Neuer HIV-Heilungserfolg an Berliner Charité

    Der nächste Berliner Patient:Neuer HIV-Heilungserfolg an Berliner Charité

    von Stefanie Hayn
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    HIV ist meist gut behandelbar, eine Heilung aber nur in sehr wenigen Fällen mit Stammzelltransplantation geglückt. Der aktuelle Berliner Fall könnte einen neuen Heilungsweg weisen.

    Zu sehen sind Blutproben.
    In Deutschland leben fast 100.000 Menschen mit einer HIV-Infektion. An der Berliner Charité gilt erst zum zweiten Mal ein Aids-Patient als geheilt. Ein Fall, der Hoffnung macht.18.07.2024 | 1:37 min
    Nicht einmal zehn Menschen weltweit gelten als von eine HIV-Infektion geheilt. Einen Fall, den zweiten Berliner Patienten, stellt jetzt die Charité vor. Der inzwischen 60-jährige HIV-Infizierte wurde wegen einer Leukämieerkrankung mit einer Stammzellspende behandelt.
    Bei einer solchen Therapie wird das Immunsystem des Erkrankten praktisch gegen das des gesunden Spenders ausgetauscht. Als der Patient in Berlin danach seine HIV-Therapie absetzte, waren keine Viren mehr zu finden.

    Das ist ein ungewöhnlicher Fall, weil die HIV-freien Immunzellen der Spenderin eben nicht HIV-resistent waren wie bei anderen Fällen - sondern dass ein hier unbekannter Mechanismus eine Rolle gespielt hat.

    Prof. Olaf Penack, Oberarzt Hämatologie/Onkologie Charité Berlin

    Nach Erklärungen für diesen noch unbekannten Heilungsmechanismus wird jetzt gesucht. Bisher ging die Forschung davon aus, dass eine Genmutation des Spenders für eine Heilung wesentlich ist.
    Die HI-Viren brauchen eine bestimmte Andockstelle an den Zellen, den sogenannten CCR5-Rezeptor. Bei etwa einem Prozent der europäisch-stämmigen Bevölkerung liegt eine Gen-Veränderung vor, die ein Eindringen des Virus verhindert. Diese Menschen sind immun gegen HIV.
    Marc Franke
    Marc Franke ist einer von weltweit nur fünf Menschen, die als geheilt von HIV gelten. Der "Düsseldorfer Patient" erzählt seine Geschichte und wie es zu dem Behandlungserfolg kam.15.03.2024 | 4:15 min

    Der erste Berliner Patient

    Nach diesem Prinzip funktionierte die weltweit erste HIV-Heilung, die 2008 an der Charité gelang. Der Fall ging als Berliner Patient in die Medizingeschichte ein. Für den damals HIV-infizierten Mann wurde zur Behandlung seiner Leukämie ein Stammzellspender gefunden, der gleichzeitig die Genmutation an der Virenandockstelle in sich trägt. Im Fall des ersten Berliner Patienten wurde so neben dem Krebs auch die HIV-Infektion bekämpft. So einen passgenauen Spender zu finden ist extrem selten.
    Nur vier weitere Personen sind weltweit auf diese Weise behandelt worden. Dazu kommt ein Patient in Genf, der im letzten Jahr vorgestellt wurde und bei dem nach einer Knochenmarkspende ohne resistenten Spender ebenfalls keine Viren mehr nachweisbar waren.
    Eine Aidsschleife liegt am Montag (29.11.2010) in Köln auf einem Leuchttisch auf Kondomen.
    In den 1980er-Jahren war die Sorge vor der Ansteckung mit HIV groß. Noch immer infizieren sich in Deutschland rund 1.800 Menschen pro Jahr.01.12.2023 | 1:38 min

    Der zweite Berliner Patient

    Im aktuellen Fall des zweiten Berliner Patienten konnte für die nötige Stammzelltransplantation zur Behandlung der Leukämie keine geeignete HIV-immune Person gefunden werden. Ausfindig gemacht wurde bei der Suche eine Spenderin, die auf ihren Zellen sowohl normale als auch mutierte CCR5-Rezeptoren trägt - sie hat von jedem Elternteil eine Variante vererbt bekommen.
    HIV-immun ist sie damit nicht. Doch der Patient hat aus eigenem Antrieb später seine empfohlene antivirale Therapie abgesetzt. Mehr als fünf Jahre ist das jetzt her und trotz intensiver Suche sind bei ihm keine Virus-Reste zu finden. Krebszellen sind bisher auch nicht wieder aufgetaucht. Für die Heilung von HIV werden jetzt Erklärungen gesucht.

    Es ist vorstellbar, dass die HIV-tragenden Immunzellen des Patienten durch HIV-freie Immunzellen der Spenderin ersetzt wurden und dass dadurch alle Virusverstecke im Körper des Patienten beseitigt wurden.

    Prof. Olaf Penack, Oberarzt Hämatologie/Onkologie Charité Berlin

    Kauf von PreP in Apotheke, Apotheker steht an Thresen, Kunde mit dunkelroter Jacke und Brille dahinter.
    Vor allem schwule Männer nutzen die sogenannte "PrEP", um sich vor einer HIV-Infektion zu schützen. Doch das Medikament ist seit Wochen knapp. Kommt die alte Angst vor HIV zurück?06.02.2024 | 5:20 min

    Neue Therapie-Ansätze

    Wie das Immunsystem der Spenderin die Virenverstecke beseitigt hat, ist eine der wichtigen Fragen. Diese sogenannten Reservoirs sind die größte Hürde, um HIV zu heilen. In ihnen überleben Viren und können von gängiger medikamentöser Therapie nicht erreicht werden.
    Wird diese abgesetzt, vermehren sich die Viren von ihren Verstecken aus neu. Der zweite Berliner Patient hat gezeigt, dass es einen Weg geben muss, auch diese schlafenden Gefahren zu beseitigen.

    Man versucht, mit einem Stimulans diese Virus-Reservoire aufzuwecken, dass sich tatsächlich Viren bilden können, um dann aber mit einer zweiten Intervention, beispielsweise einer Antikörpertherapie, diese sich bildenden Viren wieder direkt abzufangen.

    Prof. Christian Gaebler, Arbeitsgruppenleiter Klinik für Infektiologie Charité Berlin

    An antikörperbasierten Immuntherapien wird derzeit in vielen Studien geforscht, sie könnten die Zukunft auch der HIV-Therapie sein.

    Eine Person hält ein Smartphone in der Hand. Darauf ist der WhatsApp-Channel der ZDFheute zu sehen.
    Quelle: ZDF

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    HIV-Heilungen über Stammzelltransplantationen werden immer Einzelfälle bleiben, da sind sich die Forschenden einig, denn das Risiko bei einer solchen Therapie ist sehr hoch. Doch jede Heilung, wie auch der zweite Berliner Patient, bringt neue Erkenntnisse.

    Es ist natürlich ein weiterer sehr spannender Fall, weil wir aus jedem dieser einzelnen Heilungsfälle, die bisher publiziert oder wissenschaftlich diskutiert wurden, weitere Puzzlesteinchen erhalten, um ein kompletteres Bild zu erhalten, wie diese Heilungen funktionieren.

    Dr. Björn-Erik Ole Jensen, Oberarzt Infektiologie Uniklinik Düsseldorf

    Weltweit leben nach UN-Angaben etwa 39 Millionen Menschen mit einer HIV-Infektion. Bis es für alle eine Chance auf Heilung gibt, ist noch viel Forschung nötig. Bis dahin, so die Forschenden, ist Vorbeugung der sicherste Schutz.

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