Widerstand gegen Gleichstellung | Terra-X-Kolumne

    Kolumne

    Terra X - die Wissens-Kolumne:Zunehmender Widerstand gegen Gleichstellung

    von Markus Theunert
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    Emanzipation verunsichert viele Männer. Studien- und Wahlergebnisse legen nahe, dass immer mehr junge Männer die Uhr zurückdrehen und männliche Dominanz frisch legitimieren wollen.

    Terra X - Die Wissens-Kolumne: Markus Theunert

    Bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen wählten vor allem viele junge Männer die AfD. Das verwundert Experten kaum, da die Partei mit dem Versprechen männlicher Resouveränisierung bewusst ködert.
    Denn seit einiger Zeit lässt sich eine Trendumkehr beobachten: Die Zustimmung für Gleichstellung sinkt. Immer mehr junge Männer fühlen sich von der Emanzipation der Frauen überfordert und von der Gleichstellungspolitik benachteiligt. Entsprechend attraktiv ist diese Zielgruppe für rechte Strategen.

    In der Terra-X-Kolumne auf ZDFheute beschäftigen sich ZDF-Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten wie Harald Lesch, Mirko Drotschmann und Jasmina Neudecker sowie Gastexpert*innen jeden Sonntag mit großen Fragen der Wissenschaft - und welche Antworten die Forschung auf die Herausforderungen unserer Zeit bietet.

    Männlichkeitsbilder und ihre radikalisierende Kraft

    Männlichkeitsideologische Radikalisierungsdynamiken werden durch verschiedene Narrative befeuert: So wird Geschlecht als naturgegebene Tatsache konstruiert, jede Infragestellung wird fundamental abgewehrt und gilt als widernatürlich. Gleichzeitig werden Frauen als minderwertig und unreif abgewertet oder als rein, aufopferungsbereit und friedfertig idealisiert. Dass Frauen für Männer unbezahlte Care-Arbeit leisten und sie mit Liebe und Sex versorgen, wird als Ausdruck der "natürlichen" Geschlechterordnung gedeutet.
    Aus der männlichen Berufung zu Konkurrenz und Kampf leiten sich die Imperative für einen "echten Mann" ab. Gewalt- und Risikobereitschaft werden als Männlichkeitsbeweis gedeutet, gewalttätiges Handeln zum Schutz von Familie und Ehre nicht nur akzeptiert, sondern eingefordert. Diskursiv wird Hypermaskulinität mit Wehrhaftigkeit assoziiert.
    Harald Lesch in Richterrobe vor Hirsch und chemischen Zeichen
    „Zu viel Testosteron!“ ist die Pauschalaussage für aggressives, dominantes Verhalten bei Männern. Macht das Hormon „toxisch männlich“? 09.01.2024 | 28:48 min

    Männlichkeitsideologie als Nährboden für Autoritarismus und Antifeminismus

    Studien zeigen einen engen Zusammenhang zwischen Männlichkeitsideologie, Antifeminismus und Autoritarismus. Das "autoritäre Syndrom", das heißt die spezifische Verbindung von Angepasstheit, Unterwürfigkeit gegenüber Autoritäten, gesellschaftlichem Überlegenheitsanspruch und Aggressionen gegenüber allem Fremden, hängt dabei auch eng mit (Rechts-)Extremismus und Fremdenhass zusammen.
    Mann mit Bart, der Autor Fikri Anıl Altıntaş
    Autor Fikri Anıl Altıntaş über Männlichkeit und Gleichbereichtigung zwischen Männern und Frauen. Im Video antwortet er auf Fragen aus unserer Social Media Community von 37 Grad.07.10.2021 | 5:58 min

    Bildung als Schutz vor männlichkeitsideologischer Radikalisierung

    Diese Narrative sind nicht für alle Männer gleich attraktiv. Je mehr Bildung, Perspektiven und Ressourcen (junge) Männer haben, um sich in der Transformation der Geschlechterverhältnisse zu behaupten, umso besser sind sie gewappnet gegen männlichkeitsideologische Verführung. Es wäre jedoch unzulässig, bloß mit dem Finger auf bildungsferne, sozioökonomisch abgehängte Männer zu zeigen.
    Denn männerrechtlerische Bedrohungsgefühle können bei jedem Mann andocken, der sich zwei grundlegenden Einsichten verwehrt. Erstens, dass Männlichkeit gestaltbar ist. Zweitens, dass in unserer patriarchal geprägten Gesellschaft das Männliche nach wie vor strukturell privilegiert ist.
    Ohne diese Erkenntnisleistung kann männliche Sozialisation dafür sorgen, dass Männer glauben, gar nicht privilegiert zu sein. Diese Illusion einfühlsam, aber bestimmt zu dekonstruieren, wäre die zentrale Präventionsbotschaft, um männlichkeitsideologischer Radikalisierung vorzubeugen. Das gehört in den schulischen Bildungskanton. Dazu sind die Entscheidungsträger*innen in der Bildungspolitik jedoch noch nicht bereit.
    Leon Windscheid steht vor einer Frauensilhouette, nach der teilweise zur Faust geballte Hände greifen.
    Wie wird aus Streit in der Partnerschaft Gewalt, und was hat das mit Männlichkeitsidealen zu tun? Psychologe Leon Windscheid trifft gewalttätige Männer und sucht nach Ursachen.05.08.2024 | 27:00 min

    Männerpositionen zu Geschlechterfragen: Progressiv, rückwärtsgewandt und die kritische Mitte

    So befinden wir uns in einer entwicklungsoffenen Situation. Die Daten zeigen: Etwa ein Drittel der Männer sind geschlechterpolitisch progressiv. Sie suchen Wege, um gern und fair Mann zu sein. Ein Drittel ist im Rückwärtsgang und will die Errungenschaften der Frauenbewegung rückgängig machen. Entscheidend ist das mittlere Drittel: Sie sind theoretisch für Gleichstellung, wehren aber praktisch jede Auseinandersetzung mit Männlichkeit, Privilegien und Patriarchat ab. Dass sie für ihr Festhalten an männlichen Privilegien kritisiert werden, erleben sie als Kränkung.
    Hier öffnet sich der Resonanzraum für antifeministische Ressentiments. Die bürgerliche Mitte sollte diesen Männern klar machen: Es gibt keinen Weg zurück - aber wir unterstützen euch auf dem Weg nach vorn. Das Bespielen antifeministischer Ressentiments bei gleichzeitiger Ignoranz gegenüber den realen Bedürfnissen und Verletzlichkeiten von Jungen, Männern und Vätern treibt diese Männer der Mitte hingegen nur weiter nach rechts.
    Leon Windscheid steht vor einer Grafik: Ein Mann balanciert in seinen Händen eine Aktentasche und ein Kleinkind: Auch Männer stehen heute zwischen Kind und Karriere.
    Männer sind öfter von Suizid und Sucht betroffen: Ist „toxische Männlichkeit“ schuld daran? Leon trifft Thomas nach seiner Depression und erfährt, welche Rolle Gender dabei spielt.05.08.2024 | 27:10 min

    ... ist Psychologe, Soziologe und Fachmann für Männer- und Geschlechterfragen. Er leitet den Dachverband Schweizer Männer- und Väterorganisationen männer.ch und ist Autor verschiedener Sach- und Fachbücher. Markus Theunert war 2012 der weltweit erste staatliche Männerbeauftragte. Nach einer öffentlichen Kontroverse trat er nach drei Wochen von seinem Amt zurück.  

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