Hochsensibilität ist kein Trendphänomen | Terra-X-Kolumne
Kolumne
Terra X - die Wissens-Kolumne:Hochsensibilität ist kein Trendphänomen
von Corina Greven
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Manche Menschen nehmen ihre Umwelt intensiver wahr als andere. Warum Hochsensibilität wirklich eine wissenschaftlich fundierte Eigenschaft und kein Social-Media-Trend ist.
Stellen Sie sich vor, Sie betreten eine volle U-Bahn: Das schrille Quietschen der Bremsen, das Gemurmel der Gespräche, der Duft eines frisch gebackenen Croissants neben Ihnen - all das strömt gleichzeitig auf Sie ein. Während manche Menschen kaum von diesen Eindrücken berührt werden, erleben andere sie in besonders intensiver Weise. Diese Menschen werden als hochsensibel bezeichnet.
In der Terra-X-Kolumne auf ZDFheute beschäftigen sich ZDF-Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten wie Harald Lesch, Mirko Drotschmann und Jasmina Neudecker sowie Gastexpert*innen jeden Sonntag mit großen Fragen der Wissenschaft - und welche Antworten die Forschung auf die Herausforderungen unserer Zeit bietet.
Doch was bedeutet das genau? Hochsensible Menschen nehmen subtile Reize nicht nur vermehrt wahr, sondern verarbeiten sie auch tiefer. Geräusche, Gerüche, Stimmungen anderer - all das kann sie intensiver berühren als die meisten Menschen. Sie fühlen stark mit anderen mit und können sich leicht in andere hineinversetzen.
Hochsensible anfälliger für Reizüberflutung
Diese Eigenschaften bringen Vorteile mit sich - etwa erhöhte Kreativität oder eine verstärkte soziale Wahrnehmung, die feine zwischenmenschliche Nuancen erfasst. Doch sie können auch herausfordernd sein: Hochsensible sind anfälliger für Reizüberflutung, Stress und Erschöpfung. Die Wissenschaft spricht hier von differentieller Suszeptibilität. Das bedeutet, dass Hochsensible sowohl besonders von positiven als auch negativen Umwelteinflüssen profitieren oder darunter leiden können.
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Hochsensibilität - mehr als nur eine Mode
Hochsensibilität wird manchmal als Social-Media-Trend abgetan. Doch sie ist ein wissenschaftlich seriöses Thema. Studien zeigen eindeutig, dass Unterschiede zwischen Individuen in der Wahrnehmung und Verarbeitung von Reizen eine grundlegende Eigenschaft aller Lebewesen sind. Sensibilität ist im Laufe der Evolution erhalten geblieben und entscheidend für das Überleben, da sie es ermöglicht, Umweltveränderungen frühzeitig zu erkennen und darauf zu reagieren.
Auch im Tierreich kommt erhöhte Sensibilität vor
Eine erhöhte Sensibilität zeigt sich also nicht nur beim Menschen, sondern auch im Tierreich. In vielen Tierpopulationen gibt es besonders aufmerksame Individuen - etwa Gazellen, die kleinste Bewegungen in ihrer Umgebung wahrnehmen und frühzeitig auf Gefahren reagieren. Diese Fähigkeit sichert ihr Überleben und das der Gruppe.
Allerdings variiert das Ausmaß der Sensibilität: Während die meisten Individuen im Durchschnitt liegen, sind einige weniger und andere besonders stark sensibel. Etwa eine von fünf Personen gilt als hochsensibel - eine bedeutende Minderheit unserer Gesellschaft.
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Hochsensibilität: Ein Einblick in die Wissenschaft
Der Begriff Hochsensibilität wurde 1997 in die Wissenschaft eingeführt und als Sensory Processing Sensitivity erforscht. Er beschreibt ein Persönlichkeitsmerkmal, das sich durch eine besonders ausgeprägte Wahrnehmung und Verarbeitung sensorischer, sozialer und kognitiver Reize auszeichnet. Es ist also keine klinische Diagnose, sondern natürliche Variation der menschlichen Persönlichkeit.
Obwohl sich derzeit noch vergleichsweise wenige Forschende dem Thema Hochsensitivität widmen und viele Fragen offen sind, hat sich die Forschung in den letzten Jahren stark intensiviert: Die Zahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen hat sich in den letzten fünf Jahren verdreifacht.
Neue, größere Studien mit verbesserten Methoden zeigen, dass Hochsensibilität sich von anderen Persönlichkeitsmerkmalen unterscheidet, moderat vererbbar ist und mentale Gesundheit in positiver wie negativer Weise beeinflusst. Experimentelle Studien haben zudem begonnen, zentrale Merkmale zu validieren, und erste bildgebende Untersuchungen konnten bereits neurobiologische Grundlagen aufzeigen.
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Hochsensibilität ist ein unterschätztes Thema
Hochsensibilität wurde lange wenig erforscht, doch das Interesse wächst. Immer mehr Menschen erkennen sich darin wieder. Das Konzept hilft, eigene Erlebnisse besser zu verstehen und Worte für Erfahrungen zu finden, die bisher nicht gut erklärbar waren.
Künftig wünsche ich mir mehr Forschung, die Hochsensibilität in all ihren Facetten umfassend beleuchtet und die Erfahrungen von Hochsensiblen aktiv einbezieht. So ein partizipativer Ansatz stärkt die wissenschaftliche Fundierung und liefert praxisnahe Erkenntnisse.
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... ist eine international anerkannte Expertin für Hochsensibilität. Sie leitet den Lehrstuhl für Umweltsensibilität in der Gesundheit am Radboud university medical center in den Niederlanden. In ihrer Forschung betont sie die Bedeutung wissenschaftlicher Strenge und kritischer Reflexion, um Hochsensibilität als Persönlichkeitsmerkmal besser zu verstehen und fundierte Erkenntnisse für hochsensible Personen und die Gesellschaft zu gewinnen. Sie wuchs in Nürnberg auf, liebt Meditation und Hunde. Sie sagt: "Hochsensibilität sichtbar zu machen und ihr Potenzial zu fördern, ist eine gesellschaftliche Chance."
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