Nach Verbot des Kükentötens: Was mit Bruderhähnen passiert
Nach Verbot des Kükentötens:Was mit den Bruderhähnen passiert
von Karen Grass
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Seit 2022 gilt in Deutschland das Kükentötenverbot, das besagt: Männliche Eintagsküken dürfen nicht mehr wie früher millionenfach vergast werden. Doch wo landen diese Tiere jetzt?
Seit Januar 2022 dürfen männliche Küken aus der Legehennenzucht in Deutschland nicht mehr direkt nach dem Schlüpfen getötet werden. Doch: Wo landen diese "Bruderhähne" jetzt stattdessen? WISO macht sich auf die Spurensuche.03.07.2023 | 9:42 min
Ein Frühstücksei mit gutem Gewissen: Das hatten sich wohl viele Verbraucher*innen 2022 vom Start des deutschen Kükentötenverbots erhofft. Nur: Bringt es wirklich weniger Tierleid?
Kükentötenverbot wird umgangen
Die NGO SOKO Tierschutz hat dazu Material gesammelt, das belegt: Statt die Küken wie früher selbst zu töten, importieren einige deutsche Betriebe jetzt weibliche Küken aus dem Ausland, deren Brüder dort getötet wurden.
Die Legehennen werden hier eingestallt und legen später Speiseeier. So lässt sich das deutsche Verbot einfach umgehen, denn diese Importe sind völlig legal. Und sie sind attraktiv: Die Küken zu töten ist nämlich viel günstiger, als etwa die sogenannten Bruderhähne aufzuziehen.
Seit 2022 ist es in Deutschland verboten, männliche Eintagsküken aus der Legehennenzucht systematisch zu töten.
Zuvor wurden jährlich 40 bis 50 Millionen männliche Tiere aus der Legehennenzucht vergast.
Denn die Küken sind für die Mast wirtschaftlich wenig interessant, da ihre Rasse auf Eileistung und nicht auf Fleischansatz gezüchtet ist.
Das deutsche Gesetz erlaubt heute zwei Verfahren als Alternative zum Kükentöten:
Die männlichen Embryos können direkt im Ei aussortiert und nicht mehr weiter bebrütet werden, eine Methode die durch mehr Rechtssicherheit künftig wohl noch relevanter wird.
Die zweite Alternative ist die Mast der geschlüpften "Bruderhähne" für die Fleischproduktion.
Beide Alternativen zum Kükentöten sind mit Mehrkosten verbunden, die auf die Eier umgelegt werden. Im EU-Ausland werden die männlichen Eintagsküken deshalb weiter getötet, gemeinsam mit nur wenigen anderen Ländern steht Deutschland mit seinem Verbot bisher recht isoliert da.
Kürzlich sorgte eine Brüterei aus NRW für Schlagzeilen, da sie männliche Küken ins Ausland transportieren und offenbar direkt töten ließ. Mehrere NGOs wie Animal Society stellten Strafanzeige.
Animal Society geht aber nicht davon aus, dass diese Methode die Regel ist.
Stattdessen würden wohl viele Tiere für die Mast ins Ausland exportiert.
Das ist genauso legal wie der Import von Eiern oder Legehennen aus Produktionslinien mit Kükentöten im Ausland.
Diese Möglichkeiten, das deutsche Kükentötenverbot zu umgehen, setzen heimische Landwirt*innen unter Kostendruck. Laut Branchenverbänden geben viele auf.
Quellen: Statistisches Bundesamt, KAT e.V, Animal Society, ZDG
Produktion von Eiern sehr intransparent
Eier aus solchen ausländischen Produktionslinien mit Kükentöten landen oft in Fertigeiprodukten oder im Catering. Dort wird nur selten ausgewiesen, wie produziert wurde. "Also arbeiten die Betriebe je nach Bedarf, wie es für ihre Produktion gerade passt, mal mit, mal ohne Kükentöten, es ist super undurchsichtig", kritisiert Friedrich Mülln von SOKO Tierschutz.
Biobetrieb transportiert Tiere aus Produktion mit Kükentöten
Müllns Team ist auf Hinweise gestoßen, dass selbst ein großer Biobetrieb Tiere aus Produktionslinien mit Kükentöten bei Geschäftspartnern abholt: die Geflügelzucht Hockenberger. Das irritiert auf den ersten Blick, denn die Geflügelzucht kooperiert mit den Bioverbänden Bioland und Demeter, deren Richtlinien verlangen: Zu jedem weiblichen Küken muss ein Hahn aufgezogen werden.
Und Hockenberger selbst engagiert sich laut Website schon lange für die Aufzucht männlicher Küken als Alternative zur Tötung. Warum lädt die Firma dann Tiere aus Produktionslinien mit Kükentöten in ihre Transporter?
Werner Hockenberger erklärt dazu auf Anfrage, er habe eben noch Kontakte in den Markt und transportiere die Tiere nur für alte Geschäftspartner von A nach B. Mit den Tieren selbst habe er aber nichts zu tun. Und: "Diese Transporte machen in unserem Gesamtumsatz nur einen kleinen einstelligen Prozentanteil aus."
Millionen Küken werden bisher direkt nach dem Schlüpfen getötet. 21.01.2021 | 1:31 min
Bruderhähne landen oft im Ausland
Dass selbst ein engagierter Biobetrieb solche Transporte macht, illustriert jedoch, wie selbstverständlich dies in der Branche verankert ist.
Er selbst lasse alle Bruderhähne wie vom Gesetz vorgesehen mästen, sagt er. Bei Partnern in Deutschland oder in Österreich. Dass Bruderhähne für die Mast im Ausland landen, ist keine Seltenheit.
Laut einer Statistik des Branchen-Vereins für Kontrollierte Alternative Tierhaltungsformen (KAT) e.V. wurden 2022 allein unter seiner Zertifizierung über 12 Millionen Bruderhähne außerhalb Deutschlands gemästet.
Das bedeutendste Mastland ist Polen, dort landeten laut KAT-Statistik 2022 fast neun Millionen Bruderhähne - mehr als in Deutschland selbst aufgezogen wurden.
Die anderen Tiere landen vor allem in Österreich, in den Niederlanden oder in Belgien
Quelle: KAT e.V.
Weite Strecken bei Tierexporten
Auch Friedrich Mülln von SOKO Tierschutz hat so einen Tierexport dokumentiert: "Der Transporter kommt aus den Niederlanden, sammelt die Küken bei der deutschen Brüterei ein, fährt dann über 800 Kilometer nach Polen, lädt da die Tiere an einem großen Maststall ab - und fährt dann zurück in die Niederlande", erklärt Mülln.
Warum müssen diese langen Tiertransporte sein? Wir fragen nach beim deutschen Branchenverein KAT e.V., der viele der exportierten Tiere zertifiziert.
Die Erklärung von KAT-Geschäftsführer Dietmar Tepe: "In Deutschland gab es einfach keine Kapazitäten, um Millionen von Tieren unterzubringen, die es vorher so am Markt gar nicht gab."
Der Verein für Kontrollierte Alternative Tierhaltungsformen (KAT) e.V. organisiert in der Branche eine Selbstverpflichtung zur Umsetzung des Kükentötenverbots und garantiert über die gesetzlichen Regelungen hinaus die Einhaltung entlang ganzer Lieferketten, auch im Ausland.
Um durch KAT zertifiziert und Teil einer gelabelten Lieferkette zu werden, sollen Ställe gewisse Vorgaben wie etwa Sitzstangen und Möglichkeiten zum Scharren für ein artgerechteres Verhalten der Tiere einhalten.
Die Einhaltung der Vorgaben wird laut KAT in jedem Stall einmal im Jahr kontrolliert, auch im Ausland. Der Verein behält sich zusätzlich stichprobenartige unangemeldete Kontrollen vor.
Laut KAT-Verein zeichnet sich aktuell ein Trend weg von den Bruderhahnexporten hin zur Bestimmung der männlichen Embryos im Ei ab. Allerdings gebe es ebenfalls einen Trend unter den Betrieben, die Zertifizierung zu verlassen, um mit Kükentöten im Ausland Kosten zu sparen.
Quelle: KAT e.V.
Zehn Cent ist das Leben eines Masthuhns wert: erschreckend wenig. Viele Mäster müssen immer mehr Küken in die Ställe setzen – zur Einkommenssicherung. Doch welche Folgen hat das?16.05.2021 | 28:39 min
Tiere selbst in zertifizierten Ställen in schlechtem Zustand
Und wie ergeht es den Tieren vor Ort? Die NGO Animal Society ist an Aufnahmen aus KAT-zertifizierten Ställen in Polen gelangt. Sie zeigen tausende, stark verdreckte Tiere.
Die Tiere haben teils mit Kotklumpen an den Zehen zu kämpfen. Laut KAT-Verein entspräche der Boden so nicht seinen Haltungsvorgaben, doch: "Wir sind ja nicht jeden Tag im Betrieb, sondern wir kontrollieren jährlich, das ist ähnlich wie beim TÜV", so Dietmar Tepe.
"Die Tiere kommen aus diesen Zuständen in den Ställen kein einziges Mal heraus, bis auf den Weg zum Schlachthof", gibt Tierschutz-Aktivistin Carlotta Heinemann zu Bedenken. Wohin das Fleisch der Tiere dann nach der Schlachtung geht, dazu fehlen bisher konkrete Daten. Nach ZDF-Informationen geht ein Teil tiefgekühlt nach Afrika.
Welche Eier soll ich kaufen? Die Auswahl reicht von Kleingruppen- bis Biohaltung. Wie man am Ei erkennt, wie die Hühner gehalten werden - und wie viel Platz artgerecht wäre.
von Nadine Berger
Grafiken
Drängen auf einheitliche EU-Regelung
Unbefriedigend sei die Lage beim Kükentöten, so das Fazit der Tierschutzaktivist*innen. Auch Geflügelzüchter Werner Hockenberger glaubt: Ohne einen strengen Umgang mit Importen oder eine einheitliche europäische Regelung läuft das deutsche Verbot ins Leere. Immerhin gibt es dazu nun auf EU-Ebene erste zarte Initiativen.
Er selbst engagiere sich indes für die Zucht sogenannter Zweinutzungshühner, so Hockenberger. Die sollen gesünder sein als spezialisierte Hochleistungshühner und ihre männlichen Küken eignen sich besser zur Fleischproduktion. Diese Produkte zu kaufen, könnte ein Tipp für bewusste Verbraucher*innen sein. Der andere: zahlreiche vegane Alternativen zum Ei.
Karen Grass ist Redakteurin der ZDF-Sendung "WISO".
Die Alternativen zum Ei sind vielfältig - je nach Zweck eignen sich unterschiedliche Ersatzprodukte:
Ersatzproduktmischungen: Einige Drogerien und Supermärkte bieten mittlerweile Produkte an, die zum Beispiel aus Lupinenmehl, Tapioka, Kartoffel- oder Maisstärke bestehen. Sie können meist mit Wasser angerührt und aufgeschlagen werden und dann als Eiersatz funktionieren.
Süßes, saftiges Backwerk: Hier eignen sich etwa Apfelmus oder Bananen als Eiersatz, zumindest wenn man es fruchtig süß und saftig mag.
Baiser oder Mousse: Als Ersatz für Eischnee eignet sich hier ideal Aquafaba, also Kichererbsenwasser. Gegebenenfalls kann man das Wasser etwas reduzieren, um eine Masse zu bekommen.
Quiche oder Auflauf: Anders als beim voherigen Punkt eignet sich hier besser die trockene Variante: Kichererbsenmehl bindet etwa Flüssigkeit in Aufläufen.
Burgerpatties: In solchen herzhaften Gerichten können ein bis zwei Esslöffel Tomatenmark die Wirkung von Ei ersetzen.