehalten werden."
    2. Warnsysteme für Tsunamis: "Die Menschen müssen vorab wissen, wie sie sich zu verhalten haben und wie sie Küstenregionen schnell verlassen."
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    Quelle: mit Material von AP, AFP, dpa

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