"Hera"-Mission gestartet: Meilenstein zur Asteroiden-Abwehr
Interview
Start der Esa-Mission:"Hera": "Schweizer Messer gegen Asteroiden"
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Mit "Hera" will die Europäische Raumfahrtagentur Geschichte schreiben: Die Mission soll den Schutz der Erde vor Asteroiden entscheidend voranbringen. Ein Gespräch zum Start.
Die ESA erforscht, wie Asteroiden von ihrer Flugbahn abgebracht werden können, wenn sie auf die Erde zusteuern. Die Raumsonde Hera startete nun für eine neue Mission ins All.07.10.2024 | 1:32 min
Richard Moissl erscheint bestens gelaunt zum Interview. Der Chef der planetaren Verteidigung der Europäischen Raumfahrtagentur (Esa) hat einen aufregenden Tag hinter sich. Mit mehr als 1.000 Interessierten hat Moissl den erfolgreichen Start der "Hera"-Mission verfolgt.
Hier erzählt Moissl, wie sich der Raketenstart angefühlt hat - und warum "Hera" ein Meilenstein der Menschheitsgeschichte ist.
ZDFheute: Herr Moissl, nach vier Jahren Vorbereitung ist "Hera" jetzt unterwegs. Wie fühlen Sie sich heute?
Richard Moissl: Das war gestern wie ein Krimi. Als es morgens den ersten Wetterbericht gab, stand der Start noch auf der Kippe: Das Wetter sei mit 85-prozentiger Wahrscheinlichkeit zu schlecht. Da schluckt man erstmal.
Aber mit jeder Stunde wurden die Aussichten besser, bis irgendwann klar war: jetzt zieht SpaceX das durch.
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ZDFheute: Was hätte es für die Mission bedeutet, wenn das Wetter schlecht geblieben wäre?
Moissl: Wir hatten ein Startfenster von 21 Tagen. Wir hätten also noch alle Möglichkeiten gehabt, "Hera" auf den Weg zu bringen.
Nur für die Öffentlichkeit wäre es schade gewesen: Wir hatten rund um das Kontrollzentrum in Darmstadt ein richtiges Festivalgelände, mehr als 1.000 Interessierte waren da. Das hätten wir aus logistischen Gründen nicht so leicht verschieben können.
... ist "Head of the Planetary Defense Office" bei der Europäischen Raumfahrtagentur (Esa). Zu seinen Aufgaben gehört das Finden, Beobachten und Vermessen von Asteroiden, um mögliche Gefahren frühzeitig zu erkennen. Gemeinsam mit seinem Team wird Moissl die Daten der "Hera"-Mission auswerten.
ZDFheute: Mit "Hera" knüpft die Esa an die "Dart"-Mission der Nasa an. Dabei hatte die Nasa den 150 Meter langen Asteroiden Dimorphos mit einer Sonde beschossen - und so die Umlaufbahn verändert. Was soll "Hera" jetzt leisten?
Moissl: Dank "Dart" wissen wir, dass wir als Menschheit ein Werkzeug haben, um Asteroiden abzuwehren. Zudem hat "Dart" viele Hinweise geliefert, wie Dimorphos zusammengesetzt ist. Aber es gibt noch viele Fragen, die uns seit "Dart" unter den Fingernägeln brennen. Und die soll "Hera" jetzt beantworten.
ZDFheute: Was sind das für Fragen?
Moissl: Die ersten Erkenntnisse erhoffen wir uns von den ersten hochauflösenden Bildern. Wie sieht Dimorphos jetzt aus? Welche Form hat er nach dem Einschlag? Gibt es einen Krater? Oder wurde durch den Einschlag der Sonde ein Teil des Asteroiden abgesprengt, sodass Dimorphos jetzt eine komplett neue Form hat? Bereits das wird wichtig sein, um zu verstehen, was beim Einschlag eigentlich passiert ist.
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Mit Radardaten wollen wir zudem verstehen: Welche Dichte haben Dimorphos und Didymos, der größere Asteroid, um den sich Dimorphos dreht? Wie sind sie zusammengesetzt? Welche thermischen Eigenschaften haben sie? In was sind wir da eigentlich reingeflogen?
Wenn wir das alles herausfinden, können wir verstehen, welchen Effekt "Dart" tatsächlich hatte und warum - und können mit diesen Daten unsere Modelle zur Asteroidenabwehr füttern.
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ZDFheute: Das heißt, wir können dieses Werkzeug zur Asteroidenabwehr danach gezielt einsetzen?
Moissl: Ja. "Dart" hat bewiesen, dass die Menschheit dieses Werkzeug hat.
ZDFheute: Wie universell einsetzbar wird dieses Schweizer Messer sein? Asteroiden können aus verschiedenen Materialien bestehen. Reicht eine Mission wie "Hera" da aus, um grundsätzliche Modelle zur Asteroidenabwehr zu entwickeln?
Moissl: Jain. Je ähnlicher ein Asteroid Dimorphos ist, desto akkurater werden die Modelle natürlich sein. In meinem Job würde ich solche Experimente deshalb gerne mit vielen Asteroiden machen, um so viele Daten wie möglich zu kriegen.
Aber letztendlich folgen alle Asteroiden den Gesetzen der Physik. Je nach Zusammensetzung wird ein Körper zwar anders auf einen Einschlag reagieren. Aber wenn man die grundlegenden physikalischen Regeln verstanden hat und weiß, woraus ein bestimmter Asteriod besteht, kann man das Wissen aus "Hera" übertragen.
Die DART-Mission der NASA hat auf den Asteroiden Dimorphos eingeschlagen und damit die Umlaufbahn des Binärasteroidensystems verändert. 27.09.2022 | 63:27 min
ZDFheute: Sind wir nach "Hera" also für alle Szenarien gewappnet?
Moissl: Das ist für uns eine der spannendsten Fragen. Welche Daten liefert uns "Hera" tatsächlich? Welche Antworten ergeben sich daraus - und welche neuen Fragen werfen sie vielleicht auf? Das ist das Großartige an der Wissenschaft: Manchmal lernst du etwas, das du dir gerade noch nicht einmal vorstellen konntest. Ich glaube, wir werden nach "Hera" besser vorbereitet sein, aber nach wie vor am Anfang der Reise stehen.
Asteroid, Komet, Meteorit: Wie groß ist die Gefahr aus dem All wirklich? Forscher wissen wir mehr denn je - und können unseren Planeten sogar verteidigen.
ZDFheute: Wie bedeutend ist "Hera" dann insgesamt für die planetare Verteidigung?
Moissl: Es ist ein Meilenstein der Menschheitsgeschichte und wird etliche Folgemissionen ermöglichen. Wir lernen hier gerade, Asteroiden exakt zu vermessen und vorherzusagen, welche Auswirkungen ein gezielter Impakt haben kann.
Wir haben das Glück, das alles in einer Zeit erforschen zu können, in der wir keinen Druck haben, weil es keine akute Gefahr für die Menschheit gibt.
Das Interview führte Kevin Schubert.
Die Sonde fliegt nun erst einmal am Mars vorbei - und erreicht im Dezember 2026 ihr Ziel, den Asteroiden Dimorphos. Das Landen der Untersonden "Juventus" und "Milani" auf Dimorphos gilt dann noch als heikler Moment. Die Anziehung des Asteroiden ist so gering, dass "Milani" mehrfach wegspringen könnte.
"Das wird tatsächlich noch einmal sehr spannend", sagt Richard Moissl. "Da steuern dann gleich drei Raumsonden in ein System, das aus zwei Asteroiden besteht. Das wurde noch nie in der Menschheitsgeschichte gemacht, weshalb das Fly Control Team da natürlich Respekt hat - sich auf diese Herausforderung aber auch freut."
Nach dem Vorbild der "Hera"-Sonde plant die Esa bereits die nächste Asteroiden-Mission, "Ramses", was für "Rapid Apophis Mission for Space Safety" steht. Der 375 Meter große Asteroid Apophis fliegt nach Esa-Angaben am 13. April 2029 in einer Entfernung von nur 32.000 Kilometern an der Erde vorbei. Zum Vergleich: Der Mond ist durchschnittlich 384.400 Kilometer entfernt. Mit der Mission will die Esa ihre Expertise in der schnellen Asteroidenaufklärung ausbauen.