Klimaforscher Latif: "Es ist jetzt schon nach zwölf"
Klimaklage vor EGMR:Latif: "Es ist jetzt schon nach zwölf"
|
Vor dem EGMR läuft eine historische Klimaklage gegen über 30 Länder. Klimaforscher Latif spricht über den Nutzen solcher Prozesse und die Chancen zur Bekämpfung der Erderwärmung.
Sechs junge Portugiesinnen und Portugiesen sind vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gezogen, um 32 europäische Staaten zu verklagen. Grund ist der Klimawandel: Die Klägerinnen und Kläger sagen, dass die Länder mit ihrer bisherigen Klimapolitik die Menschrechte missachten, weil der Ausstoß von Treibhausgasen nicht schnell genug reduziert werde.
Bei ZDFheute live erklärt der Klimaforscher Mojib Latif, warum er solche Klagen für ein geeignetes Mittel im Kampf gegen den Klimawandel hält und wie die Chancen für das Aufhalten der Erderwärmung stehen.
Sehen Sie oben das ganze Interview im Video und lesen Sie es hier in Auszügen. Das sagt Mojib Latif ...
... über die Klimaklage der jungen Menschen vor dem EGMR
Dass junge Menschen durch solche Maßnahmen versuchen müssten, ihre Zukunft zu sichern, sei nur schwer fassbar, sagt Latif. Aus seiner Sicht "ist es völlig gerechtfertigt, dass die jungen Menschen jetzt immer öfter Gerichte anrufen".
Mit Blick auf das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens sagt der Klimaexperte: "Ein Abkommen zu unterzeichnen, wie das Paris-Abkommen, ist hier eine Sache. Aber sich daran zu halten, ist die andere Sache. Und die allermeisten Länder, eigentlich alle Länder, halten sich nicht daran, was sie in Paris versprochen haben."
Es ist der größte Klimaprozess der Geschichte in Straßburg.27.09.2023 | 2:19 min
... dazu, ob es bereits zu spät für die Bekämpfung des Klimawandels sein könnte
"Im Prinzip ist es jetzt schon nach zwölf", sagt Latif. Man sehe "die Zunahme der Extremwetterereignisse", an die "unsere Infrastruktur" überhaupt nicht angepasst sei. Niemand wisse, ob es irgendwann einen "Point of no Return" gebe, an dem sich die Dinge "dann verselbstständigen und dann nicht mehr zu begrenzen sind".
Allerdings bleibt Mojib Latif optimistisch: "Ich persönlich glaube es nicht. Die Erde hat doch sehr, sehr große Veränderungen doch irgendwie überlebt, natürlich mit großen Konsequenzen. Aber die Erde wird natürlich bleiben, das Leben wird bleiben, und ich bin jemand, der eigentlich immer versucht, Mut zu machen."
Er glaube an den Effekt vieler kleiner Maßnahmen - "diese eine große Maßnahme, um das Klima zu retten, gibt es ohnehin nicht".
... zum Argument, ohne Maßnahmen anderer Länder verpufften Bemühungen einzelner Länder
Wenn man die reinen Zahlen betrachte, könne man argumentieren, dass mehr Klimaschutz durch einzelne Ländern alleine nur wenig bringe. So habe Deutschland "einen Anteil von knapp zwei Prozent" an den weltweiten CO2-Emissionen, während China bei knapp 30 Prozent liege, erklärt Latif.
Dabei sei der Ort des CO2-Ausstoßes irrelevant, "weil das so lange in der Atmosphäre verweilt, für Jahrhunderte, für Jahrtausende" und sich um den Erdball verteile. "Wir haben es mit einem globalen Problem zu tun."
Doch es gebe gute Gründe für vergleichsweise kleine Länder, ihre Klimaschutzbemühungen zu verstärken. Auch Deutschland habe die Möglichkeit, "global etwas zu erreichen" und das in der Vergangenheit bereits getan.
"Mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz in 2000: Deutschland hat fast im Alleingang die erneuerbaren Energien bezahlbar gemacht, und nur deswegen boomen sie überall in der Welt."
"Aber dann gibt es eben auch die Frage der Gerechtigkeit. Auf der einen Seite stoßen wir ja schon sehr, sehr lange CO2 aus. Alles, was unsere Eltern, unsere Großeltern, in die Luft geblasen haben, ist noch dort oben. China stößt ja noch nicht so lange CO2 aus und die Entwicklungsländer fangen ja jetzt erst an. Das heißt, wir haben eine historische Verantwortung. Der müssen wir uns natürlich gerecht werden", sagt Mojib Latif.
Zudem müsse man sich den Pro-Kopf-Ausstoß in den Ländern anschauen. "Jeder von uns entlässt im statistischen Mittel etwa acht Tonnen CO2 pro Jahr. In Indien sind es gerade mal zwei Tonnen.
"Und insofern gibt er es wirklich sehr, sehr gute Gründe, warum Länder wie Deutschland, also die alten Industrienationen, hier wirklich vorangehen müssen", sagt Mojib Latif.
... über den Klimawandel als Bedrohung für die Gesundheit
Die Weltgesundheitsorganisation habe vor der vorletzten Weltklimakonferenz in Glasgow nochmals deutlich gemacht, "dass der Klimawandel die größte Gesundheitsbedrohung für die Menschheit" sei.
"Und ich möchte auch daran erinnern, dass jedes Jahr - auch bei uns in Deutschland - Tausende Menschen sterben an der Hitze", erklärt Mojib Latif.